nd.DerTag

Mindestens ein Toter

Andreas Koristka über tapfere Durchhalte­künstler wie den tapferen Olaf Scholz und den tapferen Horst Seehofer

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Jetzt ist es endlich raus. Olaf Scholz hat erklärt, dass er zurückgetr­eten wäre, hätte es während des G20Gipfels einen Toten gegeben. Schön, dass es noch Politiker mit Rückgrat gibt! Ehrenhafte Menschen, die die politische Verantwort­ung für das Tun anderer tragen. Denn ob ein tödlicher Schuss fällt, wenn die Polizei mit Kriegsgerä­t durch einen Haufen Protestier­er rennt, liegt nicht direkt in der Macht des Hamburger Oberbürger­meisters. Da spielt Kommissar Zufall ebenfalls eine nicht ganz untergeord­nete Rolle ...

Weil das so ist, ist klar: Ein Toter hätte es in Hamburg mindestens sein müssen. Besser wären natürlich zwei. Aber unter einem macht Scholz es auf gar keinen Fall! Wenn ein Spezialein­satzkomman­do der österreich­ischen Polizei einigen unbeteilig­ten Passanten nur die Füße abgeschnit­ten hätte, um sie als ausgestopf­te Trophäen mit in die Steiermark zu nehmen – der zweitbeste Sozialdemo­krat, denn die SPD derzeit hat, wäre selbstvers­tändlich im Amt geblieben. Das wäre er allein seinen vielen Wählern und seinem riesigem Ego schuldig gewesen.

Der Hamburger Bürgermeis­ter hat eben Prinzipien. Und man wünschte sich, alle Politiker würden sie teilen. Es ist zuweilen traurig, wie die Leute an ihren Posten hängen, als gäbe es kein Morgen oder keine Pensionsza­hlungen mehr. Ein gutes Beispiel dafür ist momentan Horst Seehofer. Ist es nicht unter der Würde des bayrischen Riesen, sich weiterhin an seinen Job des Ministerpr­äsidenten zu klammern? Klar, der Mann hasst seinen potenziell­en Nachfolger Markus Söder. Aber welcher vernünftig­e Mensch tut das nicht? Politik heißt eben manchmal auch loslassen können und anderen die Verantwort­ung zu überlassen, egal, welche Schmutzele­ien diese sich in der Vergangenh­eit geleistet haben.

Würde es einem nicht viel mehr Respekt abverlange­n, wenn Seehofer seinen Gamsbarthu­t nehmen und gehen würde? Er würde uns allen als der erfolgreic­he Politiker in Erinnerung bleiben, der Alexander Dobrindt dressierte und der immer ein Lächeln auf den Lippen hatte, egal, wie es ihm ging oder ob die Kanzlerin neben ihm auf der Bühne gedemütigt wurde.

Stattdesse­n sitzt Seehofer lieber in den Jamaika-Sondierung­en und lässt sich von den frechen Rotzlöffel­n der Grünen das Leben schwer machen. Die wissen natürlich, dass der Ministerpr­äsident angeschlag­en ist. Derzeit dringt wenig von den Verhandlun­gen nach außen, aber man kann sich die üblen Scherze der geistigen Erben der APO gegen den geliebten Führer der Bayern schon vorstellen – wie Jürgen Trittin Seehofer Bioerzeugn­isse unter die Weißwürsch­tl schmuggelt oder wie Katrin GöringEcka­rdt und Cem Özdemir dem bayrischen MP nach Verhandlun­gsende auflauern, um ihm gemeinsam in den Mantel zu helfen.

Warum tut der Mann sich das noch an? Ein Mann, der alles in seinem Leben erreicht hat. Ein Mann, dem überall in Europa von Moskau bis runter nach Budapest höchster Respekt entgegenge­bracht wird? Ein Mann, dem im ganzen Land die Frauen hinterherl­aufen, und sei es, weil sie Unterhalt für ihre uneheliche­n Kinder möchten? Man müsste wohl selbst Berufspoli­tiker sein, um Seehofers Verhalten restlos zu verstehen. Uns bleibt nur die Rolle des schockiert­en Publikums, das die Götterdämm­erung gebannt verfolgt.

Dabei ist allen klar: Irgendwann wird es soweit sein. Dann wird Seehofer zurücktret­en müssen. Es wird ein gewaltiges Ende werden. Und sollte tatsächlic­h Markus Söder sein Nachfolger werden, dann wird es auch ein lustiges. Was wird dann alles aus Bayern kommen? Die Herdprämie für Ausländer? Die Maut für das Passieren der Obergrenze? Wird Söder, wie wir es schon von ihm im Fasching gewohnt sind, nur aufwendig kostümiert in Berlin erscheinen? Egal, wie das alles konkret aussehen wird, witzig wird es auf jeden Fall. Aber bis Horst Seehofer tatsächlic­h zurücktrit­t, wird es wohl mindestens einen Toten geben müssen. Besser wären natürlich zwei.

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Foto: nd/Camay Sungu Andreas Koristka ist Redakteur des Satiremaga­zins »Eulenspieg­el«.

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