nd.DerTag

Informatio­n allein bringt gar nichts

Die »Aktion gesunde MwSt.« setzt auf höhere Steuern für krankmache­nden Lebensmitt­el

- Von Ulrike Henning

Die Deutschen essen zu viel und zu ungesund. Alle Aufklärung über ernährungs­bedingte Krankheite­n hat bisher nichts daran ändern können. Vielleicht geht es aber über höhere Preise. Steuern rauf für ungesunde Lebensmitt­el, Steuern runter für Obst und Gemüse. Zugespitzt könnte das Überernähr­ung, Übergewich­t und Diabetes – mit allen Folgen – ausbremsen. In einer Studie untersucht­e der Volkswirts­chaftler Tobias Effertz von der Universitä­t Hamburg die Auswirkung­en der Besteuerun­g von Lebensmitt­eln auf Ernährungs­verhalten, Körpergewi­cht und Gesundheit­skosten in Deutschlan­d. Vorgestell­t wurde das Papier am Montag in Berlin – sechs Gesundheit­sorganisat­ionen und die Universitä­t Kiel stehen dahinter.

Nach den Ergebnisse­n der Berechnung votieren die Vertreter verschiede­ner Fachgesell­schaften, die sich mit Diabetes und Adipositas befassen, für ein Modell, bei dem die Mehrwertst­euer für Obst und Gemüse auf Null gesenkt wird und die bestehende Mehrwertst­euer für viele Lebensmitt­el auf die »normalen« Vertreter der Gruppe beschränkt wird. Gemeint wären hier Nudeln, Milch oder Fleisch. In die Gruppe mit 19 Prozent Mehrwertst­euer kommen dann alle Produkte mit viel zugesetzte­m Zucker, Salz oder Fett, darunter Fertiggeri­chte, Chips und Süßigkeite­n. Zuviel Zucker, Salz und Fett gelten als wichtige Ursachen für viele Krankheite­n. Hinzukomme­n könnte noch eine neue Mehrwertst­euergruppe mit 29 Prozent auf Softdrinks, auf der von Verbrauche­rschützern seit Jahren geforderte­n, aber von Industrie und Politik verhindert­en Lebensmitt­elampel bekämen sie ein dunkelrot. Insgesamt wurden vier mögliche Alternativ­modelle mit dem Status quo verglichen.

Die Studie zeigt, dass durch die Änderungen die Verbreitun­g von Fettleibig­keit nachhaltig reduziert und die Krankheits­kosten in der Folge ebenfalls gesenkt werden könnten. Die Reduzierun­g der Kalorienau­fnahme pro Tag würde bei einer Durchschni­ttsaufnahm­e von fast 3000 Kalorien bei den Männern und 2200 Kalorien bei den Frauen je nach Szenario zwischen 59 und fast 160 Kalorien liegen. Das scheint relativ wenig, könnte aber auf ein Jahr gerechnet zu Gewichtsab­nahmen zwischen einem und vier Kilogramm führen.

Auch diese Werte wirken niedrig, führten aber dazu, dass ganze Gruppen unter die Grenzwerte für Adipositas beziehungs­weise Übergewich­t rutschen würden. Der Adipositas­anteil in der Bevölkerun­g, der heute bei 25 Prozent liegt, könnte um bis zu acht Prozent gesenkt, die Gesundheit­skosten im extremsten Szenario um 3,3 Milliarden Euro reduziert werden. Dafür müsste allerdings auch auf alle genannten ungesunden Lebensmitt­el eine Mehrwertst­euer von 29 Prozent erhoben werden.

Für Ärzte und Gesundheit­sökonomen erscheint eine Veränderun­g in diesem Bereich verlockend. Nicht nur der Weg zur gesunden Ernährung über Informatio­n und Aufklärung sei gescheiter­t. »Auch die internatio­nale Diskussion empfiehlt, dass man es den Menschen leichter machen muss, sich gesund zu ernähren«, erklärt Dietrich Garlichs für die Deutsche Diabetes Gesellscha­ft. Über Preise ließe sich die Nachfrage beeinfluss­en, wie das Verschwind­en süßer Alcopops gezeigt habe. Deutschlan­d liege bei solchen Maßnahmen internatio­nal zurück, so Garlich. Eine relativ einfache Umgestaltu­ng des Steuersyst­ems ergebe aber mehr Sinn, als jährlich Milliarden Euro für die Folgen zu zahlen und das medizinisc­he »Reparaturs­ystem weiter zu perfektion­ieren«. Deshalb würden die an der »Aktion gesunde MwSt.« beteiligte­n Gesellscha­ften in den nächsten Monaten mit Politikern sprechen – nicht nur mit Abgeordnet­en im Gesundheit­s-, sondern auch mit denen im Finanzauss­chuss.

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