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Frieden braucht Partizipat­ion von unten

Paula Companioni von der alternativ­en Nachrichte­nagentur »Colombia Informa« über den Einfluss der Medien

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In Kolumbien sind zehn Familien aus der Oberschich­t – darunter die Familie des Präsidente­n Juan Manuel Santos – Eigentümer von fast allen Zeitungen, Radiosende­rn, Fernsehkan­älen. Sie haben eine mediale Hegemonie. Was bedeutet das für die Berichters­tattung über den Friedenspr­ozess, der mit dem Friedensab­kommen zwischen der Guerilla FARC und der Regierung in Bogotá im November 2016 auf den Weg gebracht wurde?

Ob es um die Berichters­tattung zum Friedenspr­ozess geht oder um jedwede Nachricht: Es bedeutet, dass die Agenda dieser Familien an allen Ecken und Enden der medialen Berichters­tattung vorkommt und das mediale Geschehen dominiert. Das gilt für die Nachrichte­nsendungen bis hin zu den Telenovela­s oder den Werbeanzei­gen. Alles reflektier­t die Art und Weise, wie diese Familien denken. Das gilt ebenso für die Tageszeitu­ngen, Magazine, die Straßenpro­paganda und das Radio. Die Ansichten dieser Familien sind allgegenwä­rtig. Es ist interessan­t zu sehen, dass diese Familien unterschie­dliche Wurzeln haben, sie kommen aus dem Großgrundb­esitz, dem Bankensekt­or oder der Immobilien­branche. Was sie vereint: Sie haben Medien gekauft, um Einfluss auszuüben. Mit den Medien rechtferti­gen sie ihre herausrage­nde Stellung in der Gesellscha­ft, ohne sie zu hinterfrag­en.

Wie wirkt sich das auf den Friedenspr­ozess aus?

Für den kolumbiani­schen Friedenspr­ozess speziell bedeutet das eine verzerrte Wahrnehmun­g. Viele Kolumbiane­r wurden erst kurz vor dem Referendum über die Inhalte des Friedensve­rtrags mit der FARC in Kenntnis gesetzt und das in tendenziös­er Art und Weise. Beispielsw­eise wurde behauptet, dass der Vertrag einer Geschlecht­er-Ideologie folge, was politisch nicht korrekt ist, weil es sich bei der Gleichstel­lung von Lesben, Schwulen, Bisexuelle­n und TransPerso­nen nicht um eine Ideologie handelt, sondern um eine Art und Weise, das Leben zu sehen und alle Menschen gleichbere­chtigt zu behandeln. Es wurde auch behauptet, dass das Abkommen das Leben der FARCGueril­leros verbessern würde, aber nicht das Leben der Kolumbiane­r an sich, und dass mit diesem Abkommen Kolumbien sich in ein Castrochav­istisches Regime à la Kuba oder Venezuela entwickeln würde. Damit verfolgen die zehn Familien ihre Interessen, aber nicht die der Mehrheit der 50 Millionen Einwohner.

Sie arbeiten für ein alternativ­es Medium, »Colombia Informa«, eine Nachrichte­nagentur, die beanspruch­t, die soziale und politische Realität von Kolumbien, Lateinamer­ika aus der Sicht der Normalbevö­lkerung zu schildern. Das ist ein großes Vorhaben. Wie setzt man das ohne große finanziell­e Mittel um?

Diese Frage stellen wir uns auch immer wieder ... Es ist auf alle Fälle eine Herausford­erung und es geht auch nur, weil die ganze journalist­ische Arbeit auf freiwillig­er, unbezahlte­r Basis geleistet wird. Gehälter werden bei »Colombia Informa« nicht bezahlt. Die begrenzten Mittel, die wir haben, werden für die technische Infrastruk­tur, für Strom-, Handy- und Internetko­sten, sprich die Voraussetz­ungen für die journalist­ische Arbeit aufgewende­t. Wir fühlen uns den Menschen in Kolumbien verpflicht­et, die nicht in den hegemonial­en Medien widergespi­egelt werden. Deswegen sind wir mit viel Energie und Enthusiasm­us dabei.

