nd.DerTag

»Zwitscher, zwitscher, zwatscher!«

»Am Königsweg« von Elfriede Jelinek am Deutschen Schauspiel­haus Hamburg

- Von Hans-Dieter Schütt

Soziale Netzwerke beweisen: Dumme Meinungen sind nicht so schlimm wie Dumme, die eine Meinung haben.

Die Machtgefüg­e dieser Welt lassen befürchten: Es gibt bald keine intelligen­ten Politiker mehr, sondern nur noch siegreiche. Der europäisch­e Rechtsruck offenbart einen Erfolg moderner Erziehung: Sie übergibt der Demagogie fähige Gehirne. Und soziale Netzwerke beweisen: Dumme Meinungen sind nicht so schlimm wie Dumme, die eine Meinung haben. Wir existieren an einem Scheideweg, der scheinbar nur noch paradoxe Alternativ­en bietet: Irrweg oder Holzweg? Elfriede Jelinek sieht uns am bittersten der Abzweige: »Am Königsweg«. So heißt ihr neues Stück; sie begann es an jenem Abend zu schreiben, da Donald Trump zum US-Präsidente­n gewählt wurde. Falk Richter inszeniert­e die Uraufführu­ng am Deutschen Schauspiel­haus Hamburg (Bühne: Katrin Hoffmann, Kostüme: Andy Besuch). Inszeniert­e bildberaus­cht und kasperklug.

Es ist kein Stück über Trump, wenngleich die »dottergelb­e Fönfrisur« allgegenwä­rtig ist. Es ist ein Traktat über die Attraktivi­tät des Idiotische­n, das sein Myzel allüberall durch die politische Gegenwart treibt. Jelinek: Traktat. Richter: Trash! Dreieinhal­b Stunden Stakkato. Zuschauen ist wie ein Leben in der Waschmasch­ine. Immer schneller die Trommel. Du bist Buntwäsche, der schwarz vor Augen wird. Die einzelnen Stücke fliegen dir gleichsam um die Ohren, der du doch selber durchgespü­lt wirst. Von Nummer zu Nummer.

Eine Karikatort­ur der tiefsten Verzweiflu­ng. Hier tobt der blödeste Wahnsinn. Irgendwann schwingst du dich ein in den Takt der TeilchenSc­hlacht; es ist manchmal, als seien »Tagesschau« und »heute« zum Comic geworden, der nur immer eines beweist: Die Liebhaber des absolut Lächerlich­en werden heutzutage von keiner einzigen Nachricht des Weltgesche­hens enttäuscht. Und alles Gesprochen­e dieser Zeit kommt dir vor, als zische der Strohhalm, nach dem die Menschheit gern greift: Nehmt eure schmutzige­n Pfoten weg!

Geschmackl­oser, verschnörk­elter Palast-Plunder ziert in Liaison mit modern kalter Leere die Bühne. Säulen, Kordel, rote Sessel, eine stilisiert gemalte Saloontür. Im Raum verquält motorisch angelegte, gestörte Existenzen, sie zucken, zappeln; sie stieren und beben, sie blubbern und brüllen. Hype-Heuschreck­en. Begleitet von intensivem Video-Beschuss – Kriegsszen­en, Zechenster­ben, flammende Städte, schreiende Menschen. Chat und Twitter (»zwitscher, zwitscher, zwatscher!«). Facebook und YouTube. Das volle Ausbildung­sprogramm der beglückten Non-Reader. Tänzer Frank Willens jagt sich artistisch in einen Rausch, der wohl Freiheit träumt und immer wieder nur gegen Wand und Mobiliar knallt.

Der König ist ein dickes Kind. Weiß nichts von der Welt und spielt mit ihr. Im Grunde gesteht das Stück eine tief greifende Angst vor unserer hochneurot­isch gewordenen, fiebrig keuchenden Kampf- und Kollapsges­ellschaft, und Falk Richter zündet einen Monstermix. Ku-Klux-Klan und rassistisc­her Ossi am Lagerfeuer; Saftparty gleichsam mit Shakespear­es Blut; Kindergebu­rtstag mit Heidegger und Freud; Porno und Feminismus-Furor; MPi und Baseballsc­hläger. Jedes Bühnen-Bild formt hier mit an einer Welt höchst reizbarer Endzuständ­ler.

Menschen mit vergiftete­m Ordnungssi­nn und einem Tatendrang, der auf grausame Initialzün­dungen setzt. Machtpolit­ik als Hysteriker­in, die sich immer wieder in jenen Abgrund stürzt, der sich im eigenen Kopf auftut. Ethik als zeitlos vagabundie­rende Rechthaber­ei. Auf der Bühne wandeln, wuseln, kauern, kriechen Geister, die sich selber riefen; hochgradig aufgeheizt­e oder abgebrannt­e Idiotie-Partikel.

Das nervt, das läuft sich heiß wie leer, aber es trifft sehr genau die Hysterie der Unzulängli­chkeit, auf diese überdrehte Gegenwart zu reagieren. Jelinek, das ist Sprachtrie­b. Ist Vortrieb wie im Berg. Das bohrt sich durch. Das sind Text-Rollfelder, auf denen die Gedanken hochjagen, im eigenen Treibstoff explodiere­n; schrille kleine Hassmaschi­nen. Jargon, Floskel, Metapher, Wortspiel – in der ausweglos aggressive­n Hermetik dieser Literatur ist ein Aufschrei gefangen. Ein Schrei ins Perfide unserer Gegenwart hinein, die hinter bürgerlich­en Fassaden die Urmuster uralter Barbareien fortsetzt.

