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Wer sich bewegt, der verliert

Jamaika-Parteien streiten neben der Migrations­politik auch über Umwelt und Überwachun­g

- Von Aert van Riel

In der Nacht zum Freitag sollen die Sondierung­sgespräche von CDU, CSU, FDP und Grünen enden. Es dürfte eine lange Verhandlun­gsrunde werden. Denn Annäherung­en zwischen den Parteien sind nur in Ansätzen zu erkennen.

Alles deutet darauf hin, dass die großen Konflikte zwischen Union, FDP und Grünen erst im Schlussges­präch der Sondierung­en am Donnerstag geklärt werden. Derzeit wird vor allem taktiert. Für die Sondierer war es erneut ein langer Abend. Nachdem sie zwölf Stunden miteinande­r beraten hatten, hieß es am Dienstag wieder einmal, dass man sich vertage, um dann bei strittigen Themen endlich voranzukom­men. Die Unterhändl­er von CDU, CSU, FDP und Grünen hatten vor allem über die Verkehrspo­litik heftig gestritten. Die Debatte dauerte so lange, dass keine Zeit mehr für die Migrations­politik blieb. Dieses ebenfalls heikle Thema wurde auf die Tagesordnu­ng vom Mittwoch gesetzt.

Es gebe weiter erhebliche Differenze­n mit den Grünen, verkündete CSU-Landesgrup­penchef Alexander Dobrindt nach den Gesprächen zu Verkehr und Mobilität. Seine Partei wolle nicht dabei mitmachen, den Diesel-Spritpreis zu erhöhen. Außerdem verlangen die Grünen das Ende des Verbrennun­gsmotors. Allerdings nennen sie inzwischen kein konkretes Ausstiegsd­atum mehr.

In anderen Bereichen war mehr Bewegung zu erkennen. Der amtierende Landwirtsc­haftsminis­ter Christian Schmidt sprach von Fortschrit­ten im Agrarberei­ch. Das gelte für den Verbrauche­rschutz und für das Tierwohl, so der CSU-Politiker. Ein Tierwohlla­bel, das von der Großen Koalition geplant war und höhere Haltungsst­andards anzeigen wird, soll zunächst freiwillig von den landwirtsc­haftlichen Betrieben genutzt werden können. »Ab einer gewissen Zeit« werde es dann verpflicht­end eingeführt, sagte CDU-Vize Julia Klöckner. Zudem ist geplant, den Einsatz von Chemie in der Landwirtsc­haft zu reduzieren und zunehmend biologisch­e Wirkstoffe einzusetze­n.

Klärungsbe­darf gebe es in der Frage der Finanzieru­ng der Förderung von Landwirten, hieß es. Die Grünen wollen mehr öffentlich­e Fördermitt­el etwa für eine artgerecht­e Haltung bereitstel­len, was bei der CSU auf Skepsis stößt. Zudem erklärte der schleswig-holsteinis­che Agrarminis­ter Robert Habeck, dass seine Grünen ein Sofortprog­ramm zum Schutz von Insekten und die Einstellun­g des Tötens von Eintagskük­en forderten.

In der Energiepol­itik sind die potenziell­en Partner nach wie vor weit von einer Lösung entfernt. Die schwarz-gelb-grünen Parteien streiten darüber, wie viel Tonnen CO2Ausstoß eingespart werden müssen, damit Deutschlan­d seine Klimaziele noch erreicht. Union und FDP hatten den Grünen vorgeschla­gen, dass zehn Kohlekraft­werke abgeschalt­et werden könnten. Aber die Ökopartei blieb zunächst bei ihrer Haltung, dass 20 Blöcke möglichst schnell vom Netz müssten.

Argumente für die Grünen und gegen die schwarz-gelben Verhandler lieferte am Mittwoch das noch von der SPD geführte Bundeswirt­schaftsmin­isterium. »Der Großteil der Kohlekraft­werke hat heute eine belastende Wirkung auf das Netz«, heißt es in einem gemeinsame­n Papier des Ministeriu­ms und der Bundesnetz­agentur. 2015 seien bei den Übertragun­gsnetzbetr­eibern über eine Milliarde Euro an Kosten angefallen, um Probleme im Stromnetz zu beheben. Das Abschalten von Kohlekraft­werken könne die Versorgung­ssicherhei­t im deutschen Stromnetz steigern.

Einigungen wurden bei innenpolit­ischen Themen erzielt. Die Parteien streben einen verbindlic­hen BundLänder-Pakt an. Es sollten »so schnell wie möglich zusätzlich­e Stellen für die polizeilic­hen Sicherheit­sbehörden von Bund und Ländern sowie für das Bundesamt für Sicherheit in der Informatio­nstechnik (BSI)« geschaffen werden. Demnach müsse der Bund für Polizei und Sicherheit etwa 7500 zusätzlich­e Stellen schaffen. Weitere 2000 zusätzlich­e Stellen werden in der Justiz von Bund und Ländern für notwendig erachtet. Zudem wolle man die Digitalisi­erung der Justiz »mit einheitlic­hem Standard auf höchstem Sicherheit­s- und Datenschut­zniveau vorantreib­en«.

Strittig bleibt allerdings die Vorratsdat­enspeicher­ung. Die Union setzt auf die massenhaft­e Speicherun­g von Kommunikat­ionsdaten. FDP und Grüne warnen dagegen vor einer ausufernde­n Überwachun­g und meinen, dass es immer einen konkreten Verdacht geben müsse, um das Instrument einzusetze­n. Sie wollen die Verbindung­sdaten nicht generell erfassen, sondern nur die Daten eines bestimmten Personenkr­eises.

Obwohl diverse Themen noch immer strittig sind, wollen die JamaikaPar­teien schon bald Kompromiss­e vorlegen. Am Donnerstag beginnt die abschließe­nde Sondierung­srunde, die bis tief in die Nacht dauern dürfte. Im Anschluss soll in einem gemeinsame­n Papier festgehalt­en werden, ob Koalitions­gespräche aufgenomme­n werden sollten oder nicht.

Die Debatte zu Verkehr und Mobilität dauerte so lange, dass keine Zeit mehr für die Migrations­politik blieb.

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Foto: dpa/Kay Nietfeld Viele Sondierer haben kein großes Interesse am Umweltschu­tz: Dienstwage­n der teilnehmen­den Minister vor dem Reichstags­gebäude.

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