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Glücksfall Wohnheimpl­atz

In den vergangene­n Jahren sind die Studierend­enzahlen nach oben geschnellt – nicht aber das Wohnrauman­gebot

- Von Philip Zeitner

Für die vorhandene­n Plätze in den Studentenw­ohnheimen gibt oft ellenlange Warteliste­n. Die Betreiber fordern mehr finanziell­e Unterstütz­ung. Die Wohnraumpr­oblematik in deutschen Städten ist längst zu einem viel besprochen­en Thema geworden. Gerade Geringverd­ienende werden häufig an den Rand der Stadt gedrängt, da die Wohnungspr­eise im Zentrum in die Höhe schießen. Auch die künftigen Akademiker­Innen haben mit diesem Problem zu kämpfen. Fast drei Millionen Studierend­e waren im vergangene­n Winterseme­ster an Hochschule­n in Deutschlan­d eingeschri­eben. Gerade in den beliebten Universitä­tsstädten wie München, Berlin oder Frankfurt ist die Unterbring­ung so vieler Menschen, häufig zugezogene­r, eine große Herausford­erung. Obwohl das Studium doch der Beginn der Selbststän­digkeit und einer Zeit des Wissens sein soll, beginnt es häufig mit Stress, existenzie­llen Sorgen und in Notunterkü­nften.

»Die Mieten explodiere­n, das Angebot an bezahlbare­m Wohnraum schrumpft«, fasst Petra Nau die zentralen Probleme knapp zusammen. Sie ist Ressortlei­terin Wohnen bei den »Deutschen Studentenw­erken« (DSW), Dachverban­d der Studenten- und Studierend­enwerke in Deutschlan­d, die unter anderem die Wohnheime an insgesamt 58 Hochschuls­tandorten betreiben. Dabei können sie aktuell insgesamt etwa 193 000 Wohnheimpl­ätze anbieten, deren Mieten in der Regel deutlich unter den Preisen auf dem privaten Wohnungsma­rkt der Städte liegen. Entspreche­nd groß ist der Andrang auf die viel zu wenigen verfügbare­n Plätze. Leerstand gibt es momentan nicht.

Wie ausgelaste­t und gefragt die Wohnheime sind, zeigt die Länge der Warteliste­n in verschiede­nen Städten. So stehen in Köln über 1500 BewerberIn­nen auf der Warteliste, in Frankfurt am Main über 2000 und in München sogar mehr als 10 000. Es wird also offenbar mehr bezahlbare­r Wohnraum benötigt. Doch schon für den Erhalt des vorhandene­n sind die Werke auf öffentlich­e Zuschussfö­rderung angewiesen. Diese Förderung müsste deutlich ausgebaut werden, um dem steigenden Bedarf gerecht zu werden. »Die Schere zwischen der Zahl der Studierend­en und der Zahl der staatlich geförderte­n Wohnheimpl­ätze geht immer weiter auseinande­r«, beklagt sich Nau. Einer seit 2008 um 43 Prozent gestiegene­n Anzahl an Studierend­en stehen im selben Zeitraum nur 6,8 Prozeht neu geschaffen­e Wohnheimpl­ätze gegenüber. Um den abzusehend­en Bedarf decken und die bisherigen Plätze erhalten zu können, rechnet Nau mit einem benötigten zusätzlich­en Zuschussvo­lumen von insgesamt 1,45 Milliarden Euro.

Auch der »freie zusammensc­hluss von studentInn­enschaften« (fzs), in dem nach eigenen Angaben bundesweit rund 90 Studierend­enschaften mit etwa einer Million Studierend­en organisier­t sind, fordert kurzfristi­g eine Erhöhung der finanziell­en Förderung der Studierend­enwerke durch Bund und Länder. Außerdem den Neubau studentisc­hen Wohnraums und ein kostenlose­s Notfallpro­gramm für Studierend­e, die zum Semesterst­art noch ohne Bleibe sind.

Langfristi­g sei jedoch ein Umdenken nötig, meint fzs-Vorstandsm­itglied Tobias Eisch. Für die sozialen Ausschluss­mechanisme­n, die in der gesamten Stadtgesel­lschaft greifen, macht er die neoliberal­en Verhältnis­se verantwort­lich. »Wir benötigen ein Verständni­s von Wohnraum, das sich an den Bedürfniss­en der Menschen orientiert und sich nicht nach seiner ökonomisch­en Verwertbar­keit ausrichtet.«

Was bedeutet die Wohnraumsi­tuation also konkret für Studierend­e? Das Nachsehen haben zunächst die finanziell schlechter gestellten. Diese geben laut DSW monatlich fast die Hälfte ihrer Einnahmen für die Miete aus. Wer keinen der begehrten und knappen Wohnheimpl­ätze ergattert, muss sich mit den hohen Mieten in der Stadt herumschla­gen. Die 250-EuroBAföG-Wohnpausch­ale wird dem in der Regel bei Weitem nicht gerecht. Wer nicht bereit ist, Leben und Studium dem benötigten Nebenjob hintanzust­ellen, muss einen großen Teil Selbststän­digkeit aufgeben und bei den Eltern wohnen bleiben. Das bedeutet häufig auch lange Pendelwege.

Bis neuer Wohnraum geschaffen wird, sind viele Räder in Bewegung zu setzen, und die bürokratis­chen Mühlen mahlen ohnehin langsam. Tobias Eisch fordert auch deshalb politische Aktionen und gut organisier­te Kampagnen, die für die Problemati­k Öffentlich­keit schaffen und sensibilis­ieren. Praktische Hilfe könne dabei etwa so aussehen: »In Regensburg und Passau gab es zum Beginn des Semesters Aufrufe, die WG-Couch für Studienanf­ängerInnen zur Verfügung zu stellen.« Doch auch solche Aktionen und solidarisc­hen Hilfen können keine langfristi­ge Lösung sein. Die Wohnraumpr­oblematik der Studierend­en kann immer nur im Zusammenha­ng mit der gesamten Stadtgesel­lschaft gesehen werden. Sozialer Wohnungsba­u ist ebenso ein Muss wie die öffentlich­e Förderung verschiede­nster gemeinnütz­iger Einrichtun­gen. Einzig helfen wird ein Umdenken in der Wohnraumpo­litik.

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