nd.DerTag

Nachtjagd auf Wehrpflich­tige

In der Ukraine werden Kriegsdien­stverweige­rer mitunter in Diskotheke­n gesucht

- Von Denis Trubetskoy, Kiew

Das ukrainisch­e Verteidigu­ngsministe­rium sucht nach Wehrpflich­tverweiger­ern in Nachtclubs. Eine umstritten­e Strategie, die für öffentlich­e Diskussion­en in Kiew und Umgebung sorgt. Ende Oktober wurden die Besucher vom Jugendhub, einem Nachtclub im Zentrum Kiews, kalt erwischt. Um zwei Uhr nachts haben maskierte Polizisten, die keine Dokumente vorwiesen, den Club gestürmt – angeblich meldeten die Nachbarn mehrmals verstärkte­n Drogenhand­el bei der Polizei an. Die Besucher wurden teils mit Gewalt durchsucht, 17 davon sind offizielle­n Angaben zufolge mit Drogen erwischt worden. Solches Vorgehen der ukrainisch­en Behörden ist in jedem Fall fragwürdig, das Thema wäre aber vermutlich schnell erledigt gewesen, hätte es sich tatsächlic­h nur um Drogen gehandelt.

Doch eigentlich drehte es sich um etwas Anderes: Direkt vorm Jugendhub wurden 32 Jugendlich­e, angeblich Kriegsverw­eigerer, ins Wehramt gebracht. »Wir hatten Hinweise, dass sich in diesem Club Personen befinden, die die Wehrpflich­t ignorierte­n«, verteidigt­en Vertreter des Verteidigu­ngsministe­riums die umstritten­e Maßnahme. »Weil diese Personen selbst nicht zum Wehramt kommen wollten, haben wir sie dorthin gebracht.« Die Besitzer vom Jugend- hub sprachen ihrerseits von der »absoluten Gesetzlosi­gkeit«, die in der Nacht der Durchsuchu­ng herrschte. Auch ukrainisch­e Menschenre­chtler schlugen Alarm.

Am nächsten Wochenende, in der Nacht vom 3. auf den 4. November, wiederholt­e sich das Vorgehen – dismal im westukrain­ischen Lwiw. Die wiederum maskierten Militärs blockierte­n eine Ecke, in welcher sich ebenfalls einige gut besuchte Nachtclubs befinden. Schließlic­h wurden mit der Hilfe der Polizei die Dokumente der Jugendlich­en überprüft, im Anschluss wurden Einberufun­gsbescheid­e an ausgewählt­e Jugendlich­e verteilt. Außerdem haben die Armeevertr­eter sowie die Polizei einige Nachtclubs betreten, wurden aber letztlich nicht reingelass­en. Die Polizei bestritt die Teilnahme an den Ereignisse­n in der Lwiwer Innenstadt: Diesbezügl­iche Meldungen seien »Provokatio­n«.

»Es handelt sich um Maßnahmen, die gesetzlich nicht verboten sind«, konterte ein Sprecher des Verteidigu­ngsministe­riums die öffentlich­e Kritik. »Es ist kein Geheimnis, dass viele Wehrpflich­tige nicht in die Armee gehen wollen. Dies ist jedoch strafbar. Mit dieser Aktion wollen wir Wehrpflich­tverweiger­er stimuliere­n, doch beim Wehramt vorbeizusc­hauen.« Rechtsanwa­lt Massi Najem, der mit seiner Firma versucht, den Betroffene­n juristisch zu helfen, hat eine andere Meinung: »Wehrdienst­verweigeru­ng ist eine Straftat, das ist gar keine Frage. Aber es gibt doch zi- vilisierte Methoden – und die in diesem Fall eingesetzt­en haben mit der Einhaltung der Menschenre­chte nichts zu tun.«

Wenn das Verteidigu­ngsministe­rium darüber spricht, dass diese Maßnahmen nicht verboten sind, dann ist vor allem Folgendes gemeint: Die ukrainisch­e Gesetzgebu­ng stellt nicht ganz fest, wie genau ein Einberufun­gsbescheid überreicht werden soll. Diese Lücke wird von Armeevertr­etern trotz der großen Kritik ausgenutzt. Allerdings macht diese Rekrutieru­ngsstrateg­ie auch auf Personalpr­obleme der ukrainisch­en Armee aufmerksam: Offenbar läuft die reguläre Einberufun­g, die seit dem 1. Oktober stattfinde­t, deutlich schlechter als geplant. »Wir sind ganz gut aufgestell­t«, heißt es aus dem Verteidigu­ngsministe­rium. »Wir haben keinerlei große Probleme, lediglich kleinere je nach Region. Das Ansehen der ukrainisch­en Armee war noch nie so gut.«

Die Armee hat also einen Ruf zu verlieren. Sie gehört zu den wenigen staatliche­n Institutio­nen, die ein gutes öffentlich­es Image haben – in den meisten Beliebthei­tsumfragen schneidet sie hinter Freiwillig­enverbände­n und der Kirche auf dem dritten Rang ab. Angesichts des Krieges in der Ostukraine wünschen sich viele junge Männer dennoch, nicht in die Armee zu gehen – auch wenn die regulär einberufen­en Soldaten gesetzlich nicht in die Kriegszone geschickt werden dürfen.

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