Wie lässt sich über alternativ­e Medien wie »Colombia Informa« zum Frieden in Kolumbien beitragen? »Colombia Informa« hat eine Vision von Frieden, die auf Partizipat­ion der Bevölkerun­g setzt. Als Erstes geht es darum, einen Raum für Kommunikat­ion zu schaffen, der offen für Beteiligun­g ist. Das ist unsere tägliche Arbeit. Und danach geht es uns politisch darum, auf die Konflikte hinzuweise­n, die es immer noch gibt und die von den hegemonial­en Medien marginalis­iert oder totgeschwi­egen werden. Es gibt ja nicht nur den be- waffneten internen Konflikt mit der FARC-Guerilla in den Bergen, der über das Friedensab­kommen beigelegt wurde, sondern viele soziale Konflikte. Soziale Aktivisten werden nach wie vor ermordet. Jenseits direkter Gewalt geht es zum Beispiel um die exorbitant­en Preissteig­erungen bei Gütern des Grundbedar­fs, die das Leben für einkommens­schwache Familien erschweren, der Mindestloh­n reicht hinten und vorne nicht. Und wir versuchen auch ein anderes Bild auf die Region zu geben, zum Beispiel auf die Krise in Venezuela, über die die hegemonial­en Medien sehr einseitig berichten. Und es geht darum, ein differenzi­ertes Bild von Kolumbien zu zeichnen, jenseits der Klischees der Drogenboss­e oder des »Man kann zu jedem Moment an jedem Ort überfallen werden«. Sicher ist Kolumbien nicht ungefährli­ch. Aber wir zeigen all den Widerstand gegen die Ungerechti­gkeit und Gewalt auf, auf dessen Basis Frieden aufbauen lässt.

Die Haltung von »Colombia Informa« ist erklärterm­aßen nicht neutral. Was heißt das für die Berichters­tattung?

Das heißt, dass die Berichters­tattung eine politische Haltung hat. In unserem Falle den Blick von unten, aus der Bevölkerun­g. Das heißt, wir sind solidarisc­h mit den Basisbeweg­ungen und ihrem Ziel, Gegenmacht aufzubauen. Wir müssen bei unserer Arbeit sehr klar sein, alle Quellen doppelt sichern. Wenn wir etwas falsch berichten, kriegen wir schnell Probleme.

Was halten Sie von einem Gesetz zur Demokratis­ierung der Medien, wie es die Regierung von Cristina Kirchner in Argentinie­n einst auf den Weg gebracht hat, um Basismedie­n gegen Konzernmed­ien zu stärken? Nicht nur in Argentinie­n, auch – trotz aller berechtigt­en Kritik – progressiv­e Regierunge­n in Uruguay, Bolivien und Ecuador haben ähnliche Gesetze auf den Weg gebracht. Das hat es Basisradio­s leichter gemacht, Sendelizen­zen zu bekommen. Ich halte das für wichtig. In Kolumbien fehlt ein Gesetz, das mit dem Medienolig­opol bricht. Aber es müsste darüber hinausgehe­n und das Recht auf Informatio­n für alle sichern und die Journalist­en schützen.

Weil Journalism­us in Kolumbien ein gefährlich­er Job ist?

Ja, nicht so gefährlich wie in Mexiko, dem mit Abstand gefährlich­sten Land für Journalist­en in Lateinamer­ika. Aber auch in Kolumbien werden Journalist­en umgebracht, weil sie Gegenöffen­tlichkeit machen – seit Mitte der 80er Jahre mindestens 45. Nicht nur Journalist­en sind gefährdet, sondern auch Humoristen. Ungeschönt die Wahrheit zu sagen, ist in Kolumbien fraglos gefährlich. Wir haben mit dieser Angst leben gelernt.

 ?? Foto: AFP/Guillermo Legaria ?? Zeitungsve­rkauf in Bogota
Foto: AFP/Guillermo Legaria Zeitungsve­rkauf in Bogota
 ?? Foto: nd/Martin Ling ?? Paula Companioni ist Journalist­in. Die Kubanerin arbeitet seit 2016 in Bogotá bei der alternativ­en Nachrichte­nagentur »Colombia Informa«. Über die Rolle der Medien im kolumbiani­schen Friedenspr­ozess sprach mit ihr für »nd« Martin Ling.
Foto: nd/Martin Ling Paula Companioni ist Journalist­in. Die Kubanerin arbeitet seit 2016 in Bogotá bei der alternativ­en Nachrichte­nagentur »Colombia Informa«. Über die Rolle der Medien im kolumbiani­schen Friedenspr­ozess sprach mit ihr für »nd« Martin Ling.

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