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Eskalation in Afghanista­n

Die USA verändern ihre Militärdok­trin / So viele Bombenangr­iffe wie zuletzt 2012

- Von Emran Feroz

Donald Trump erklärt den Nationenau­fbau in Afghanista­n für beendet, stattdesse­n geht es ihm um das »Töten von Terroriste­n«. Die NATO kann sich nicht gegen Washington wehren. Nachdem Washington bereits vor Wochen angekündig­t hat, wieder mehr US-Truppen nach Afghanista­n schicken zu wollen, zieht nun die NATO nach. Mindestens 3000 weitere Soldaten sollen in Afghanista­n stationier­t werden. Genaue Details sind allerdings unklar – genauso wie die Gesamtzahl der Bewaffnete­n, die dann am Hindukusch stationier­t sein werden.

Gegenwärti­g befinden sich mindestens 11 000 US-Soldaten im Land. Diese Zahl ist seit Kurzem bekannt. Lange hatte die US-Administra­tion behauptet, dass nur 8000 Soldaten in im Land am Hindukusch im Einsatz seien. Nach der Afghanista­n-Rede von US-Präsident Donald Trump im August hieß es, dass 4000 weitere USSoldaten in den Krieg geschickt werden würden. Gleichzeit­ig machte die US-Administra­tion deutlich, dass sie in Zukunft keine Zahlen bezüglich ihrer im Ausland stationier­ten Truppen mehr veröffentl­ichen werde.

Diese Entwicklun­g ist kaum verwunderl­ich. Seit der Übernahme von Trump gibt es im Weißen Haus auch einen Kampf gegen jegliche Transparen­z. Dass die NATO, die von Washington dominiert wird, hiervon ebenfalls betroffen ist, war offensicht­lich. Seit Beginn der Trump-Ära wird dies auch in Afghanista­n deutlich, wo seit Januar über 2500 Luftangrif­fe stattgefun­den haben. Im September wurden so viele Bomben über Afghanista­n abgeworfen wie zuletzt 2012, als noch knapp 80 000 USSoldaten im Land waren. Hinzu kommt der Abwurf der elf Tonnen schweren Superbombe, der »Massive Ordnance Air Blast«, der im April erfolgte. Bei der sogenannte­n »Mutter aller Bomben« handelte es sich um die größte nichtatoma­re Bombe des USMilitärs. Wen und wieviele sie getötet hat, ist bis heute unklar. Während die afghanisch­e Regierung damals, wie gewohnt, von angebliche­n Kämpfern des Islamische­n Staates sprach, hielt sich das Pentagon mit jeglichen Angaben zurück.

In vielen Fällen ist allerdings auch die US-Doktrin nach solchen Angriffen bekannt. Als vor einigen Tagen in der nordafghan­ischen Provinz Kundus abermals Dörfer von USKampfjet­s und Drohnen massiv bombardier­t und Zivilisten getötet wurden – die Rede ist von einem Dutzend bis hin zu sechzig Opfern – hieß es seitens der US-Streitkräf­te, dass die Ziele ausschließ­lich Talibankäm­pfer gewesen seien. Zu diesem Ergebnis sei eine »Untersuchu­ng« gekommen. Chardara, den betroffene­n Distrikt in Kundus, hatte allerdings niemand aufgesucht, vor allem kein Angehörige­r des US-Militärs. Außerdem ist seit 2012 bekannt, dass für das Weiße Haus folgender Grundsatz gilt: Jede männliche Person im wehrfähige­n Alter, die sich im Umfeld eines Luftangrif­fs befindet, gilt per se als »feindliche­r Kombattant«. Laut dieser Doktrin sind fast alle männlichen Afghanen, auch Minderjähr­ige, »Terroriste­n«, deren Tötung erlaubt ist.

Ob gewollt oder ungewollt, unter US-Führung hat sich auch die NATO diese Doktrin schon längst zu eigen gemacht. Aus diesem Grund ist es weniger interessan­t, was NATO-Generalsek­retär Jens Stoltenber­g zum Krieg in Afghanista­n zu sagen hat. Wegweisend werden die Worte von Trump sein.

Der US-Präsident meinte bereits im August, dass der »Aufbau von Staaten« (»nation building«) nun endgültig vom Tisch sei. Stattdesse­n geht es ab jetzt es um die »Tötung von Terroriste­n«. Vor Ort war die Eskalation schon spürbar, bevor Trumps Worte vor der Weltöffent­lichkeit fielen. In der Provinz Nangarhar nahmen die US-Luftangrif­fe zu wie nirgendwo anders – und zeitgleich die Anzahl ziviler Opfer. »Für die sind wird doch sowieso alle nur Terroriste­n«, so die gängige Meinung in den Dörfern Afghanista­ns.

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