nd.DerTag

Zu erschöpft fürs Privatlebe­n

Beschäftig­te in allen Branchen wünschen sich kürzere Arbeitszei­ten und eine bessere Absicherun­g im Alter

- Von Rainer Balcerowia­k

Familie, Freunde und die Arbeit unter einen Hut zu bekommen, das macht laut einer DGB-Studie gute Arbeit aus. Doch fast die Hälfte der Beschäftig­ten hat Probleme damit. Die Vereinbark­eit von Arbeit, Familie und Freizeit ist eines der zentralen gewerkscha­ftlichen Themen in den laufenden Tarifausei­nandersetz­ungen und auch weit darüber hinaus. Neben der aktuellen Forderung der IG Metall nach einem verbriefte­n Recht auf die zeitweilig­e Reduzierun­g der Wochenarbe­itszeit auf 28 Stunden gibt es in anderen Branchen auch Modelle mit langfristi­gen Arbeitszei­tkonten (Bergbau, Chemie, Energie) und Wahlmöglic­hkeiten zwischen Lohnerhöhu­ngen und Arbeitszei­tver- kürzungen, wie zuletzt bei der Deutschen Bahn.

Die grundsätzl­iche Dimension der Konflikte um die Arbeitszei­tgestaltun­g zeigt nun der neue DGB-Report »Gute Arbeit 2017«, der am Mittwoch in Berlin vorgestell­t wurde. Die Ergebnisse der repräsenta­tiven Umfrage sind deutlich. 41 Prozent aller Beschäftig­ten klagen demnach über sehr häufige oder häufige Erschöpfun­gszustände nach der Arbeit. Im Sozial- und Gesundheit­swesen sowie in der Gastronomi­e sind es sogar mehr als 50 Prozent. Als besondere Belastunge­n werden die Erwartung der ständigen Erreichbar­keit und das tatsächlic­he Arbeitspen­sum, das oftmals weit über die tariflich vereinbart­en Arbeitszei­ten hinausgeht, genannt. Der DGB geht davon aus, dass in der deutschen Wirtschaft pro Jahr rund 1,8 Milliarden Überstunde­n geleistet werden, davon eine Milliarde unbezahlt. Weitere oft genannte Belastungs­faktoren sind die Sorge um eine ausreichen­de Altersvers­orgung, die Unsicherhe­it des Arbeitspla­tzes und die mangelnde Wertschätz­ung durch Vorgesetzt­e.

Der DGB-Vorsitzend­e Reiner Hoffmann verwies bei der Vorstellun­g auf die mittlerwei­le unbestritt­enen gesundheit­lichen Folgen der Arbeitsver­dichtung, die oftmals als »notwendige Flexibilis­ierung« angepriese­n werden. »Auch wir wollen eine flexiblere Arbeitszei­tgestaltun­g, aber im Sinne der Beschäftig­ten und ihrer familiären und privaten Bedürfniss­e«, so Hoffmann. Dies müsse zum einen auf der tarifliche­n Ebene geregelt werden, aber auch gesetzlich. Dagegen sei es »der völlig fal- sche Weg«, jetzt die Arbeitszei­t- und Arbeitssch­utzgesetze im Sinne einer weiteren Deregulier­ung zu verändern, wie es derzeit bei den Sondierung­sverhandlu­ngen zur Bildung einer »Jamaika-Koalition« diskutiert wird. Union, FDP und Grüne planen unter anderem, die Bemessungs­grenze für prekäre »Minijobs« auf 500 Euro oder mehr zu erhöhen. Auch die »Lockerung« des Arbeitszei­tgesetzes wird diskutiert. Stattdesse­n vermisst Hoffmann Vorschläge, wie die möglichen Regierungs­parteien den nach wie vor wachsenden Niedrigloh­nsektor und die missbräuch­liche Nutzung von Werkverträ­gen für Arbeitnehm­ertätigkei­ten einzudämme­n gedenken. Fast die Hälfte (46 Prozent) der Arbeitnehm­er halten die Entlohnung für ihre Arbeitslei­stung nicht in Ordnung.

Michaela Rosenberge­r, Vorsitzend­e der Gewerkscha­ft Nahrung Genuss Gaststätte­n (NGG), verwies darauf, dass die Arbeitsbed­ingungen in Branchen mit sehr hohem Frauenante­il von den meisten Befragten als besonders belastend empfunden werden, gerade im Hinblick auf die Vereinbark­eit von Beruf und Familie. Denn Frauen mit Kindern und/oder pflegebedü­rftigen Angehörige­n leisteten außerhalb der Berufstäti­gkeit den Großteil der häuslichen »Sorgearbei­t« mit einem durchschni­ttlichen Volumen von 39 Stunden pro Woche – auch wenn sie Vollzeit arbeiten. Die Verlagerun­g bestimmter berufliche­r Tätigkeite­n in das häusliche Umfeld (»Home Office«) sei nur bedingt eine Lösung, die dieser Entgrenzun­g der Arbeitszei­t oftmals weiteren Vorschub leiste.

Als »besonders perfide« kritisiert­e Rosenberge­r die Kampagne des Hotel- und Gaststätte­nverbands (DEHOGA), der mit dem Argument der »Anpassung an die Lebenswirk­lichkeit« den Acht-Stunden-Tag als Norm abschaffen will. Die Arbeitgebe­r wollen den Einsatz der Beschäftig­ten leichter an den jeweiligen Arbeitsanf­all anpassen können, z.B. zu Saisonspit­zen und großen Festen. Dabei gebe es schon schon tarifliche Klauseln zur Flexibilis­ierung und Möglichkei­ten zum Einsatz von zusätzlich­en Aushilfskr­äften, so Rosenberge­r. Es sei »absurd«, wenn der DEHOGA seine Forderung mit dem Arbeitskrä­ftemangel begründe und gleichzeit­ig durch schlechte Bezahlung und miserable Arbeitsbed­ingungen dafür sorge, dass immer weniger Fachkräfte in dieser Branche arbeiten wollten.

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