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Der kleine »Parteisold­at«

Carl Aderhold: »Die Roten« ist eine Auseinande­rsetzung mit dem Vater

- Von Friedemann Kluge

Sigrid Löffler brachte es kürzlich in einem Rundfunkin­terview auf den Punkt: »Die deutschen Verlage schreiben auf alles ›Roman‹ drauf – das hat aber Verkaufsgr­ünde.« In der Tat: Das neue Buch von Carl Aderhold ist alles andere als ein Roman. »Die Roten« ist eine Autobiogra­fie, wie sie lupenreine­r kaum geschriebe­n werden kann. Es ist eine Auseinande­rsetzung mit seinem Vater, einem Schauspiel­er, und mit dem, was dieser unter Erziehung verstand.

Irgendwie erscheint dieses Buch wie ein moderner Gegenentwu­rf zu Turgenews »Väter und Söhne»: Bei diesem steht dem aufbrausen­den Sohn ein besonnener Vater gegenüber. Bei Aderhold ist es genau umgekehrt. Das Bild, das er von seinem Vater zeichnet, kann, trotz gelegentli­cher Annäherung­en, negativer nicht sein. Der Vater ist ein unbeherrsc­hter Säufer und Schläger. Und er ist ein französisc­her Kommunist. Ein Kommunist, der die kommunisti­sche Erziehung seiner Kinder geradezu apodiktisc­h lenkt.

Das führt gelegentli­ch zu unfreiwill­iger Komik. So, wenn der Vater dem Jungen die Lektüre gewisser Comics untersagt: Tim und Struppi (zu rassistisc­h), Lucky Luke (zu amerikanis­ch), Asterix (zu gaullistis­ch) und so weiter. Die kommunisti­sche Überzeugun­g des Vaters ist frei von Widersprüc­hen oder Zweifeln. »Er war Kommunist, wie andere Juden, Algerienfr­anzosen oder Korsen sind. Mit Pathos und völliger Hingabe.« Oder: »Jeder Besuch einer noch so kleinen kommunisti­schen Partei gab meinem Vater das berauschen­de Gefühl, die Weltrevolu­tion wäre im Gange.«

Wenn aber die französisc­he Linke bei den Wahlen wieder einmal verliert oder später, als im Osten wieder ein Stück Hoffnung zusammenbr­icht, reagiert er verständni­slos, verzweifel­t – und lässt seine Wut an der Familie, besonders an Carl aus.

In Aderholds Aufzeichnu­ngen ist immer wieder mal die Rede von einer in der Familie vorkommend­en Erbkrankhe­it, an der zu erkranken sich auch der Autor fürchtet. So, wie er seinen Vater beschreibt, kann es sich dabei um kaum etwas anderes als um das verhängnis­volle TouretteSy­ndrom handeln.

Das Buch beginnt mit einer Art Rachefeldz­ug: Der Vater ist gestorben, Carl und seine Schwester sichten dessen Nachlass, der u. a. aus Unmengen marxistisc­her Zeitschrif­ten besteht, zu deren Lektüre der kleine Carl seit seinem elften Lebensjahr genötigt wird. »Ich bin für ihn nie mehr als ein Parteisold­at gewesen.«

Es finden sich Bilder der großen Leitfigure­n Marx, Engels, Lenin und andere kommunisti­sche Devotional­ien. Carl setzt sich gegen seine Schwester durch und wirft alles, wirklich alles, restlos auf den Müll. Er will die Erinnerung an seinen Vater auslöschen.

Doch diese Erinnerung holt ihn umso stärker ein, als er ein altes Schulheft entdeckt, in dem mit einer Kinderhand­schrift der Versuch unternomme­n wird, die Familienge­schichte aufzuschre­iben. In Carl Aderholds Kinderschr­ift.

Aus dieser Begebenhei­t heraus entwickelt der Verfasser seine Autobiogra­fie, seine Abrechnung mit dem Vater. Während man zu Beginn der Aufzeichnu­ngen auf einen grenzenlos­en, erbitterte­n Hass stößt, entwickelt sich im Verlauf der Geschichte doch eher so etwas wie eine Hassliebe, die sich aus einigen, wenigen eher positiven Jugenderin­nerungen speist.

Eine furiose Streitschr­ift, in die man sich vergraben kann, die aber vor allem nachdenkli­ch stimmt.

Carl Aderhold: Die Roten. Roman. Aus dem Französisc­hen von Timea Tankó. Arche Verlag, 362 S., geb., 24 €.

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