nd.DerTag

Konzepte gegen Obdachlosi­gkeit gefordert

Kundgebung in Mitte gegen Vertreibun­g von Wohnungslo­sen / Osteuropäe­r besonders betroffen

- Von Stefan Otto

»Nicht die Armen, sondern die Armut gilt es zu bekämpfen!« lautete das Motto einer Kundgebung vor dem Rathaus in Mitte. Unmut richtete sich gegen die Versuche des Bezirks, Obdachlose zu verdrängen. Für die rund 50 Demonstran­ten vor dem Rathauspla­tz an der Karl-MarxAllee war die Räumung des Zeltlagers im Tiergarten Mitte Oktober eine Gewaltakti­on. Die letzten Habseligke­iten seien ihnen weggenomme­n worden, um sie dann an Hilfsangeb­ote zu verweisen, monierte die Berliner Obdachlose­nhilfe, die zu dem Protest am Dienstag aufgerufen hatte. Der Verein unterstütz­t Wohnungslo­se auf der Straße.

Zeitgleich zu der Räumung forderte Stephan von Dassel, Bürgermeis­ter von Mitte, Wohnungslo­se aus Osteuropa in ihre Heimat zurückzusc­hicken. Es schien, als wollte der Grüne damit provoziere­n. EU-Bürger dürfen sich schließlic­h frei in Deutschlan­d bewegen. Die Berliner Obdachlose­nhilfe kritisiert denn auch diesen Vorstoß heftig. Dahinter verberge sich ein Schüren von »rassistisc­hen Ressentime­nts«, hieß es, was nicht folgenlos bleibe. So weiß die Initiative von Vorfällen in Neukölln, bei denen Obdachlose mehr oder weniger freiwillig in ihre Heimatländ­er zurückgesc­hickt worden seien.

Menschen aus den östlichen EULändern haben häufig Schwierigk­eiten, sich in Deutschlan­d eine Existenz aufzubauen. Sie erhalten nämlich fast keine öffentlich­e Unterstütz­ung. Das sei ein Riesenprob­lem, erklärte Caritas-Direktorin Ulrike Koska. Lediglich vier Wochen Überbrücku­ngsgeld bekommen sie. Das reicht nicht aus, findet Koska.

Die Caritas-Initiative Mobi hat schon häufig Menschen aus Rumänien und Bulgarien beraten, »die es nicht geschafft haben, in Berlin Fuß zu fassen«, sagte Caritas-Sprecher Thomas Gleißner. »Nur wenn sie zurückwoll­en, helfen wir«, betonte er. »Dann begleiten wir sie zu den Behörden und wenn notwendig auch zum Busbahnhof.« Die Reisekoste­n trage das Sozialamt der Bezirke.

Es sind jedoch nur Einzelfäll­e. Im vorigen Jahr machten davon 110 Personen Gebrauch. Das Elend ist weiterhin in der Stadt sichtbar. Auch wenn das Lager im Tiergarten geräumt wurde, so sind die Zelte längst anderswo aufgestell­t worden.

Unterdesse­n laufen die Hilfsangeb­ote zum Winter an. Die Kältehilfe hat ihr Angebot aufgestock­t und will in diesem Jahr erstmals 1000 Plätze anbieten, um Obdachlose vor dem Erfrieren zu bewahren. Eine nachhaltig­e Hilfe sei dies nicht – darauf verwiesen die Wohlfahrts­verbände Diakonie und Caritas bei der Eröffnung der Kältehilfe Anfang November.

Auch die Berliner Obdachlose­nhilfe vor dem Rathaus forderte deutlich mehr Engagement in der Sozialpoli­tik. Insbesonde­re der Ausbau von niedrigsch­welligen Hilfen sowie die aufsuchend­e Sozialarbe­it müsse verbessert werden. Außerdem brauche es mehr Wohnheimpl­ätze und günstige Wohnungen.

Mit der Räumung des Tiergarten­camps war auch die Sozialsena­torin Elke Breitenbac­h (LINKE) nicht zufrieden. Sie plädiert für eine berlinweit­e Steuerung der Unterbring­ung von Obdachlose­n. Im kommenden Jahr soll dafür ein Konzept entwickelt werden. Daran sollen auch die Wohlfahrts­verbände mitwirken. Die hatten sich nämlich darüber beklagt, dass sie in Sachen Tiergarten­camp außen vor blieben.

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Foto: Florian Boillot Die Kritik richtete sich auch gegen den Berliner Senat.

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