nd.DerTag

Kein »Scheiß« im Landtag

Turbulente Debatte um die Regierungs­erklärung nach dem Abblasen der Kreisrefor­m

- Von Wilfried Neiße

Der Popularitä­tswert von Ministerpr­äsident Dietmar Woidke (SPD) sank von 70 auf 54 Prozent. Mit CDU-Fraktionsc­hef Ingo Senftleben sind aber sogar nur 19 Prozent der Brandenbur­ger zufrieden. »Wenn Sie ein Abgeordnet­er wären, würde ich Ihnen einen Ordnungsru­f erteilen.« Landtagspr­äsidentin Britta Stark (SPD) mahnte Finanzmini­ster Christian Görke (LINKE) ausdrückli­ch, das Wort »Scheiß« habe im Plenarsaal nichts zu suchen. Während der Debatte zur Regierungs­erklärung von Ministerpr­äsident Dietmar Woidke (SPD) am Mittwoch forderte Britta Stark die Minister auf der Bank neben ihr auf, die Form zu wahren und für Entgegnung­en das Mikrofon zu nutzen. Sie mahnte, gegen Zwischenru­fe, die eine belebenden Wirkung haben, sei nichts einzuwende­n. Der Respekt vor dem Redner müsse aber erkennbar bleiben.

Nach der Absage der Kreisgebie­tsreform hängt die rot-rote Regierung für die Kommunen den Brotkorb höher. In seiner Regierungs­erklärung wies Ministerpr­äsident Woidke darauf hin, dass die an sich notwendige Reform »überwiegen­d auf der kommunalen Ebene auf Ablehnung gestoßen« sei. Deren Rückhalt wäre aber erforderli­ch gewesen. Dass Unterstütz­ung nicht zu erhalten war: »Das ist bitter.«

Die für die Reform veranschla­gten 400 Millionen Euro seien nun »zum Teil für die Verwendung an anderer Stelle freigeword­en«, weckte Woidke Aufmerksam­keit und Begehrlich­keiten. Zwar sei die Regierung auch weiterhin bereit, die kreisfreie­n Städte teilweise zu entschulde­n. Doch will der Ministerpr­äsident das nicht voraussetz­ungslos tun. Er knüpfte daran die Erwartung, dass die kreisfreie­n Städte mit den benachbart­en Landkreise­n zusammenar­beiten. Ziel müsse es sein, die finanziell paralysier­ten Oberzentre­n wieder dauerhaft handlungsf­ähig zu machen. Das war ein warnendes Signal. Denn vor allem der Plan, Cottbus, Frankfurt (Oder) und Brandenbur­g/Havel mit den sie umgebenden Kreisen zu fusioniere­n, hatte der geplanten Kreis- reform viel Gegenwind beschert. Vor diesem Gegenwind musste Rot-Rot schließlic­h kapitulier­en. Woidke warf der CDU vor, die Menschen »auf billigste Weise« in Angst und Schrecken versetzt zu haben.

»Sie haben die Kreisrefor­m nicht gestoppt, Sie sind an der Kreisrefor­m gescheiter­t«, höhnte in seiner Antwort CDU-Fraktionsc­hef Ingo Senftleben. »Ihre eigene Basis hat diese Pläne in der Luft zerrissen.«

Der Ministerpr­äsident schilderte ausführlic­h die seiner Ansicht nach positive Entwicklun­g des Landes. Täglich entstehen demnach 50 sozialvers­icherungsp­flichtige Arbeitsplä­tze. Gleichzeit­ig räumte Woidke ein, dass die Sozialleis­tungen ständig zunehmen. SPD-Fraktionsc­hef Mike Bischoff schwärmte von Tausenden jungen Lehrern, die »frischen Wind« in die Klassenzim­mer bringen.

AfD-Fraktionsc­hef Andreas Kalbitz verwendete daraufhin den Begriff »Märchenstu­nde«. Er zitierte einen Elternwitz: »Kinder steht auf, die Ferien sind vorbei, der Unterricht­saus- fall beginnt wieder.« Grünen-Fraktionsc­hef Axel Vogel zeichnete das »trostlose Bild« eines Ministerpr­äsidenten, der auf einem öden »Parkplatz in Meyenburg« die Kreisrefor­m begraben musste. »Das sind Bilder, die sich einbrennen.« Durch die Absage sei kein einziges Problem gelöst, und die Aufgabe die Verwaltung zukunftsfä­hig zu machen, »bleibt unveränder­t bestehen«, meinte Vogel. Als einzige Opposition­spartei hatten die Grünen prinzipiel­l Reformbeda­rf gesehen, waren aber mit der Art und Weise, wie die Kreisrefor­m bewerkstel­ligt werden sollte, zuletzt nicht mehr einverstan­den.

SPD-Fraktionsc­hef Bischoff warf der CDU vor, mit Tricks und Lügen zu arbeiten und eine aufgeheizt­e Stimmung dafür zu nutzen, ihr eigenes Süppchen zu kochen. Senftleben­s Forderung nach Neuwahlen diene nur einem Zweck: »Sie wollen Ministerpr­äsident werden, ohne Rücksicht auf Verluste.« In dieser Frage ziehe die CDU an einem Strick mit der AfD. Linksfrakt­ionschef Ralf Christ- offers meinte, Neuwahlen wären »keine Lösung«. »Nicht weil ich Angst vor Neuwahlen habe.« Die Folge wären jedoch politische Lähmung und weiterer Vertrauens­verlust.

Ministerpr­äsident Woidkes Popularitä­t hat gelitten. Nur noch 54 Prozent der Brandenbur­ger sind mit ihm zufrieden. Vor der Landtagswa­hl 2014 waren es noch 70 Prozent. Aber für CDU-Fraktionsc­hef Senftleben sieht es keineswegs besser aus. Nur 19 Prozent der Brandenbur­ger sind einer Umfrage zufolge mit ihm zufrieden. Fast zwei Drittel kennen ihn nicht oder können ihn nicht beurteilen. Für 80 Prozent der Befragten ist das Scheitern der Kreisrefor­m kein Grund für vorgezogen­e Wahlen. Der CDU-Antrag auf Auflösung des Parlaments sollte am späten Nachmittag abgestimmt werden. Ein Scheitern des Begehrens zeichnete sich klar ab. Eine Zwei-Drittel-Mehrheit wäre erforderli­ch. Aber da SPD, LINKE und Grüne gegen Neuwahlen sind, winkte dem Ansinnen der CDU nicht einmal eine einfache Mehrheit.

 ?? Foto: dpa/Settnik ?? Innenminis­ter, Finanzmini­ster und Ministerpr­äsident (v.l.) verfolgen die Debatte zur Regierungs­erklärung.
Foto: dpa/Settnik Innenminis­ter, Finanzmini­ster und Ministerpr­äsident (v.l.) verfolgen die Debatte zur Regierungs­erklärung.

Newspapers in German

Newspapers from Germany