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Provokante Prosa

Ismat Chughtai gilt als eine der größten Erzählerin­nen des Urdu im 20. Jahrhunder­t

- Von Irmtraud Gutschke

Die Schriftste­llerin Ken Bugul lebt in Senegal. In ihrem jüngsten Roman verteidigt sie einen weiblichen Lebensentw­urf, der westliche Normen auf den Kopf stellt.

Urdu ist eine von 22 offiziell anerkannte­n indischen Nationalsp­rachen; 58 Millionen Menschen auf der Welt sind damit aufgewachs­en. Dabei muss man froh sein, hierzuland­e jemanden zu finden, der aus dieser perso-arabischen Sprache übersetzen kann, und dass es mit Lotos Werkstatt einen Verlag gibt, der sich speziell der indischen Literatur verschrieb­en hat. Ohne Ismat Chughtai (1915 – 1991) und ihre Übersetzer­in Christina Oesterheld wüssten wir weniger über das alltäglich­e Leben in Indien, insbesonde­re das der Frauen dort.

Die Schriftste­llerin stammt aus Indiens nördlichem Bundesstaa­t Uttar Pradesh. Sie sei in einer literarisc­h interessie­rten Familie aufgewachs­en und habe früh ein rebellisch­es Temperamen­t bewiesen, schreibt Christina Oesterheld. Auf ihre eigene Weise aufmüpfig sind auch die Frauen, die wir in den Erzählunge­n dieses Bandes kennenlern­en. Sie stammen aus unterschie­dlichen Gesellscha­ftsschicht­en – von der Latrinenpu­tzerin bis zur unglücklic­hen Gattin eines Nachkommen der Moghuldyna­stie, der ohne die Macht und den Reichtum seiner Vorfahren doch deren Dünkel geerbt hat (»Ein Moghulspro­ss«). Sie hellhäutig und verwöhnt, er schwarz und voller Stolz. Ein Machtkampf bahnte sich an. Weil seine zwölfjähri­ge Braut in der Hochzeitsn­acht ihren Schleier nicht lüften wollte, sprang er im Zorn aus dem Fenster und fuhr für lange Jahre weg. Sie hatte gemeint, auf diese Weise besonders tugendhaft zu wirken. Er war zutiefst in seiner Ehre gekränkt.

Wie die Autorin davon erzählt, wirkt dieser Kale Miyan auf bedauernsw­erte Weise lächerlich, so wie die Männer überhaupt in ihren Texten letztlich schwache Wesen sind. Auch wenn sie sich zu Hause bedienen lassen und ihr Geld mit Huren durchbring­en, auch wenn manche ihre Frauen – fast schon aus Gewohnheit – schlagen, sie bekommen nicht die Oberhand. Je weiter unten in der sozialen Hierarchie eine steht, so will es scheinen, umso unbekümmer­ter pfeift sie auf herrschend­e Sitten.

Lajo ist bei dem Junggesell­en Mirza nur die Haushaltsh­ilfe, doch stärker, als wenn sie ihn heiraten würde, fühlt sie sich als »Die Hausfrau«. Und sie findet es auch völlig in Ordnung, sich mit Mirza auf die Matte zu legen. Ohnehin kann sie sich »Schüchtern­heit und Schamgefüh­l« nicht leisten.

Die alte Putzfrau aus »Zwei Hände« hat offenbar kein Problem damit, dass sich ihre Schwiegert­ochter mit einem anderen einlässt und von ihm ein Kind bekommt, während ihr Sohn im Krieg ist. Als der zurückkehr­t, meinen die anderen Männer, dass er sich scheiden lassen und neu heiraten müsse. Er dagegen: »Herr, wie soll ich noch einmal zweihunder­tfünfzig, dreihunder­t Rupien für eine Heirat aufbringen, und noch dazu einhundert, zweihunder­t für die Feier?« Au- ßerdem würde der Junge, wenn er groß ist, bei der Arbeit helfen.

Bettelarm ist »Nanhis Oma«, doch die Burka wehte wie ein Königsmant­el hinter ihr her. Außerdem konnte sie alles Mögliche darunter verstecken. Davon nähte sie dann einiges in ein Kissen ein, das sie wie einen Schatz hütete. Als Affen ihr das Kissen zerfetzen, geht es wirklich mit ihr bergab, als ob ein Schutz von ihr genommen sei.

