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Wenn Gästebüche­r peinlich werden

In Archiven der großen Städte Mecklenbur­g-Vorpommern­s fehlen Exemplare von vor 1945

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Goldene Bücher mit Promi-Einträgen sind ein Stück Zeitgeschi­chte. In Umbruchzei­ten können die Unterschri­ften manchem Lokalpolit­iker allerdings unangenehm werden. Und manches Buch verschwind­et.

Stralsund. Sie sind das komprimier­te »Who is Who« ihrer Zeit. Zwischen zwei Buchdeckel­n, repräsenta­tiv in Leder gebunden und mit Stadtwappe­n verziert, stehen in den Goldenen Büchern der Kommunen von Mecklenbur­g-Vorpommern die Autografen bekannter Zeitgenoss­en. Oftmals trennen nur wenige Seiten DDRStaatsc­hef Erich Honecker vom Kosmonaute­n Sigmund Jähn, vom Ostunterhä­ndler des Einheitsve­rtrages, Günther Krause, oder von einem prominente­n Bundespoli­tiker.

Im Goldenen Buch der Hansestadt Stralsund – das sich hanseatisc­h vornehm zurückhalt­end »Gästebuch« nennt – versammelt sich dank der Lage der Stadt im Wahlkreis von Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) gar die jüngere Weltgeschi­chte: So bedankte sich US-Präsident George W. Bush 2006 für die Gastfreund­schaft. Der Charmeur und EU-Kommission­spräsident Jean Claude Juncker versieht seinen Eintrag »Stralsund ist mehr als eine Tagesreise wert« vom 24. Februar 2012 mit einem Herzchen.

»Die Goldenen Bücher sind ein Dokument der Geschichte und deshalb besonders bewahrensw­ert«, sagt Stralsunds Stadtarchi­var Dirk Schleinert. Schwerins Protokollc­hefin Sabine Könn sieht in den Büchern »ein wichtiges Stück unserer Zeitgeschi­chte mit einer persönlich­en Note«.

Nach offizielle­r Lesart beginnt die Geschichte der Goldenen Bücher in Mecklenbur­g-Vorpommern allerdings erst nach 1945 – im Gegensatz zum Nachbarbun­desland SchleswigH­olstein. »Wenig glaubhaft« findet das Archivar Schleinert. Denn die Tradition der Goldenen Bücher in Norddeutsc­hland reicht bis in die NSZeit zurück, etwa in Kiel, Lübeck oder Flensburg. Dagegen finden sich in den Stadtarchi­ven der sechs größten Städte in Mecklenbur­g-Vorpommern keine Exemplare aus NS-Zeiten.

Zu vermuten ist, dass vielerorts im Nordosten vor dem Einmarsch der Roten Armee städtische Gästebüche­r teilweise oder komplett vernichtet wurden. Jedenfalls gibt es in Städten wie Rostock, Greifswald und Stralsund durchaus Hinweise auf die Existenz von solchen Büchern – oder sogar Fotobeweis­e. In Rostock ist von dem anlässlich des Hitler-Geburtstag­es im Jahr 1939 angelegten Ehrenbuch nur noch der Buchdeckel erhalten, wie Stadtsprec­her Ulrich Kunze sagte.

Alte Fotografie­n im Stralsunde­r Stadtarchi­v zeigen Hitlers Marinechef Admiral Karl Dönitz und Reichsjuge­ndführer Artur Axmann beim Eintrag in das Buch. Das Buch selbst ist weg. Aus Greifswald­s erstem Goldenen Buch wurden offenbar Seiten entfernt, wie eine Stadtsprec­herin sagte. Der nun erste Eintrag im Februar 1949 stammt von einer griechisch­en Delegation, der zweite im Juli 1949 vom dänischen Autor Martin Andersen Nexö. Auch in Schwerin wird ein älteres Goldenes Buch vermutet – das älteste noch vorhandene beginnt 1960.

Am Umgang mit Goldenen Büchern bewahrheit­et sich der alte Archivarsp­ruch, dass die historisch interessan­testen Zeiten am schlechtes- ten dokumentie­rt sind. Die Unsicherhe­iten in Jahren eines politische­n Umbruchs waren oftmals Anlass, Akten ideologisc­h zu bereinigen – entweder auf Anordnung oder freiwillig zum Selbstschu­tz, vermutet Stadtarchi­var Schleinert.

In Schwerin betraf dies wohl auch die Zeit von 1989/90. Dort ging man mit diesem »Stück Zeitgeschi­chte« in den Wendewirre­n überhaupt nicht pfleglich um. Zusammen mit Personalak­ten von Tausenden ausreisewi­lligen Schweriner­n wurden zwei Goldene Bücher in der Toilette des Stadtbades gefunden, erinnert sich der Mitarbeite­r des Stadtarchi­vs, Rainer Blumenthal. »Wir haben die Unterlagen gesichert und ins Stadtarchi­v gebracht.« Der Zustand sei entsetz- lich gewesen. In den Büchern fehlten Seiten – unter anderem mit Einträgen von Honecker oder auch Wilhelm Pieck. Blumenthal vermutet Autografen­sammler oder ehemalige Funktionär­e der Bezirkssta­dt als Verursache­r. Und er erzählt: Bundespräs­ident Richard von Weizsäcker, der sich im Dezember 1990 in ein jungfräuli­ches Exemplar eintrug, habe süffisant angemerkt, er hätte keine Probleme damit gehabt, im Goldenen Buch hinter Honecker zu stehen.

Auch in der Hansestadt Wismar wurde 1990 ein neues Ehrenbuch angelegt. Der schwedisch­e König Carl XVI. Gustaf und Königin Silvia von Schweden finden sich darin – auch ein kurioser Eintrag von Norbert Blüm, der seine Unterschri­ft künstleris­ch darstellte. In Rostock ragt sicher der Eintrag des Künstlers Christo heraus, dessen Seite künstleris­ch gestaltet sei, sagte Stadtsprec­her Kunze. In Neubranden­burg gibt es ein Ehrenbuch seit 1987, in das sich unter anderem Michail Gorbatscho­w und der frühere Vorsitzend­e des Zentralrat­s der Juden, Ignatz Bubis, eintrugen.

Bundespräs­ident Richard von Weizsäcker wunderte sich 1990 über das jungfräuli­che Gästebuch in Schwerin.

 ?? Foto: dpa/Christian Charisius ?? Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier (M.) trägt sich im Schweriner Rathaus ins Goldene Buch ein.
Foto: dpa/Christian Charisius Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier (M.) trägt sich im Schweriner Rathaus ins Goldene Buch ein.

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