Alles okay
Marc-Uwe Kling porträtiert in »QualityLand« eine Gesellschaft, in der nur Superlative erlaubt sind
Im Buch von Marc-Uwe Kling ist der Mensch Fehler im System.
In der Digitalwirtschaft braucht keiner das zweitbeste Produkt, den zweitbesten Anbieter, das zweitbeste soziale Netzwerk, den zweitbesten Shop, den zweitbesten Comedian, den zweitbesten Sänger.« Und weil das so ist, hat Marc-Uwe Kling in seinem neuen Roman mit »QualityLand« ein Land geschaffen, in dem nur der Superlativ erlaubt ist. Alles ist am besten, größten und »besondersten« und selbstverständlich ist für jeden gesorgt. Nicht mal Waren online bestellen muss man noch selbst, das übernehmen Algorithmen, die selbstverständlich immer am »rechtesten« haben.
Dumm nur, wenn man versehentlich einen pinkfarbenen Delfinvibrator geliefert bekommen hat, und ihn zurückgeben möchte. Das bringt den Kling’schen Protagonisten Peter Arbeitsloser an seine körperlichen und seelischen Grenzen und mitten im Präsidentschaftswahlkampf auch erhebliche Unruhe in die gesamte Gesellschaft. »Selbst wenn sie recht damit hätten, dass ihr Profil nicht stimmt, könnten wir das niemals zugeben, denn dann hätte das System einen Fehler gemacht, aber das System macht keine Fehler«, fasst Henryk Ingenieur, Gründer von TheShop, dem besten und einzigen Onlinebestellservice QualityLands, zusammen.
Allerdings zeigt der vierte Roman des Berliner Wortpoeten und ersten Kleinkünstlers, der je mit einem kommunistischen Känguru zusammengewohnt hat, dass das System sehr wohl Fehler macht: Peter Arbeitsloser – seines Zeichens Maschinenverschrotter – ist umgeben von Drohnen mit Flugangst, einem elektronischen Rechtsanwalt, der ein Gewissen entwickelt hat und deswegen seinen Job nicht mehr ausüben kann, einer E-Poetin mit Schreibblockade und einem kaputten Kriegsroboter. Ein selbstfahrendes Taxi ohne Orientierungs- sinn bringt Menschen dahin, wo sie nicht hinwollen, ausrangierte Roboter schummeln beim Go-Spielen, der superintelligente und kapitalismuskritische Androide John of Us soll als Präsidentschaftskandidat besser auf die Bedürfnisse der Menschen eingehen können als sein menschlicher Kontrahent.
Klings Buch sprüht nur so vor brillanten Einfällen, Sprachspielereien und Anspielungen auf die moderne Medien- und Popkultur. Alles ist digital, vernetzt und berechnet – nur für ein eigenes Leben ist kein Platz. In einer Welt, in der Onlinebestellungen aus Sicherheitsgründen mit einem Lippenabdruck bezahlt werden, hinterlässt ein echter Kuss schnell den Beigeschmack, für etwas bezahlt zu haben. Beziehungen werden ständig überwacht, bewertet und
Die Gegenspieler der herrschenden Mächte des digitalen Wahns sind keine progressiven Widerstandskämpfer, sondern ewiggestrige Maschinenstürmer.
»upgegradet«, persönliche Assistenten planen den Tagesablauf – das ganze Sein: ein einziger Algorithmus. Seinen Assistenten hat Peter »Niemand« genannt, denn er »hat oft das Gefühl, dass Niemand für ihn da ist«.
Wer Klings »Känguru-Chroniken« kennt, dem kommt einiges in »QualityLand« bekannt vor. Die Zukunftsvisionen, die der Kleinkünstler und sein tierischer Mitbewohner sich über drei Bände am Küchentisch zusammenspinnen, sind für Peter Arbeitsloser, Aisha Ärztin und Melissa Sexarbeiterin – die Nachnamen ergeben sich aus den Berufen der Eltern zum Zeitpunkt der Zeugung – wahr geworden. Allerdings fungiert im QualityLand kein progressives »Asoziales Netzwerk« als Gegenspieler der herrschenden Mächte, stattdessen stellen sich ewiggestrige »Maschinenstürmer« der allumfassenden Technikgläubigkeit brutal entgegen.
Ob die Digitalisierung bereits zu weit vorangeschritten ist, um sie noch in menschenverträgliche Bahnen zu lenken, oder ob sich die Menschen bereits einen Gott geschaffen haben, der sie am Ende vernichten könnte, ist unklar – und hinterlässt beim mit Orwells »1984« aufgewachsenen und nun zwischen Facebook, Google und Fitnessarmbändern lebenden Leser oftmals ein diffuses Unbehagen.
Doch bevor es wirklich unangenehm wird, zwingt der hintergründige Humor die Mundwinkel nach oben. Das Buch ist in locker-flockiger Poetry-Slam-Manier geschrieben; Werbeeinblendungen und Gebrauchsanweisungen für den Leser wechseln sich mit kurzen Kapiteln ab, die auch die durchschnittliche Aufmerksamkeitsspanne eines Social-Media-Konsumenten nicht überschreiten. Wer dachte, nach den »Känguru-Chroniken« sei es vorbei mit der kreativen Energie des mehrfach preisgekrönten Autors, Musikers und Sprachgenies, sieht sich nach »QualityLand« eines Besseren belehrt. Das besonderste Buch, das dieses Jahr im humorvolldystopisch-androidischen Verkaufssegment erschienen ist! Wer es über den Webshop von Marc-Uwe Kling (www.marcuwekling.de) bestellt, unterstützt übrigens das Projekt Digitalcourage e.V., das sich für Grundrechte und Datenschutz im Netz einsetzt.
Marc-Uwe Kling: QualityLand. Ullstein Verlag. 384 S., geb., 18 €.