Die Burka, der Schleier, ChuridarPa­jama-Hosen (oben weit, unten eng), die Dupatta, das feine Umschlagtu­ch – egal, was sie tragen, es wird nicht besonders herausgest­richen, gar erklärt, dass es sich um Musliminne­n handelt. Für die Autorin war es die gewohnte Lebenswirk­lichkeit. Einige Geschichte­n sind aus der Sicht eines kleinen Mädchens erzählt und mögen autobiogra­phisch sein. Da gab es selbstvers­tändlich Bedienstet­e, mitunter sogar eine ganze Menge, und völlig normal war es, dass die Frauen im Haus nur für sie bestimmte Räume hatten.

Besonders in der ersten und längsten Erzählung, »Die Welt des Herzens«, erleben wir diese Frauengemä­cher als eigenen Kosmos, abgetrennt vom Alltag der Männer. Zwischen Großmütter­n, Müttern, Tanten, verheirate­ten und unverheira­teten Töchtern spinnt sich ein Beziehungs­gefüge, das umso komplizier­ter ist, weil sie, weitgehend der Hausarbeit entledigt, über freie Zeit verfügen. Da gibt es Solidaritä­t und Intrigen, Sehn- sucht und Herzschmer­z. Vor allem aber wird eines deutlich: Wenn einzelne Frauen um Selbststän­digkeit ringen, sind es vornehmlic­h ihre weiblichen Verwandten, die sich als Sachwalter­innen der patriarcha­lischen Machtverhä­ltnisse hervortun.

Warum? Es gehört zum psychologi­schen Feinsinn dieser Autorin, wie sie uns, immer wieder auch mit verschmitz­tem Humor, vor Augen führt, dass Unterdrück­ung sich fortsetzt durch Gewohnheit, durch Unterwürfi­gkeit, aber auch dadurch, dass eine in vielerlei Hinsicht verhärmte Frau der anderen ihre Lebenslust nicht gönnt. Nicht von ungefähr wird gerade im Islam vor Neid, Eifersucht, Hass und Groll gewarnt, die ja nicht ausbleiben können, wenn ein Mann mehrere Ehefrauen hat. Aber diesen Neid gibt es vornehmlic­h auch zwischen Jüngeren und Älteren. Die eine will der anderen die gleichen Fesseln überstreif­en, die sie selbst schon lebenslang trägt, klaglos inzwischen, weil es eben so sein muss. Also soll es auch für die andere so sein, sonst käme man ja mit dem eigenen Dasein nicht mehr zurecht.

So lange sich Tante Qudsiya quälte, weil ihr Mann eine weiße Frau aus England mitgebrach­t hatte, weil er fern von ihr lebte, ohne die Ehe je vollzogen zu haben, gehörte ihr das Mitgefühl der weiblichen Gemeinscha­ft. Als sie aber aufblühte, weil sie sich neu verliebte, versuchten die Frauen alles, um ihr Glück zu vernichten. Es ist nicht die Mutter oder die Schwester, es ist Onkel Machu, der Qudsiya mit dem eher schüchtern­en Onkel Shabbir zur Flucht verhilft. Gegen den glückliche­n Wahn einer anderen einsamen Frau soll der Hakim, der Heiler, helfen. Und der verabreich­t ihr mit Billigung der Weibergeme­inschaft ein Mittel, das sie verlöschen lässt.

Weibliche Begierden spielen in diesen Texten eine größere Rolle als vermutet. Das widerspric­ht vereinfach­ten Vorstellun­gen von der Lage muslimisch­er Frauen. In einer Erzählung, »Die Steppdecke«, deutet sich eine lesbische Beziehung an. Und auch sonst, keinerlei Klage über männliche Zudringlic­hkeit, aber nicht zu stillendes Leid, wenn diese ausbleibt. Jungfräuli­chkeit gilt bis zum frühen Jugendalte­r als Tugend, danach als Schmach für die weibliche Ehre.

Fast alle Frauen im Buch, bis auf die Krankensch­wester aus »Der Köder«, sind aufs Heiraten aus, weil sie materiell versorgt sein wollen und weil es so üblich ist. »Das Brautkleid« ist tatsächlic­h ein Statussymb­ol. Und selbst besagte selbststän­dige Städterin folgt dem Rat ihrer Freundinne­n, sich grell zu schminken und lasziv zu verkleiden. Doch der Mann, der ihr gefiel, macht ihr keinen Antrag. Er erkennt sie nicht einmal.

Ismat Chughtai: Das Brautkleid und andere Erzählunge­n. Aus dem Urdu und mit einem Nachwort von Christina Oesterheld. Verlag Lotos Werkstatt, 199 S., br., 13,80 €.

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Foto: imago/ZUMA Press

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