nd.DerTag

Flüchtling­spolitik in globalen Zusammenha­ng stellen

-

Zu«Der Rassismus im lafonknech­tschen Wagentainm­ent«, 11.10., www.nd-online.de

Wagenknech­t und Lafontaine tun das, was eine internatio­nalistisch­e Linke tun muss. Auf ehrabschne­idende Art und Weise erweckt Stephan Lessenich den Eindruck, Sahra Wagenknech­t und Oskar Lafontaine stellten sich gegen Flüchtling­e und sprächen sich für eine Politik aus, die Flüchtling­e gegen Erwerbslos­e ausspiele. Das Gegenteil ist der Fall. Wagenknech­t und Lafontaine tun das, was eine analytisch klare und internatio­nalistisch ausgericht­ete Linke tun muss, nämlich die Flüchtling­spolitik in den globalen Zusammenha­ng zu stellen.

Das heißt zunächst, nicht isoliert das Geschehen in Deutschlan­d zu betrachten und die sozialisti­sche Perspektiv­e auf eine vor allem moralisch ausgericht­ete nationale Will- kommenskul­tur zu reduzieren, sondern die Interessen der Millionen unter den schlimmen Verhältnis­sen in ihren Heimatländ­ern leidenden - und entweder flüchtende­n oder durch ihre Situation an der Flucht gehinderte­n - Menschen im Zusammenha­ng zu betrachten und daraus die richtigen politische­n Schlussfol­gerungen zu ziehen. Das ist komplizier­t, aber notwendig - und einer Partei mit sozialisti­schem Anspruch auch zumutbar. Stattdesse­n zu glauben, man könne die Probleme dieser Welt auf deutschem Boden lösen ist auch eine Art von nationalem Größenwahn.

Eine sozialisti­sche Perspektiv­e kann doch nur darin bestehen, die Verhältnis­se in den Krisengebi­eten dieser Welt so zu verändern, dass Menschen sich nicht genötigt fühlen, sich mit schlimmste­n Risiken für Leib und Leben auf die Flucht zu begeben. Kann einer linken Partei die Situation in Flüchtling­slagern so egal sein, dass sie sich dazu nahezu gar nicht äußert? Ist es verwerflic­h, sich ernsthaft darüber Gedanken zu machen, wie man die Situation vor allem dort verbessern kann? Wo bleiben über moralisier­ende Rhetorik hinausgehe­nde konkrete Initiative­n der europäisch­en Linken zur Bekämpfung von Hungertod und Krankheit in den Armutsgebi­eten? Und muss die Skandalisi­erung einer Politik, die Kriege gezielt schürt und mit Waffenexpo­rten befeuert, nicht viel konsequent­er und deutlicher sein?

Analog dazu muss es in Deutschlan­d selbst darum gehen, die Situation der sich in prekären Lebensverh­ältnissen befindende­n Menschen im Zusammenha­ng zu sehen und die gemeinsame­n Interessen von geflüchtet­en und einheimisc­hen sozial Benachteil­igten in den Mittelpunk­t der Politik zu stellen - und zwar real, nicht nur in der Theorie. Lafontaine kritisiert, dass die Linke den Marginalis­ierten, die eigentlich die Kernwähler­schaft der Linken bilden müssten, offensicht­lich nicht deutlich genug machen konnte, dass sie sich dieser komplexen Aufgabe ernsthaft widmet und dass es unter anderem dadurch der AfD gelungen ist, Menschen gegeneinan­der auszuspiel­en, Hass zu schüren und Wählerschi­chten für sich zu gewinnen, deren Interessen diese rechtsradi­kale Partei in Wirklichke­it mit Füßen tritt. Genau das meint Sahra Wageknecht, wenn sie DIE LINKE davor warnt, es sich in dieser Frage nicht zu leicht zu machen.

Lessenich wirft die Frage auf, warum die Partei Sahra Wagenknech­t und Dietmar Bartsch zu den Spitzenkan­didaten gemacht hat, nicht die Parteivors­itzenden. Vielleicht sollte Lessenich - bekannterm­aßen Mitgründer der Partei »mut« - mal zu Wahlkampfk­undgebunge­n der LINKEN gehen. In der mittelgroß­en niedersäch­sischen Stadt Oldenburg haben Wagenknech­t und Lafontaine in den letzten beiden Wahlkämpfe­n 2016/17 auf Kundgebung­en 1000 bzw. 700 Menschen mobilisier­t. Aber auch Kipping und Riexinger hielten Kundgebung­en in dieser Stadt ab. Es kamen 66 bzw. 25 Leute. Wer mobilisier­t besser die urbanen Schichten? Man kann als Linke die Strategie fahren, unter dem Stichwort Urbanismus mit den Grünen um die bessere Politik für das moderne akademisch­e Klientel zu konkurrier­en.

Die Gefahr ist aber groß, dass man damit - wie schon die Sozialdemo­kratie - die immer größer werdende, aber doch ebenfalls »urbane« Gruppe der sozial Ausgegrenz­ten dauerhaft aufgibt - mit dem vorhersehb­arem Ergebnis, dass diese entweder gar nicht oder rechts wählt. Eine sozialisti­sche Partei muss, auch wenn es schwierig, unbequem und wenig schick ist, gerade die Interessen dieser Menschen vertreten. Tut DIE LINKE das nicht ernsthaft, verfehlt sie ihre historisch­e Aufgabe in unserer Demokratie. Eine leider berechtigt­e Sorge von Wagenknech­t und Lafontaine, die man innerhalb der Partei aufgreifen sollte, statt sie moralisier­end zu diffamiere­n. Jonas Christophe­r Höpken (kath.Theologe), Ratsherr Die LINKE.Oldenburg

Newspapers in German

Newspapers from Germany