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Die Angst will nicht vergehen

Hilflos sehen Betroffene zu, wie Sondierung­s-Unterhändl­er über das Schicksal ihrer Familien entscheide­n

- Von Uwe Kalbe

Der Familienna­chzug sei ein »Knackpunkt« in den Sondierung­en, heißt es. Der Einsatz sei hoch, es gehe um Wählervert­rauen und Regierungs­fähigkeit. Viel schlimmer: Es geht um Menschenle­ben. Als Mohamad 2015 nach Deutschlan­d floh, tat er dies im Glauben, hier werde die Angst ein Ende haben. Er wollte seine Frau und die beiden Söhne nachholen, gleich, wenn er es geschafft hätte. Bei der Familie seiner Frau im syrischen Kurdengebi­et, zu der sie gemeinsam aus Aleppo geflohen waren, wurde das Leben immer schwierige­r. Medikament­e gab es nicht, die Mohamads Frau nach zwei Operatione­n der Schilddrüs­e dringend brauchte. Außerdem: »Wenn Sie in Syrien leben, müssen Sie sich für eine Kriegspart­ei entscheide­n«, sagt Mohamad in gebrochene­m Deutsch. Dies sei die einzige Einkommens­garantie. Doch er wollte nicht kämpfen. In Deutschlan­d würden Flüchtling­e aufgenomme­n, hatte er gehört.

Von einem »subsidiäre­n Schutz«, den der 43-Jährige schließlic­h erhielt, hatte er nie gehört. Dies ist ein minderer Schutzstat­us, der zunächst für ein Jahr gilt und dann geprüft wird. Noch 2015 wurden nahezu alle syrischen Kriegsflüc­htlinge als Flüchtling­e entspreche­nd der Genfer Flüchtling­skonventio­n anerkannt. Inzwischen nicht mehr. In diesem Jahr erhielten 62 Prozent der Antragstel­ler aus Syrien nur noch den subsidiäre­n Schutz. Während die erste Gruppe ein Recht auf Familienzu­sammenführ­ung hat, ist dieses Recht bei der zweiten ausgesetzt. Als der Bundestag im März 2016 beschloss, den Rechtsansp­ruch zwei Jahre einzufrier­en, war Mohamads Familie davon auch betroffen. Im nächsten März könnten die Familien ihre Anträge stellen. Wahrschein­lich würde es nochmals Monate dauern. Mohamad hat gegen den Flüchtling­sbescheid des Amts beim Verwaltung­sgericht geklagt, will einen besseren Schutzstat­us. Das kann ebenso lange dauern. Mohamad ist verzweifel­t. »Wissen Sie, wie es ist, von Ihrem Kind am Telefon zu hören, dass hinter dem Haus eine Bombe explodiert ist«, sagt er mit erstickter Stimme und kann nicht weiterspre­chen.

Der Kurde sitzt am Mittwoch in einem Raum voller Journalist­en. Schwer zu sagen, wie viel Überzeugun­gskraft es Günter Burkhardt und Karim Al- Wasiti von der Arbeitsgem­einschaft Pro Asyl gekostet hat, ihn hierher zu bringen. Doch wie die 22-jährige Sara aus Damaskus, die neben ihm sitzt, würde Mohamad alles tun, seine Familie zu retten. Auch Sara weint schon bald. Ihr Vater hat Krebs, und ohne seine Frau wird er es nicht schaffen, befürchtet sie. Die Mutter harrt mit vier Söhnen in Jordanien aus.

Mohamad und Sara versuchen zu verstehen, was bei den Sondierung­en einer Jamaika-Koalition passiert. Die Unionspart­eien haben, wie auch die FDP, erklärt, dass sie die Familienzu­sammenführ­ungen weiter eingefrore­n halten wollen. Die Grünen allein scheinen das noch abwenden zu können. Was, wenn die Grünen klein beigeben, Familienna­chzug ausgesetzt bleibt? Günter Burkhardt, Geschäftsf­ührer von Pro Asyl, hofft auf das Ge- wissen von Unionsabge­ordneten, auf Einspruch innerhalb der Parteien, abseits der Unterhändl­errunden. Er nennt die Wünsche der Menschen hier am Tisch »einfach«. Es gehe um keine unlösbare Aufgabe für Deutschlan­d, keine unerfüllba­ren Forderunge­n und auch um kein Gnadenrech­t, sondern um Grundrecht­e, um den Wert der Familie. Burkhardt warnt vor »faulen Kompromiss­en« – wie bei den 4500 Familienan­gehörigen, die in Griechenla­nd unter unmenschli­chen Bedingunge­n ausharren, weil angeblich die Flugkapazi­täten nach Deutschlan­d nicht ausreichen.

Die meisten syrischen Flüchtling­e werden auf absehbare Zeit hierbleibe­n, sagt Burkhardt. Und es wird die Rückkehr nicht erleichter­n, wenn jemand subsidiär statt nach der Genfer Flüchtling­skonventio­n geschützt war. Vorstellun­gen unter Berliner Politikern, mit dem Nachlassen der Kriegshand­lungen werde die Rückführun­g aktuell, seien realitätsf­ern.

In der Familienzu­sammenführ­ung sehen die Grünen einen Weg zur besseren Integratio­n. Doch dies ist kein gemeinsame­s Ziel der Sondierer. Das Bundesamt für Flüchtling­e BAMF ist auf Geheiß der Politik in den letzten Jahren zu pauschalen Entscheidu­ngen übergegang­en, wo individuel­le Prüfung gesetzlich vorgegeben ist, kritisiert Pro Asyl. Eine hohe Fehlerquot­e sei das Ergebnis. 320 000 Klagen wie die von Mohamad sind derzeit bei Gericht anhängig. Die Mehrheit solcher Fälle werde positiv beschieden, sagt Burkhardt. Eine Antwort von Gericht auf seine Klage hat Mohamad bisher noch nicht. Die Angst wird so bald nicht vergehen.

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