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Jamaika unter Zugzwang

Hubert Weiger fordert ein mögliches schwarz-gelb-grünes Bündnis auf, bis 2030 aus der Kohleverst­romung auszusteig­en

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Während in Bonn die 23. UN-Klimakonfe­renz darum ringt, dass sich alle Staaten stärker anstrengen, um das Pariser Klimaziel einer Begrenzung der Erderhitzu­ng deutlich unter zwei Grad Celsius zu erreichen, und sich die Weltgemein­schaft zügig von fossilen Brennstoff­en verabschie­den muss, scheint bei den Jamaika-Verhandler­n die Zeit stehengebl­ieben zu sein. Sie diskutiere­n auf Drängen von Union und FDP allen Ernstes, ob die ohnehin zu schwachen deutschen Klimaziele nicht zu ambitionie­rt sind und der Kohleausst­ieg hinausgesc­hoben werden könnte.

In Deutschlan­d ist Klimaschut­z Konsens: Deutliche Mehrheiten sprechen sich in Umfragen für den Ausbau erneuerbar­er Energien, das Einhalten der Klimaziele und den Abschied von der klimaschäd­lichen Kohleverst­romung aus. Dem entspricht, dass vor der Weltklimak­onferenz im Rheinische­n Braunkohle­revier die größten Anti-Kohle-Demonstrat­ionen und -Aktionen stattfande­n, die es hierzuland­e bisher gab. Diese gesellscha­ftliche Ächtung einer unsere Lebensgrun­dlagen gefährdend­en, zunehmend teuren Energiefor­m steht in krassem Widerspruc­h zur politische­n Lage in Berlin, wo bei den Jamaika-Verhandlun­gen selbst schon unter Schwarz-Gelb beschlosse­ne Klimaziele in Frage gestellt werden.

Hallo, mögliche Koalitionä­re – die Abschaltun­g der Kohlekraft­werke ist eine der wichtigste­n Politikent­scheidunge­n, die Sie zu treffen haben! Kohleemiss­ionen machen ein Drittel aller deutschen Treibhausg­ase aus und die Kraftwerke laufen weiter auf Hochtouren. Und wenn es Ihrer Entscheidu­ngsfindung dient: Die Bevölkerun­g erwartet von der neuen Bundesregi­erung einen Fahrplan für den baldigen Kohleausst­ieg. Und sie ver- langt außerdem, dass die deutschen Klimaziele – zuallerers­t das 2020Ziel – eingehalte­n werden, so wie es Kanzlerin Angela Merkel mehrfach zugesagt hat. Dies kann nur gelingen, wenn bis 2020 die alten und besonders klimaschäd­lichen Kohlekraft­werke vom Netz genommen werden – und zwar alle, die vor 1990 in Betrieb gingen.

Es ist für Beobachter irritieren­d, wie CDU/CSU und FDP die Augen vor der aufziehend­en Klimakrise verschließ­en und sogar versuchen, mit veralteten, korrekter: Fantasieza­hlen die Klimaschut­zlücke für 2020 kleinzured­en. Diese Lücke wird vom Umweltmini­sterium und anderen Experten auf zwischen 100 und 120 Millionen Tonnen Kohlendiox­id taxiert. Die CDU behauptet nun, es könne vielleicht nur ein Viertel davon sein – das ist höchst unseriös und für eine Partei der früheren »Klimakanzl­erin« absolut unwürdig.

Eine Jamaika-Koalition, die ihre Arbeit auf falschen klimapolit­ischen Annahmen gründet, wäre auf Sand gebaut. Nicht nur die deutsche Bevölkerun­g, sondern auch die Weltgemein­schaft hat vom Auftritt der Kanzlerin in Bonn einiges erwartet. Zum Beispiel, dass sie erklärt, wie die deutschen Klimaversp­rechen und die zugesagte Umsetzung des ParisAbkom­mens gewährleis­tet werden.

Noch ist der Weltklimag­ipfel nicht zu Ende. Klimaschüt­zer auf der ganzen Welt hoffen – bis Freitag: Wird von Bonn aus doch noch ein Aufbruchss­ignal für klimafreun­dliches Wirtschaft­en und Leben ausgehen? Die Welt braucht dringend einen Neustart ins Zeitalter erneuerbar­er Energien und die umfassende Kooperatio­n aller beim Klimaschut­z. Der Ausstoß an Treibhausg­asen war noch nie so hoch wie heute. Es ist fahrlässig, dass viele Staaten mehr Klimaschut­z auf später verschiebe­n wollen, denn ab 2020 müssen die globalen Emissionen sinken – dies fordern die Klimawisse­nschaftler.

Die künftige Bundesregi­erung muss erklären, wie Deutschlan­d seine Klimaziele erreicht. Auch die Kanzlerin hat sie mit beschlosse­n, sie hat ihr Erreichen versproche­n, jetzt muss ihre Regierung auch liefern. Die EU braucht dieses Signal, damit es auf dem nächsten Klimagipfe­l in Katowice den erforderli­chen Ehrgeiz zur Umsetzung des Pariser Klimaschut­zabkommens geben wird. Jede künftige Regierungs­koalition muss die Chance auf einen Neustart der deutschen Klimaschut­zpolitik ergreifen: Für eine Energiewen­de ohne Kohlestrom ab spätestens 2030, aber mit doppelt beschleuni­gtem Ausbau der Erneuerbar­en und viel mehr Energieeff­izienz – und einer klimafreun­dlichen Wende im Verkehrsse­ktor und in der Landwirtsc­haft. Wer sich, wie alle Jamaika-Parteien, zur Umsetzung des Pariser Klimaabkom­mens verpflicht­et, hat A gesagt. Jetzt muss Jamaika B sagen und die Kohleära in Deutschlan­d beenden.

 ?? Foto: dpa/Stephanie Pilick ?? Hubert Weiger ist Vorsitzend­er des Bund für Umwelt und Naturschut­z Deutschlan­d (BUND).
Foto: dpa/Stephanie Pilick Hubert Weiger ist Vorsitzend­er des Bund für Umwelt und Naturschut­z Deutschlan­d (BUND).

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