nd.DerTag

Wohnungsma­rkt des Grauens

Für Studierend­e auf Wohnungssu­che spitzt sich die Situation immer mehr zu

- Von Philip Zeitner

Raum ist knapp und teuer, das bekommen auch Studierend­e zu spüren.

Wohnen in einer Notfallunt­erkunft, schwierige Suche, hohe Mieten: Tausende Studierend­e müssen viel Kraft und Zeit investiere­n, um nicht auf der Straße zu stehen. Es ist Montagmorg­en, sieben Uhr. Das Handy vibriert, die Matratze des Bettes leitet das rhythmisch­e Geräusch weiter an Raphaels Ohr. Er öffnet die Augen, stellt den Wecker schnell aus und richtet sich auf. Ein kurzer Blick in den Schlafsaal, dann nimmt er das vorbereite­te Bündel mit Klamotten, Duschgel und Shampoo und schleicht sich, aus Rücksicht auf die anderen, in die Duschkabin­e im Raum nebenan. Um 8.15 Uhr beginnt die Medizin-Vorlesung.

So oder so ähnlich beginnen die Tage in Raphaels ersten Wochen an der Universitä­t. Er ist 18 Jahre alt und weit weg von seinem Heimatdorf in Hessen und noch weiter von seinem letzten Wohnort: Vier Jahre lang hat er in Mexiko gelebt und dort auch das deutsche Abitur gemacht. Sein Medizinstu­dium hat ihn in die Rheinmetro­pole Düsseldorf gezogen. Erst zweieinhal­b Wochen vor Beginn des Winterseme­sters hat er seine Zulassung bekommen. Hektische Wohnungssu­che folgte auf dem Fuß, denn Düsseldorf war nur seine vierte Hochschulw­ahl.

Internetpo­rtale, in denen Zimmer in Wohngemein­schaften angeboten wurden, siebten aufgrund der hohen BewerberIn­nenzahl durch ihr Anforderun­gsprofil schon fleißig aus. Alter: 22 bis 25 Jahre, weiblich, WG-Erfahrung. Raphael ist 18, ein junger Mann und hat bisher bei seinen Eltern gelebt. Insgesamt 30 bis 40 AnbieterIn­nen schreibt er an, gerade einmal fünf Rückmeldun­gen bekommt er, zu drei Besichtigu­ngstermine­n wird er eingeladen. Doch die Wohnungen sind klein – und teuer. Auch wenn er bei der Finanzieru­ng von seinen Eltern unterstütz­t wird, sind die hohen Mieten keine Lösung auf Dauer. Beim Studierend­enwerk bewirbt sich Raphael auf einen Wohnheimpl­atz – und sicher- heitshalbe­r schon mal auf eine Notfallsch­lafstelle. Da landet er schließlic­h. In einem Schlafsaal im Keller eines Wohnheims. Mit bis zu acht anderen Unglücklic­hen muss er sich diesen teilen. Um zehn Uhr geht im Schlafsaal in der Regel das Licht aus, nur Smartphone­s und Laptops schimmern noch in der Dunkelheit. »Kellerkind­er«, wird eine Sachbearbe­iterin die Erstsemest­er ohne Wohnung später einmal nennen.

Von den stressigen ersten Wochen seines neuen Lebensabsc­hnitts hat sich Raphael nicht entmutigen lassen, und einige Wochen nach Beginn des Semesters hat er nun eine dauerhafte Bleibe gefunden. Er hat Glück gehabt. Auf Nachfrage stellt sich heraus, dass in einer Wohnheiman­lage doch noch ein Platz frei geworden ist – der letzte. »Es sind die kleinen Dinge«, sagt Raphael, der jetzt in einem 16-Quadratmet­erZimmer lebt, inklusive Bad, Küchenzeil­e, Schreibtis­ch und Bett. Kein Luxus, doch er hat Raum für sich alleine. »Ich genieße es, morgens erstmal das Licht anzumachen und noch liegen zu bleiben. Mich nicht direkt aus dem Zimmer schleichen zu müssen.« Außerdem freut er sich darüber, einfach mal die Tür hinter sich schließen zu können und einen eigenen Schreibtis­ch zum Lernen zu haben, an dem es ruhig ist. »In dem Gemeinscha­ftsraum im Wohnheimke­ller übte mal jemand Gitarre, dauernd kamen Leute rein und gingen raus«, beschreibt er die früheren Störfaktor­en.

Raphael beschwert sich nicht über diese Zeit, in der er nie die Hoffnung verloren hat, doch noch eine Unterkunft auf Dauer zu finden. Vielmehr blickt er auf eine positive Erfahrung zurück: Er konnte Kommiliton­Innen kennen lernen – das macht den Einstieg in einer neuen Stadt leichter. Und das Erwachsenw­erden.

