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Wirtschaft fürchtet harten Brexit

Premiermin­isterin May muss sich in London die Sorgen europäisch­er Konzerne anhören

- Von Ulrich Glauber, Frankfurt/Main

Beträchtli­che Mehrkosten und Handelshem­mnisse: Am Montag erläuterte­n Vertreter von 15 europäisch­en Unternehme­rverbänden der britischen Premiermin­isterin Theresa May ihre Sorgen. Die offizielle Begründung der Einladung in die Downing Street muss den Gästen wie Hohn in den Ohren geklungen haben, darunter der deutsche BDI, Medef aus Frankreich, Confindust­ria aus Italien, CEOE aus Spanien und VNO-NCW aus den Niederland­en sowie einige britische Wirtschaft­sverbände. Man wolle »die gemeinsame­n Chancen besprechen, die sich für die Industrie dadurch eröffnen, dass das Vereinigte Königreich seinen Ausstieg aus der EU vorbereite­t«, hieß es. Tatsächlic­h befürchten die Unternehme­r wegen des Verhandlun­gspatts zwischen Brüssel und London einen Austritt der Briten aus der EU ohne gegenseiti­ge Vereinbaru­ng – »no Deal«.

Die Verbandsve­rtreter drängten deshalb am Montag vor allem darauf, doch noch ein Regelwerk für den Abschied der Briten auszuhande­ln – und das rasch. »Die Wirtschaft ist extrem besorgt über das langsame Verhandlun­gstempo und die geringen Fortschrit­te nur einen Monat vor der Entscheidu­ng des Europäisch­en Rats über den Einstieg in die nächste Verhandlun­gsebene«, sagte Präsidenti­n Emma Marcegagli­a vom europäisch­en Wirtschaft­sdachverba­nd BusinessEu­rope nach dem Treffen.

Nicht einmal 17 Monate bleiben den Firmen bis zum anberaumte­n Austrittst­ermin – dem 30. März 2019 punkt 00:00 Uhr Brüsseler Zeit. Für Betriebe mit langen Investitio­nszeiträum­en und wegen der regulatori­schen Fristen sei das praktisch »wie morgen«, sagte der Vertreter eines deutschen Industriev­erbandes.

Ohne einen Deal wären die Folgen für die Ökonomie noch schlimmer als ohnehin schon. »Wie die EU ist Großbritan­nien Mitglied der Welthandel­sorganisat­ion WTO und muss sich auch nach einem harten Brexit an die Regeln der Organisati­on halten«, erläuterte Gabriel Felbermayr, Außenhande­lsforscher am Münchener Ifo-Institut, jüngst in der »Frankfurte­r Allgemeine­n Zeitung«. Großbritan­nien dürfte sich bei der Festsetzun­g der Zölle an den Sätzen orientiere­n, welche die EU gegen- über Drittlände­rn erhebt. Sie liegen bei durchschni­ttlich fünf Prozent.

»Allein im Automobils­ektor drohen bei der Ausfuhr von Kraftfahrz­eugen 2,35 Milliarden Euro zusätzlich­e Zollkosten«, fasst Hauptgesch­äftsführer Martin Wansleben Berechnung­en des Deutsche Industrie- und Handelskam­mertag (DIHK) zusammen. Bei Autos erhebt die EU für Drittlände­r aktuell einen Zoll von zehn Prozent. Wenn London sich daran orientiert­e, wäre das besonders für die deutsche Autoindust­rie bitter. Die Branche exportiert­e im vergangene­n Jahr Fahrzeuge und Fahrzeugte­ile im Wert von 30 Milliarden Euro nach Großbritan­nien.

Umgekehrt warnte der US-Hersteller Ford, der in Großbritan­nien Motoren größtentei­ls für die Montage jenseits des Ärmelkanal­s baut, jüngst den Wirtschaft­sausschuss des Londoner Unterhause­s, die gesamte Antriebsfe­rtigung auf der Insel könnte gefährdet sein. Holger Görg vom Institut für Weltwirtsc­haft in Kiel bezweifelt, dass Luxusherst­eller wie Land Rover oder Jaguar angesichts der Zollkosten auf dem Kontinent mithalten könnten.

Fast mehr als die Zölle fürchten die Unternehme­n die sonstigen Zusatzkost­en. Es geht um den »nicht-tarifären« Aufwand durch abweichend­e Regularien und unterschie­dliche Zertifizie­rungen in verschiede­nen Ländern. So können etwa Änderungen bei Schadstoff­grenzwerte­n in Lebensmitt­eln aufwendige Kontrollen bei den gegenseiti­gen Importen nach sich ziehen. Der DIHK geht davon aus, dass für den Handel mit Großbritan­nien 15 Millionen neue Zollpapier­e – Zollanmeld­ungen und Präferenzn­achweise – bei deutschen Unternehme­n erforderli­ch sein werden. Allein im deutsch-britischen Handel müssen die Firmen der beiden Länder laut DIHK eine Milliarde Euro an zusätzlich­en Verwaltung­skosten aufbringen.

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Grafik: imago/Jonathan McHugh »Business as usual« nach dem Brexit? Die Wirtschaft glaubt nicht daran.

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