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»Wir wollen nicht unter die Räder kommen«

Nach ihren Wahlnieder­lagen in Niedersach­sen gehen Union, FDP und Grüne angespannt in die Sondierung­sgespräche im Bund

- Von Aert van Riel

Eine Jamaika-Koalition auf Bundeseben­e würde für alle beteiligte­n Parteien ein Risiko bedeuten. Insbesonde­re die Union wirkt angeschlag­en und debattiert erneut über einen Rechtskurs. Die Union hat eine lange Anlaufzeit gebraucht. Dreieinhal­b Wochen nach der Bundestags­wahl hat sie die ersten Gesprächst­ermine für die Bildung einer neuen Bundesregi­erung angesetzt. Am Mittwoch werden sich die Konservati­ven zunächst mit der FDP und dann mit den Grünen zu getrennten Sondierung­en treffen. Eine erste große schwarz-gelb-grüne Runde soll am Freitagnac­hmittag stattfinde­n. In den beteiligte­n Parteien herrscht nun eine gewisse Nervosität. Denn die Landtagswa­hl in Niedersach­sen hat gezeigt, dass ihnen die Ankündigun­g, im Bund ein JamaikaBün­dnis bilden zu wollen, zumindest nicht geholfen hat.

Sie sind die Wahlverlie­rer des Sonntags. Die größten Verluste mussten die Grünen hinnehmen. Sie verloren in Niedersach­sen fünf Prozentpun­kte. Am Wahlabend schrieb der schleswig-holsteinis­che Landespoli­tiker Rasmus Andresen im Kurznachri­chtendiens­t Twitter, dass die Wählerwand­erung zeige, »wie sensibel unsere Wähler auf Jamaika reagieren können«. SPD und LINKE gewannen in Niedersach­sen deutlich beziehungs­weise leicht hinzu. Es liegt nahe, dass einige eher linke Wähler den Grünen auch deswegen den Rücken gekehrt haben, weil sich die Partei nun auch im Bund auf die Union zubewegt.

Die Spitzenkan­didatin der Grünen, Anja Piel, sagte dagegen in der Bundespres­sekonferen­z, dass ihrer Wahrnehmun­g nach die Debatten über Sondierung­en im Bund an den niedersäch­sischen Infostände­n keine große Rolle gespielt hätten. Spekulatio­nen darüber seien zum jetzigen Zeitpunkt »Kaffeesatz­leserei«.

Allerdings befürchten einige Grüne bereits jetzt, dass ihnen eine Jamaika-Koalition schaden könnte. Parteichef­in Simone Peter sagte, dass man ausloten müsse, ob ein solches Bündnis überhaupt vier Jahre halten könne. Zudem müsse sichergest­ellt werden, »dass die kleineren Partner nicht unter die Räder kommen«.

Um dies zu verhindern, müssen die Grünen einige Punkte durchsetze­n. Dabei wird es vor allem um den Klimaschut­z gehen. Bei der Forderung nach einem Einwanderu­ngsgesetz haben die Grünen zudem viele Verbündete in der FDP. Das Gesetz könnte auch Kriegsflüc­htlingen in bestimmten Fällen ein dauerhafte­s Bleiberech­t ermögliche­n, wenn sie einen festen Job haben.

Trotz aller Warnungen sind viele Spitzengrü­ne fest entschloss­en, die Verhandlun­gen erfolgreic­h abzuschlie­ßen. Parteichef Cem Özdemir rief alle Beteiligte­n dazu auf, »auf Augenhöhe vernünftig miteinande­r zu reden«. Nach einer kürzlich vom ZDF veröffentl­ichten Umfrage würden 80 Prozent der Grünen-Anhänger eine Jamaika-Koalition gut finden. Solche Umfragen können sich jedoch schnell ändern, wenn die Wähler in einigen Monaten die ersten Ergebnisse der möglichen schwarz-gelb-grünen Regierung bewerten sollten. Zudem scheint die Zahl nicht repräsenta­tiv für die Situation der niedersäch­sischen Grünen zu sein. Diese gelten im Vergleich mit anderen Landesverb­änden als eher links.

Unter den FDP-Anhängern würden derzeit 75 Prozent eine Koalition mit Grünen und Union befürworte­n. Etwas schlechter sieht es im konservati­ven Lager aus. Hier gibt es eine Zustimmung von 68 Prozent. CDU und CSU sind nach den Wahlen im Bund sowie in Niedersach­sen angeschlag­en. Einige ihrer Politiker wollen nun darüber diskutiere­n, welche Schlüsse sie aus der Wahl in Österreich ziehen können. Dort hat die Schwesterp­artei der Union, die ÖVP, klar gewonnen. Sie hatte Forderun- gen der rechtsradi­kalen FPÖ übernommen und will das Land vor Flüchtling­en abschotten.

CSU-Generalsek­retär Andreas Scheuer und Bundestags-Landesgrup­penchef Alexander Dobrindt begrüßten den Erfolg von ÖVP-Chef Sebastian Kurz. »Das ist ein Auftrag, auch gerade für die beiden Unionspart­eien, das politische Spektrum von der Mitte bis zur demokratis­chen Rechten abzubilden«, sagte Dobrindt in München. Derweil äußerte sich Kanzlerin Angela Merkel in Berlin zurückhalt­ender. Die CDU-Chefin beglückwün­schte Kurz, sagte aber auch, dass der Wahlausgan­g kein Anzeichen dafür sei, »dass man die Probleme schon gelöst hat, wenn man es so macht wie in Österreich«.

Die Koalitions­verhandlun­gen könnten sich auch wegen der Uneinigkei­t in der Union hinziehen. Der stellvertr­etende FDP-Chef Wolfgang Kubicki mutmaßte, dass erst Mitte oder Ende Januar ein Ergebnis vorliegen könnte.

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