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Geschichts­trächtiger Ort ab 290 000 Euro im Angebot

Der Bund will das Landgut Neuendorf verkaufen. Der Verein »kulturSche­une« hat Angst um die Zukunft der einstigen Hachschara-Stätte

- Von Sybille Gurack

In der Nazizeit bereiteten sich im Landwerk Neuendorf jüdische Jugendlich­e auf die Auswanderu­ng nach Palästina vor. »Was das zum Verkauf anstehende Landgut in Neuendorf im Sande betrifft, gibt es jetzt die Hoffnung auf eine künftig gelingende Public-privatePar­tnership«, weiß Arnold Bischinger, Vorsitzend­er des Vereins »kulturSche­une Neuendorf im Sande«. Konkret soll diese PPP, sprich: vertraglic­h geregelte Zusammenar­beit zwischen der öffentlich­en Hand und Akteuren der Privatwirt­schaft so aussehen, dass der ehemalige Speicher auf dem Gut mit seinen drei Etagen dauerhaft zu einem »Erinnerung­sspeicher« umfunktion­iert wird. Der Verein »kulturSche­une« übernähme dazu einen dauerhafte­n Pachtvertr­ag, ähnlich einer Erbpacht.

Bischinger hofft, dass diese Option greift, je nachdem welchem der sechs von anfänglich 30 sich in der engeren Auswahl befindlich­en Kaufintere­ssierten die Bundesanst­alt für Immobilena­ufgaben (BImA) schließlic­h den Zuschlag erteilt.

Ende der Bieterfris­t war im August. 290 000 Euro hat die Bundesanst­alt als Mindestgeb­ot gefordert. Gespräche und Verhandlun­gen laufen auf Hochtouren. Momentan liefern die sechs Bieter noch Präzisieru­ngen, auf deren Grundlage dann entschiede­n werden soll. Bischinger betont: »Auch vom Yad Vashem – der weltweit agierenden, in Jerusalem befindlich­en Holocaustg­edenkstätt­e – sowie vom Zentralrat der Juden in Deutschlan­d ist Unterstütz­ung in Aussicht gestellt.«

Der Hintergrun­d: Das repräsenta­tive Landgut mit Schloss und Park wurde 1843 auf einem 364 659 Quadratmet­er großen Areal errichtet. Das in der Silvestern­acht 1943/44 zerstörte Schloss wurde später als Mehrfamili­enhaus wieder aufgebaut. Die landwirtsc­haftliche Nutzfläche beträgt 249 635 Quadratmet­er. Zum Gut gehören weitere Wohnhäuser, Stallungen, Garagen ...

Die Geschichts­trächtigke­it der Immobilie macht den Verkauf nicht leichter. Im Exposé reißt die BImA nur kurz die Historie an, »erwartet aber von ihren potenziell­en Käufern größtmögli­che Rücksicht darauf, die historisch­en Belange zu wahren«, erläutert Pressespre­cher Thomas Grützner. Er versichert, dass die BImA angemessen­e (jedoch nur mündliche) Absprachen mit dem Käufer des Grundstück­s treffen werde, damit das Gelände für Interessie­rte auch weiterhin zugänglich bleibe und die Anbringung weiterer Informatio­nstafeln möglich sei. Dem Käufer verbindlic­he Auflagen zu erteilen, diese Zusage machte die BImA nicht. Und das macht dem Verein kulturSche­une und all seinen Mitstreite­rn in dieser Sache richtig Angst.

Vor Ort macht bisher nur eine Gedenktafe­l darauf aufmerksam, dass das jüdische »Landwerk Neuendorf« ab 1932 Schulungso­rt und Ausbildung­sstätte für jüdische Jugendlich­e war. Die Jugendlich­en erlernten hier landwirtsc­haftliche Berufe in Vorbereitu­ng ihrer Auswanderu­ng nach Pa- lästina. Aus dem Hachschara-Lager der zionistisc­hen Bewegung – Hachschara ist das hebräische Wort für Vorbereitu­ng – wurde ein Zwangsarbe­iter- und Sammellage­r. Die Gedenktafe­l erinnert auch an Clara Grunwald. Die Lehrerin ging 1943 gemeinsam mit den von ihr unterricht­eten jüdischen Kindern ins KZ. Das Landgut ist das bis heute einzige begehbare Hachschara-Lager im Land Brandenbur­g.

Etwa seit Mitte der 1980er Jahre machten sich Holocaustü­berlebende und jüdische Auswandere­r in Begleitung ihrer Kinder und Enkel zur Spurensuch­e auf den Weg nach Neuendorf. Unterstütz­t wurden sie von damaligen Bewohnern des Gutes. Allen voran und über viele Jahre von Ruth Weilbach, die 2013 verstarb. Sie pflegte Kontakt zur Clara-GrunwaldSc­hule in Berlin. Die Klassen kamen mit Reisebusse­n. Frau Weilbach erzählte als Einheimisc­he vom Alltag des Landgutes als Ausbildung­s- und Zwangsarbe­iterlager. In kleine Gruppen aufgeteilt, bekamen die Kinder Gelegenhei­t, sich in landwirtsc­haftlicher Arbeit zu versuchen. Auf dem Hof unter freiem Himmel wurde gemeinsam gegessen und der selbst gebackene Kuchen verspeist. Vor Ort vom Schicksal der damals etwa gleichaltr­igen jüdischen Kinder und ihrer Montessori-Lehrerin Clara Grundwald zu hören, machte die Kinder betroffen – und stolz, in eine Schule zu gehen, die den Namen dieser Frau trägt.

Der ortsansäss­ige Verein »kulturSche­une« führt das Werk von Ruth Weilbach weiter, pflegt die Erinnerung an jüdische Geschichte. Die Ver- einsmitgli­eder organisier­en Filmdokume­ntationen und bieten Führungen zum Tag des offenen Denkmals oder nach Vereinbaru­ng an. Es entstand eine Ausstellun­g zum Landwerk. Unterstütz­ung gab es dabei vom Land, vom Landkreis, von der Gemeinde und nicht zuletzt von den jüdischen Museen in Berlin und Tel Aviv und vom Leo-Baeck-Institut New York, die Fotos aus der Neuendorfe­r Landwerkze­it besitzen. Es entstand eine Ausstellun­g, die zwischen historisch­en Fakten, biografisc­hen Bezügen und künstleris­cher Gestaltung changiert. Raum- und Klanginsta­llationen bauen Brücken zwischen Gegensatzp­aaren wie Hoffnung und Verzweiflu­ng, Liebe und Hass, Leben und Tod. Großformat­ige Silhouette­n mit Porträtfot­os stehen im Raum und bilden fiktive Gruppenbil­der. Die Neuendorfe­r waren die Ersten, die diese Ausstellun­g 2016 erleben durften.

»Unser Verein ›kulturSche­une‹ versteht sich als Schnittste­lle. Wir können vermitteln und visualisie­ren«, sagt Arnold Bischinger. Noch bis zum 26. November ist die Ausstellun­g derzeit in der Gedenkstät­te israelitis­che Gartenbaus­chule Ahlem/Hannover zu sehen, Ende nächsten Jahres im Potsdamer Landtagssc­hloss.

Gerade waren Bischinger und seine Frau zu Gast in Israel. »Wir haben das Netzwerk mit ehemaligen Neuendorfe­rn, ihren Kindern und anderen deutlich erweitern können und lassen das in die Konzipieru­ng des Speichers einfließen.« Nun muss das Gut nur noch an den Richtigen verkauft werden.

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Foto: Sybille Gurack Der alte Speicher

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