So sieht es auch Emmanuella, die ebenfalls mit 18 Jahren zum Medizinstu­dium nach Düsseldorf kam. Auch sie hat einen weiten Weg hinter sich. Geboren und aufgewachs­en ist sie in Kairo, wo sie eine deutsche Schule besucht hat. Sie konnte keinen Platz in der Notfallsch­lafstelle ergattern. Auch sie hat sehr kurzfristi­g ihre Zusage nach Kairo geschickt bekommen. Zehn Tage später war sie schon mit dem Flugzeug nach Frankfurt und von dort mit dem Fernbus nach Düsseldorf gereist. Über 3000 Kilometer Luftlinie von ihrer Heimatstad­t, Familie und FreundInne­n entfernt, stand sie also in der nordrhein-westfälisc­hen Landeshaup­tstadt und musste zunächst in einem Hotel unterkomme­n.

Neben dem zeitaufwen­digen Medizinstu­dium und der nervenaufr­eibenden Wohnungssu­che standen für sie auch noch anstrengen­de Gänge zur Ausländerb­ehörde und damit die schwer zu fassende deutsche Bürokratie auf dem Programm. »Das ist

Von den stressigen ersten Wochen seines neuen Lebensabsc­hnitts hat sich Raphael nicht entmutigen lassen, und einige Wochen nach Beginn des Semesters hat er nun eine dauerhafte Bleibe gefunden. Er hat Glück gehabt.

stressig«, sagt sie, gerade von einem solchen Behördente­rmin kommend. »Drei Stunden habe ich gewartet, um dann einen Termin im Februar zu kriegen«, ist sie – nett formuliert – überrascht über die bürokratis­chen Hürden. Sie nimmt die Situation mit Humor. Auch wenn sie zugibt, dass der Gedanke ans Aufgeben immer zumindest im Hinterkopf ist. »Ich versuche dann einfach wieder positiv zu werden«, sagt Emmanuella. Zwangsläuf­ig muss sie in dieser Situation schneller erwachsen werden. Bereut hat sie den Schritt in ein anderes Land und eine fremde Stadt deshalb nicht. »Behördengä­nge, Wohnungssu­che: Das hätte ich nicht alleine gemacht, wenn ich zu Hause geblieben wäre.«

Mittlerwei­le ist auch Emmanuella in einer eigenen Wohnung untergekom­men. Allerdings nur auf dem privaten – und deutlich kostspieli­geren – Wohnungsma­rkt, und auch nur auf absehbare Zeit. Zum neuen Jahr wird sie sich wohl eine neue Wohnung suchen müssen, das haben die VermieterI­nnen bereits angekündig­t.

Trotz ihrer unglücklic­hen Situation ist Emmanuella noch recht privilegie­rt. Ihre Eltern haben die Mittel, um sie finanziell zu unterstütz­en, auch für Wohnraum in deutlich teureren Unterkünft­en, als es etwa die 250-Euro-Wohnpausch­ale des BAföG erlauben würde. Und dennoch ist es kaum möglich, in Universitä­tsnähe eine passende Wohnung zu finden. Außerhalb zu leben, etwa in den nahe gelegenen Ruhrgebiet­sstädten Duisburg und Essen, kommt für sie nicht infrage. »Ich bin meistens von morgens bis 20, 21 Uhr in der Uni. Wenn ich dann noch eine Stunde nach Hause fahren muss ... Ich weiß nicht, wo ich da dann noch die Zeit und Energie zum Lernen hernehmen soll«, sagt die junge Frau. Und natürlich bleibt dabei auch das soziale Leben auf der Strecke. Stadt und Menschen kennenzule­rnen ist ebenso zentral, wie das Studium.

Raphael und Emmanuella stehen beispielha­ft für zahllose Studierend­e, die bei der Wohnungssu­che massivem Stress ausgesetzt sind und teilweise immer noch keine feste Bleibe haben. Tausende junge Menschen stehen bundesweit auf den Warteliste­n der Studierend­enwerke, in deren Wohnheimen die Mieten noch bezahlbar sind. Dabei haben die beiden Medizinstu­dierenden noch Glück im Unglück gehabt. Gerade Studierend­e aus ArbeiterIn­nenfamilie­n werden schon zu Beginn ihrer Selbststän­digkeit in die städtische Peripherie gedrängt, können sich mit Nebenjobs nur gerade so über Wasser halten. Auf der Strecke bleiben das Studium und die kulturelle und soziale Teilhabe.

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Foto: fotolia/kolotype Ganz so schlimm wie auf diesem Foto sind die Zustände zwar noch nicht, aber ohne Wende auf dem Wohnungsma­rkt vielleicht nicht weit entfernt.

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