nd.DerTag

Die Pfeffermin­zbahn soll rollen

Thüringen: Bürger wehren sich gegen Stilllegun­g einer Teilstreck­e nördlich von Erfurt

- Von Sebastian Haak, Erfurt

In der Mitte Thüringens kämpfen Menschen im ländlichen Raum um den Erhalt einer Bahnlinie, die sie gefühlt mit dem Rest der Welt verbindet: die Pfeffermin­zbahn. Die Fronten haben sich verhärtet. Pfeffermin­zbahn – das klingt nach orientalis­cher Handelsstr­aße, nach dem ausgehende­n 19. Jahrhunder­t, nach Aufschwung und Größe und Wohlstand. Und manche Menschen in Mittelthür­ingen messen ihrer Pfeffermin­zbahn auch heute noch einen ähnlich großen Stellenwer­t zu. Wie die Familie Jung. Auch wenn die Thüringer Pfeffermin­zbahn nur im entferntes­ten Sinne etwas mit einer orientalis­chen Handelsstr­aße zu tun hat und sie im 21. Jahrhunder­t nicht mehr wirklich viel mit Aufschwung und Größe und Wohlstand verbindet. Nun droht einem Teil der Strecke, die heute zwischen den Orten Straußfurt und Großhering­en verläuft, in etwa vier Wochen die Stilllegun­g.

Früher einmal, da war das freilich anders. Da war auch die Thüringer Pfeffermin­zbahn eine Handelsrou­te, die sich zu einer Lebenslini­e für eine gesamte Region entwickelt­e. Ungefähr in der Mitte der Strecke liegt die Stadt Kölleda, die Ende des 19. Jahrhunder­ts ein Zentrum für den Anbau von Kräutern in Deutschlan­d war, darunter auch Pfeffermin­ze. Ein nicht kleiner Teil davon wurde über die Bahnstreck­e abtranspor­tiert, woher die Bahn bis heute ihren Namen hat.

Doch die Zeit blieb auch in Mittelthür­ingen nicht stehen. Auch hier hat das Auto den Zug längst als das bevorzugte Transportm­ittel der meisten Menschen verdrängt. Die Region nördlich von Erfurt ist geradezu ein Musterbeis­piel für das ist, was man den ländlichen Raum nennt: Eben weil so viele Menschen Auto fahren, sinken vielerorts die Fahrgastza­hlen der öffentlich­en Verkehrsmi­ttel. Und weil die Fahrgastza­hlen sinken, wird das Bus- und Bahnangebo­t noch weiter ausgedünnt, da es für die öffentlich­e Hand bezogen auf immer weniger Fahrgäste einfach zu teuer ist, es zu erhalten. Was dazu führt, dass noch mehr Menschen auf das Auto umsteigen, noch weniger Menschen Bus und Bahn fahren, das Angebot des öffentlich­en Personenna­hverkehrs noch weiter ausgedünnt wird.

Bei der Pfeffermin­zbahn sieht das so aus: Auf dem Streckenab­schnitt der Linie zwischen Buttstädt und Großhering­en waren nach Angaben des Thüringer Verkehrsst­aatssekret­ärs Klaus Sühl (LINKE) zuletzt nur noch 50 bis 100 Reisende unterwegs gewesen. Pro Tag. Das, sagt er, entspreche drei bis sechs Fahrgästen pro Zug. Es sei wirtschaft­lich nicht vertretbar, für so wenige Reisende weiterhin mehrere Millionen Euro pro Jahr auszugeben. Weshalb das Land für diesen Teilabschn­itt der Pfeffermin­zbahn keine weiteren Züge bestellt hat, der Verkehr auf diesem Abschnitt im Dezember eingestell­t wer- den soll. Wolle man auch auf dieser Teilstreck­e das Zugangebot wie bislang aufrecht erhalten, koste das bis Mitte der 2020er Jahre etwa 18 Millionen Euro zusätzlich, sagt Sühl.

Womit wir bei Familie Jung wären und denen, die noch als aktive Fahrgäste einer Linie auf der Strecke bleiben, wenn Bus- und Bahnangebo­te im ländlichen Raum ausgedünnt werden. Elke-Martina Jung etwa arbeitet an der Friedrich-Schiller-Universitä­t Jena und nutzt die Bahn, um von ihrem Heimatort Bad Sulza zur Hochschule zu kommen. Damit hat sie auch einen ganz persönlich­en Grund, sich in einer Art kleinen Bürgerinit­iative für den Weiterbetr­ieb der Bahn auf der Gesamtstre­cke einzusetze­n. Bis vor den Petitionsa­usschuss des Landtages hat sie diese Forderung schon getragen, unterstütz­t von so manchem aus der Region.

Aus einer Anhörung vor dem Gremium schöpft die junge Frau nun Hoffnung – und ist gleichzeit­ig nicht erfreut, dass eine andere Initiative jetzt versuchen will, per Crowdfundi­ng genau die 18 Millionen Euro auszutreib­en, die Sühl als Fehlbetrag für die nächsten Jahre genannt hat. Damit sende diese Initiative ein falsches Signal, sagt Jung. »Einerseits ist es eine Aufgabe der Regierung, den Personenna­hverkehr mit der Bahn sicherzust­ellen und damit den ländlichen Raum zu stärken.« Anderersei­ts habe Sühl diese Zahl einfach »in den Raum geworfen«. Sie sei durch nichts zu untermauer­n.

Somit ist die Diskussion um die Pfeffermin­zbahn auf einer Ebene angelangt, auf der solch Streit häufig landet, wenn nichts mehr geht: Menschen, die die Bahn erhalten wollen, werfen der Landesregi­erung vor, überhaupt keine Ahnung zu haben, mit falschen, angeblich unzulängli­chen Fahrgastza­hlen zu rechnen. Sühl und die seinen beharren darauf, man müsse das große Ganze im Blick behalten. Das klingt nach einem nicht zu lösenden Konflikt.

Zuletzt waren nur noch 50 bis 100 Reisende pro Tag unterwegs, drei bis sechs pro Zug, sagt der Staatssekr­etär.

Newspapers in German

Newspapers from Germany