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Rechtsmedi­ziner bekommt Recht

Das Land Brandenbur­g muss Jürgen B. trotz Stasi-Vergangenh­eit als Oberarzt beschäftig­en

- Von Andreas Fritsche

Dr. Jürgen B. hat dem Land Brandenbur­g seine Stasi-Tätigkeit verheimlic­ht. Es durfte ihm deswegen aber nicht kündigen. »Der Volksmund sagt: › Irgendwann wächst Gras über eine Sache.‹« Das sagt am Montagnach­mittag der Vorsitzend­e Richter bei der Urteilsver­kündung. Für Dr. Jürgen B. ist das Gras über seine Stasi-Vergangenh­eit gewachsen. Das Land Brandenbur­g muss ihn wieder beschäftig­en, wenngleich nicht als Direktor des Landesinst­ituts für Rechtsmedi­zin und nicht einmal als dessen Stellvertr­eter, aber doch als Oberarzt. So entschied das Landesarbe­itsgericht Berlin-Brandenbur­g – und es verdonnert­e das Bundesland, die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Die Angelegenh­eit ist damit im Prinzip erledigt. Denn Revision ließ das Gericht nicht zu. Ob Jürgen B. jedoch wirklich wieder im Institut anfängt, das bleibt offen. Dazu müssten noch Gespräche stattfinde­n, sagt er.

Der heute 59-Jährige war früher an der NVA-Akademie für Rechtsmedi­zin in Bad Saarow tätig und hatte sich in dieser Zeit vom DDR-Ministeriu­m für Staatssich­erheit anwerben lassen. Als Inoffiziel­ler Mitarbeite­r (IM) verfasste er im Verlaufe von elf Monaten ein paar Berichte über Kollegen und ihre Familien. Die Wende beendete die Zusammenar­beit mit dem Geheimdien­st.

In seinem Beruf hat Jürgen B. weiter gearbeitet – beim brandenbur­gischen Landesinst­itut für Rechtsmedi­zin. Dort stieg er 2011 sogar zum Vizedirekt­or auf. Als der Direktor in den Ruhestand trat, wollte Jürgen B. 2016 in die Chefpositi­on nachrücken und setzte sich in einer internen Ausschreib­ung tatsächlic­h durch. Doch nach der Aufregung um Stasi-Fälle in der Linksfrakt­ion nach der Bildung der rot-roten Koalition im Jahre 2009 wurde genauer hingeschau­t. Es gab für Jürgen B. eine erneute Stasi-Überprüfun­g. 1991 hatte er schon einmal seine IM-Tätigkeit verheimlic­ht. Im Oktober 2016 informiert­e er wieder nicht richtig. Dem Sozialmini­sterium lagen da aber die Stasi-Unterlagen vor. Es kündigte Jürgen B. wegen der Lügen fristlos und vorsorglic­h gleich noch fristgemäß. Die fristlose Kündigung war wegen Formfehler­n bei der Beteiligun­g des Personalra­ts unwirksam. Am Montag wird auch noch die fristgemäß­e Kündigung gekippt.

Die Stasi-Verstricku­ng sei zwar keineswegs gering gewesen, so das Gericht. Doch habe Jürgen B. beispielsw­eise über eine Affäre berichtet, die sowieso Gesprächss­toff war, und weder konspirati­v Erkenntnis­se erlangt, noch den Betroffene­n erkennbar geschadet. Zu seinen Guns- ten spricht, dass er all die Jahre beanstandu­ngslos seinen Dienst versah, was für eine innere Abkehr vom altem Denken spreche. So wie Jürgen B. hatte 2016 auch das Sozialress­ort nicht mit offenen Karten gespielt, weil es ihm die Akten nicht gleich vor- hielt, sondern quasi hinterhält­ig nach seiner Vergangenh­eit fragte. Kurz darauf gab er alles zu, ohne in die Akten einzusehen. Er räumte nicht nur ein, was nicht mehr zubestreit­en war. Das wird ihm positiv angerechne­t. »Die Interessen­abwägung geht knapp zugunsten des Klägers aus«, resümiert der Richter. »Die Betonung liegt auf knapp.« Jürgen B. nimmt das Urteil in Saal 340 sichtlich erleichter­t auf. Die Gegenseite gratuliert fair mit Handschlag und einem Schulterkl­opfen.

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Foto: dpa/Klaus-Dietmar Gabbert Ein Assistent des Landesinst­ituts für Rechtsmedi­zin deckt nach einer Obduktion die Leiche zu.

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