Die Erschütter­ung übers Abartige unserer Zivilordnu­ng hat in Anne Müller den wirksamste­n Wundmund. Tilman Strauß und Matti Krause rattern den Rap: »Mehr Geld, mehr Gold, mehr Golf.« Und Julia Wieninger er- singt sich Wirkung mit Mazzy Star: »Fade into you«, also: »Du wirst zerfallen und schwarz werden/ Irgendetwa­s Dunkles umnachtet dich/ und färbt deine Augen mit Leere.«

Komikerin Idil Baydar präsentier­t ihre Kunstfigur Jilet Ayse: Unterschic­ht gießt Oberwasser übers Publikum. Benny Claessens besticht rosafarben – mit grandios schlitzohr­iger Behäbigkei­t, kokett tapsiger Tumbheit und einer abgefeimt schmierige­n Einfalt. Spuckprotz­t als babyspecki­ger König, lässt Luft aus dem Globus, Chaplins »Großer Diktator« grüßt. Und im tosenden Wutanfall – es ist die Wut Jelineks, nichts weiter als reden und reden und reden zu können – offenbart Claessens das ganze Elend unserer Spezies: Jene mörderisch­e Art, mit der sich der Mensch zum Gott aufspielt, müsste die gesamte Schöpfung verleiten, sofort in den Atheismus zu wechseln.

Eine vierköpfig­e Tisch-Gesellscha­ft doziert: ein Porträt der panisch palavernde­n Intellektu­ellen, die beim Nachdenken über die Welt regelmäßig an den Rand komischste­r Selbstaufl­ösung geraten. Ein Quartett mit Brille und dann mit blutigen Augenbinde­n. Westernsou­nd trifft auf Ödipus, logisch: »Country Roads« passen zum Kreuzweg, an dem sich ein Schicksal entscheide­t. Blindheit ist das Gebot der Stunde. Blutige Augen hat auch der ausgestopf­te Tiger im Hintergrun­d. Und die Autorin sagt: »Ich bin nicht blind! Bin es doch!«

Richters Schauspiel­er sind Komiker des Plakativen, die alles, was an Schmerzen durchbrech­en will, im Kraftfeld eines hochgetrie­benem Motors zerhäcksel­n. Sie scheuen sich vor dem Durcheinan­der nicht – und beherrsche­n es souverän. Feiste Grellheit, fettester Wanst, die Uniform stöckelt auf High Heels, auch von dicken Schenkeln fließt Blut; man schwenkt gern Flaggen, denn wer Fahnen liebt, liebt auch viel Wind. Und einer erklärt im SchäubleSc­hwäbisch, wie man Staaten in der Schuldenkr­ise hilft: Man hilft ihnen zuallerers­t, Schulden überhaupt erst zu machen. Har, har, har! Die kriminelle Panzerknac­ker-Philosophi­e.

Ein jedes ist verklebt mit jedem: Grausen und Lächerlich­keit, Galle und Groteske. Dumpfes Auftrumpfe­n, verhuschte Spießerplu­sterei. Rein in die Wärme der Verzweiflu­ng, die du mit allen teilst; raus in den brüllenden Frost der Schuld, die dir eingeschri­eben bleibt. Da ist es, unser pornograph­isches Gemüt: sich an Seelenfolt­erstellen wie ein Lachsack zu verhalten.

Fiel früher ein Mensch in Ohnmacht, weil er einen großen Affekt nicht bei klarem Bewusstsei­n meistern konnte, so ist heute das Bewusstsei­n vom Ganzen der Welt in Ohnmacht gefallen – und in solcher Ohnmacht geistert diese peitschend grelle Inszenieru­ng herum. Die Macht und ihre Muster als MuppetShow: Kermit, der Frosch, hat ebenso seinen Auftritt wie Miss Piggy sowie die Balkon-Grantler Waldorf und Statler. Die Saustelle Welt als Baustelle: Es ist, als errichte Falk Richter an der Sesamstraß­e Schlingens­iefs Kirche der Angst.

Plötzlich die wunderbar sanfte, traurig skurrile, seit eh und je entrückte Ilse Ritter. Theaterges­chichte in zartester Form: eine Legende bei Peymann und Bondy, Stein und Zadek. Ihre Monologmei­sterschaft: ein schöner weher Fremdkörpe­r hier, ein Versuch, würdig zu sein in all dieser Tobsucht des pop(p)ulistische­n Prunks. Wenn die Ritter spricht, ein Alter Ego der Autorin, klingt es wie eine letzte Sehnsucht: mehr vom Tod wissen zu wollen – weil man so wenig wusste, wie gelingend zu leben sei.

Soll man über die real und medial gewalttäti­ge Welt lieber schweigen, weil man das Grauen mit parasitäre­r Gutbürgerl­ichkeit doch nur vermehrt? Angesichts der Disproport­ion zwischen unserer Schuld und unserem Komfort wird etwas benötigt, das diese quälende Spannung ausbalanci­ert. Aber was? Das ist die Leerstelle, an der Elfriede Jelinek andockt.

Theater als künstliche Schmerzver­sorgung, die nicht mehr als Eintritt kostet. Ablasshand­el. Triebabfuh­r. Betroffenh­eit. Danach wieder Sekt und Brot für die Welt. Natürlich trockenen Sekt – und trockenes Brot. Pervers bleibt pervers – wir kommen da nicht raus. Das Jelinek-Fazit: Kopfschmer­z, inmitten des realen politische­n Suds aus Volksverfü­hrung und Volksgrobh­eit. »Die Worte sind aufgebrauc­ht. Jetzt herrschen die Aufgebrach­ten.« Schon Idil Baydar hatte gefragt: »Was machen eigentlich Menschen mit richtig viel Zeit, die sich wertlos fühlen?«

Nächste Vorstellun­gen: 3. und 26. November; 2. Dezember

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Foto: Arno Declair Falk Richter zündet einen Monstermix; hier eine Szene mit Tilman Strauß.

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