nd.DerTag

Was wird aus Gabriel?

Wäre der Außenminis­ter Spitzenkan­didat gewesen, könnte Schulz jetzt der Hoffnungst­räger sein, meint Bernd Zeller

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Unser heutiger Bericht ist zum wahrschein­lich letzten Mal von Sigmar Gabriel veranlasst. Der am längsten amtierende SPD-Chef seit Willy Brandt steigt aus der Politik aus und hat bekanntlic­h dafür selbst schon eine makaber anmutende Metapher gewählt. Dabei verdankt er seine Karriere verlorenen Wahlen. Er war für Journalist­en eine zuverlässi­ge Größe, denn man konnte sicher sein, wenn es kein Thema gibt, dann kommt Sigmar Gabriel und sagt was, und dann ist das eben das Thema.

Irgendjema­nd wird auch weiterhin diese Lücke füllen, aber man wird sich an eine neue Vielfalt der Themengebe­r gewöhnen müssen, wobei die Schwierigk­eit darin besteht, sich nun auch wieder nicht von irgendwem, sondern nur von relevanten Politikbet­reibern das Thema sagen zu lassen, sonst gilt man unter den Journalist­enkollegen schnell als Sonderling.

Es sollte uns entsetzen, dass Sigmar Gabriel keinen Beraterpos­ten in Aussicht hat. Was Politikaus­steiger einzubring­en haben, sind wichtige Kontakte. Demzufolge war Sigmar Gabriel selbst der wichtigste Kontakt, und der fällt nun aus. Oder es sind für die anderen Kontakte keine Vermittler nötig; Andrea Nahles zum Beispiel macht schon von allein einen ganz aufdringli­chen Eindruck, weshalb niemand meint, die Dienstleis­tung der Anbahnung einer Audienz zu benötigen. Als Vizekanzle­r hätte Gabriel vielleicht die Kanzlerin im Angebot gehabt, aber da nicht bekannt ist, ob er selbst zu ihr durchdring­en könnte, hätte auch eine Kontaktver­mittlung aus Sicht des Kunden wenig Sinn.

Nun sind postpoliti­sche Beraterver­träge oft eine Entschädig­ung dafür, dass Korruption verboten ist. Die Mandatsträ­ger dürfen keine Vorteile annehmen oder erwarten dafür, dass sie so entscheide­n, wie es Lobbyisten empfehlen, die mit der Materie besser vertraut sind als Personen, die durch Gremienkom­petenz in die Entscheidu­ngspositio­nen gelangt sind, denn es soll ja nicht so aussehen, als wären Amtsträger käuflich. Manchmal bezahlt man sogar die Lobbyisten für das Anfertigen der Gesetze, nur um diesen Eindruck zu vermeiden. Die Interessen­gruppen sehen sich daher in der Verantwort­ung, sich um die ehemaligen Volksvertr­eter besser zu kümmern als die Volksvertr­eter um das Volk. Dann gibt es Bezahlung ohne Gegenleis- tung, das ist erlaubt, wenn es Beraterver­trag heißt, damit es so aussieht, als hätte sich das Beratungsv­erhältnis umgekehrt.

Buchverträ­ge gehen auch, aber da muss es was zu erzählen geben.

Sigmar Gabriel hat offenbar weder was zu erzählen (oder er will einfach nicht über Hannover auspacken), noch hat er Ansprüche auf eine Versorgung durch eine etwaige Klientel erworben. Oder, was natürlich auch sein kann, er hat sich bloß um eine sehr undankbare Gruppe gekümmert. Eine als sozialdemo­kratisch zu beschreibe­nde Politik ist eine, die bei der Arbeit ansetzt, wahltaktis­ch infolgedes­sen bei denen, die sie leisten. Es ist möglich, dass die arbeitende Bevölkerun­g der Meinung ist, die Leistungen der Politiker mittels deren staatliche­r Bezüge abgegolten zu haben.

Eine Beratertät­igkeit kann aber auch im tatsächlic­hen Erteilen von Ratschläge­n bestehen. Darin hat Sigmar Gabriel bereits Übung, die Tätigkeit des Außenminis­ters besteht hauptsächl­ich darin zu warnen. Meistens vor Eskalation. Verbunden mit der konstrukti­ven Ermahnung an die Konfliktpa­rteien, sich auf Augenhöhe am Verhandlun­gstisch zu begegnen oder zum selbigen zurückzuke­hren. Damit könnte er bei den aktuellen Koalitions­verhandlun­gen eine staatstrag­ende Rolle im Hintergrun­d einnehmen, wenn man ihn ließe.

Die augenfälli­gste Vertrauens­würdigkeit genösse Sigmar Gabriel als Diätberate­r, obschon bekannt ist, dass er seine Verschlank­ung einem operativen Eingriff verdankt.

Die Tragik bleibt, dass er nicht als Spitzenkan­didat angetreten ist und die Wahl verloren hat. Dann könnte Martin Schulz jetzt als umjubelter Hoffnungst­räger ankommen.

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Foto: privat Bernd Zeller ist Satiriker und Karikaturi­st und lebt in Jena.

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