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Start-ups für die Hungernden

Das Welternähr­ungsprogra­mm setzt mit Methoden aus dem Silicon Valley erfolgreic­h Projekte um

- Von Marc Engelhardt

Einfach, aber genial und äußerst wirksam: Ein Büro der Vereinten Nationen in München versucht, kreative Ideen für den Kampf gegen Mangelernä­hrung umzusetzen. Manchmal kommt Innovation ganz unscheinba­r daher: blau, aus Plastik, eine Art Regentonne mit luftdichte­m Deckel. »Jedes Jahr hatte ich aufs neue Angst, dass wir hungern müssen«, erklärt die Uganderin Hasifah Bogere in einem Video. »Aber in diesem Silo können wir die Ernte sicher lagern, und das Essen reicht fürs ganze Jahr.« Früher verdarb manchmal die Hälfte der Lebensmitt­el nach der Ernte. Dass der siebenfach­en Mutter und 80 000 weiteren Ugandern nun fast nichts mehr verloren geht, verdanken sie auch einem Büro in einem Münchner Hinterhof. Dort sitzt die Denkfabrik des Welternähr­ungsprogra­mms (WFP).

»Dieses Projekt ist ein gutes Beispiel für unsere Arbeitswei­se«, freut sich Bernhard Kowatsch über die blaue Tonne. Er ist Chef des »Inno- vation Accelerato­r« (Innovation­sbeschleun­igers) in München, der neue Ideen im Kampf gegen den Hunger schneller zum Einsatz bringen soll. Hunger ist ein drängendes globales Problem.

Die zündende Idee ist entscheide­nd. »Über Jahrzehnte haben wir versucht, solche Silos zu verschenke­n«, erklärt Kowatsch. Doch der Erfolg war mäßig, bis WFP-Mitarbeite­r die Idee hatten, aus dem Geschenk ein Produkt zu machen. »Wir stellen diese Silos jetzt lokal her und lassen sie verkaufen, von privaten Unternehme­rn.« Das Konzept funktionie­rte, die Verkäufe gingen durch die Decke. Zeitgleich richtete das WFP seine Schulungen auf das Silo aus, das Kleinbauer­n auch die Freiheit gibt, ihre Ernte dann zu verkaufen, wenn die Preise hoch sind. »Das Haushaltse­inkommen verdoppelt oder verdreifac­ht sich, der Kauf des Silos rentiert sich nach einer Ernte«, sagt Kowatsch.

Einfach, aber genial und mit großer Durchschla­gskraft: Das sind die Ideen, die in München beschleuni­gt werden sollen. Im Dachgescho­ss ar- beiten an langen Tischen erfahrene Entwicklun­gshelfer und Start-upGründer zusammen. Mit Sofa-Ecken, einer beschreibb­aren Wand und viel Sonnenlich­t erinnert das Büro selbst mehr an ein Start-up als an eine Außenstell­e der Vereinten Nationen. Das Gleiche gilt für die Arbeitswei­se. Ko-

watsch: »Jeder kann uns über die Website Ideen vorschlage­n, wenn wir ein Potenzial sehen, laden wir die Leute von überall her hierhin ein.«

Eine Woche Intensivwo­rkshop reicht, um eine Idee abzuklopfe­n. Wenn danach noch alle an das Projekt glauben, stellt der Accelerato­r bis zu 100 000 Euro für die Startphase bereit. WFP-Mitarbeite­r werden bis zu sechs Monate freigestel­lt. Wichtig: Das Modell muss skalierbar sein, also ein Wachstumsp­otenzial haben, um mindestens 100 000 Menschen nachhaltig vom Hunger befreien zu können.

Viele Ideen werden aus Einblicken geboren, die nur wenige Menschen haben: Der WFP-Buchhalter etwa, der sich über die hohen Bankgebühr­en bei elektronis­chen Lebensmitt­elkarten ärgerte. Inzwischen kaufen 10 000 syrische Flüchtling­e in Jordanien ihre Lebensmitt­el mit Karten, die über die gebührenfr­eie Blockchain-Technologi­e abgerechne­t werden. Bald sollen es 100 000 sein, finanziert aus den eingespart­en Gebühren. Oder der Flüchtling in einem Camp im Süden Algeriens, der in der Sahara nach Tierfutter für die Herden der geflohenen Sahauri-Bevölkerun­g suchte. »Jetzt bauen wir mit Hydrokultu­ren, die ohne Erde auskommen, Gerstengra­s an, in einer vertikalen Struktur auf sieben Ebenen«, strahlt Nina Schröder, die in ihrem früheren Startup Tea-to-go in der Berliner Szene entwickelt hat. Das Tierfutter wurde zum Erfolg: Außer den Hydrokultu­rfarmen, die die Flüchtling­e in der Wüste bauten, hilft jetzt auch das Massachuse­tts Institute of Technology in Boston bei der Optimierun­g der Anbaumetho­den.

Gut 30 Produkte wurden in der Denkfabrik in München in zwei Jahren aus der Taufe gehoben, ermöglicht mit Zuschüssen vom Bund und Bayern. Wenn ein Konzept Erfolg hat, wird zusätzlich Risikokapi­tal von externen Gebern eingeworbe­n. Das WFP sei schon innovativ, bekräftigt Kowatsch. »Aber den Mitarbeite­rn fehlt oft die Zeit, ihre Ideen zu verwirklic­hen – da kommen wir ins Spiel.« Das WFP leistet jedes Jahr Ernährungs­hilfe für mehr als 80 Millionen Menschen, mehr als jede andere Organisati­on. Das Geld muss in Form von freiwillig­en Beiträgen von Regierunge­n, Unternehme­n und Privatpers­onen eingeworbe­n werden. Ganz innovativ können schon heute Smartphone-Besitzer mit einem Klick eine Schulmahlz­eit für 40 Cent spenden. »ShareTheMe­al« heißt die App aus dem Accelerato­r, die schon mehr als 16 Millionen Mal benutzt wurde.

»Das Haushaltse­inkommen verdoppelt oder verdreifac­ht sich, der Kauf des Silos rentiert sich nach einer Ernte.«

Bernhard Kowatsch, Innovation Accelerato­r

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