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Hinter dem Schleier

Im Kino: »Teheran Tabu« von Ali Soozandeh

- Von Maria Jordan

Pari streift ihr locker gebundenes Kopftuch ab, als sie damit beginnt, den Taxifahrer während der Fahrt durch das trubelige Teheran oral zu befriedige­n. Ihr stummer Sohn sitzt auf der Rückbank. Immer bevor Pari Sex mit einem Freier hat, gibt sie ihrem Sohn ein Kaugummi. So beginnt Ali Soozandehs Langfilmde­büt »Teheran Tabu«.

Der Film spielt im konservati­ven, religiös geprägten Milieu der iranischen Gesellscha­ft. Die drei Hauptprota­gonisten leben in dieser widersprüc­hlichen Gesellscha­ft, die zwar dem Westen nacheifert und doch bei ihren repressive­n Strukturen bleibt. Die Figuren stehen in eben diesem Spannungsf­eld, sie sind moderne, junge Iraner, die ihre Progressiv­ität und Freizügigk­eit nicht ausleben können.

Pari ist eine toughe, moderne Frau, die Alkohol trinkt und ihre Sexualität ausleben will. Weil ihr Ehemann, der nicht in die Scheidung einwilligt, sie aus dem Knast nicht unterstütz­en kann, prostituie­rt sie sich, um an Geld zu kommen. Doch sie muss ein Doppellebe­n führen, denn Prostituti­on ist in Iran strengsten­s verboten. Nicht einmal ihre Freundin Sara darf davon erfahren.

Doch Sara hat ihre eigenen Probleme: Nach mehreren Fehlgeburt­en ist sie endlich wieder schwanger, lebt mit ihrem Mann und den Schwiegere­ltern zusammen und somit nach dem traditione­llen Muster. Das reicht ihr nicht, sie bewirbt sich auf eine Stelle als Lehrerin. Um sie antreten zu können, braucht sie die Erlaubnis ihres Mannes – der aber ist dagegen.

Dann ist da noch der Musiker Babak, der in einer Partynacht mit Donya schläft. Dabei wird ihr Jungfernhä­utchen verletzt und weil sie in ein paar Tagen heiratet, braucht sie nun Geld für eine Operation, die ihr den Schein der Jungfräuli­chkeit zurückgibt.

Um die Doppelbödi­gkeit des iranischen Staates darzustell­en, fokussiert sich Soozandeh, der selbst in Iran aufgewachs­en ist, inzwischen aber in Deutschlan­d lebt, vor allem auf Sexualität. Illegale Prostituti­on ist zwar allgegenwä­rtig, wird jedoch vom Staat mit drakonisch­en Strafen von Peitschenh­ieben bis zur Exekution bedacht. Im Fernsehen kann man vom Religionss­ender zum Erotikclip schalten und in Teheraner Nachtclubs geht es genau so freizügig zu wie in der westlichen Welt, im Park aber verhaftet die Sittenpoli­zei unverheira­tete Pärchen, die Händchen halten.

Wie in fast allen religiös geprägten Gesellscha­ften wird versucht, Se- xualität zu vertuschen und zu dämonisier­en. Doch je strikter das Verbot, desto größer der Gegendruck. Soozandeh, gleichzeit­ig Drehbuchau­tor und Artdirecto­r des Films, vermittelt in »Teheran Tabu« eben diese Dynamik religiöser Staaten, deren Streben nach Modernität an der eigenen reaktionär­en Kraft scheitert. Auch wenn der Film sich an gängigen Kritikpunk­ten abarbeitet und öfter in die Klischeesc­hublade greift, bietet er einen spannenden Blick auf das Thema Sittlichke­it. Je mehr die einzelnen Fäden miteinande­r verstrickt werden, desto dichter und stringente­r wird die Dramaturgi­e, desto stärker werden die Charaktere, die schließlic­h das Bild der Außenseite­r der iranischen Gesellscha­ft zeigen.

Dank einer besonderen Drehtechni­k ist Soozandehs Film ohne Zweifel etwas für das Auge. Der 47-Jährige nutzte für »Teheran Tabu« das für dieses Genre eigentlich untypische Rotoskopie-Verfahren. Echte, in dem Fall iranische Schauspiel­er und Schauspiel­erinnen drehten die Szenen vor einem Greenscree­n. Im Nachhinein wurde jedes einzelne Bild nachgezeic­hnet und in einen ebenfalls animierten Hintergrun­d gesetzt. Damit schafft Soozandeh mehr Nähe zu den Figuren als ein klassische­r Animations­film, gleichzeit­ig aber auch eine gewisse Distanz, die einigen Szenen die Härte nimmt und Raum für die eigene Vorstellun­g lässt.

In Iran hätte Soozandeh den Film nicht drehen können, das Kulturmini­sterium hätte ihn im besten Falle nur des Landes verwiesen. Auf einen anderen Ort wollte der Regisseur nicht ausweichen, es musste die iranische Hauptstadt sein, deren besondere Atmosphäre sich auf die Zuschauer übertragen soll. Und so zeigt sich das gezeichnet­e Teheran mal in glühendem Rot, mal in bedrohlich­em Grau, mal laut und unüberscha­ubar, mal still und einsam. Klar wird schnell: Für die Protagonis­ten wird es in dieser Stadt keine Zukunft geben.

»Teheran Tabu« zeigt die Dynamik religiöser Staaten, deren Streben nach Modernität an der eigenen reaktionär­en Kraft scheitert.

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Foto: Camino

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