Unversöhnlich in Genf
Russlands militärisches Eingreifen im Syrien-Krieg hat der Regierung klare Verhandlungsvorteile verschafft
Die neue Gesprächsrunde über Frieden in Syrien begann frostig.
Die achte Runde der Genfer Syrien-Friedensgespräche unter UNO-Regie hat begonnen. Doch schon zu Beginn stehen sie unter einem schlechten Stern, scheinen sich doch beide Seiten feindseliger denn je zu begegnen.
Trotz lautstarker Proteste von Oppositionellen sind die Regierungsgegner bei den Syrien-Verhandlungen in Genf mit einer gemeinsamen Delegation vertreten, kurdische Parteien sind nicht dabei. In Syrien geht der Krieg gegen den »Islamischen Staat« (IS) seinem Ende entgegen, die Gewalt im Lande ist deutlich zurückgegangen. Oppositionelle Kampfverbände fechten letzte Machtkämpfe aus. Die Bevölkerung bemüht sich, familiäre und gesellschaftliche Scherben zu kitten, die Regierung hat mit dem Wiederaufbau der zivilen Infrastruktur begonnen. Den geostrategischen Krieg um Syrien hat Russland offenbar für sich und seine Verbündeten entschieden. Die USA und Westeuropa wollen sich über die UNO ihren Einfluss sichern. Das ist die strategische Ausgangsposition vor Genf.
Die neue Syrien-Gesprächsrunde hat dort am Montag, wie die vorherigen Gespräche auch, mit Bedingungen begonnen. Die syrische Regierung forderte die bewaffnete Opposition auf, ihre Waffen niederzulegen. Nasr al-Hariri, der Leiter des neu aufgestellten »Hohen Verhandlungsrates« (HNC), auch Riad-Gruppe genannt, erklärte am Montag in Genf vor Journalisten, erst wenn der syrische Präsident Baschar al-Assad abtrete, werde der Friedensprozess in Syrien beginnen können. UN-Ver- handlungsleiter Staffan de Mistura sagte dem UN-Sicherheitsrat, er werde »keine Vorbedingungen akzeptieren, von keiner Seite«.
Hariri war in der vergangenen Woche in Riad zum HNC-Präsidenten gewählt worden. Sein Vorgänger, Riad Hijab, war zuvor zurückgetreten. Beobachter gehen davon aus, dass Hijab dem Druck aus Kreisen der »Freunde Syriens«, seine Position zu mäßigen, nicht nachgeben wollte.
Die »Freunde Syriens« sind eine Staatengruppe um die USA, europäische und Golfstaaten, die seit 2011/12 die Opposition unterstützen. Die Bundesregierung gehört zum Kern der Gruppe, deren Mitglieder auch der US-geführten »Anti-IS-Koalition« angehören. Der HNC wird in Genf von deutschen Juristen, Politikund Medienexperten unterstützt, die von Berlin bezahlt werden.
Erstmals werden syrische Oppositionsgruppen in einer gemeinsamen Delegation in Genf vertreten sein. Schwergewicht ist weiterhin die in der Türkei ansässige und von der Muslimbruderschaft dominierte »Syrische Nationale Koalition«, die zehn Delegierte in das Verhandlungsteam schickt. Sechs Personen vertreten das Nationale Koordinationskomitee, dem arabische Nationalisten, Unabhängige und Kurden angehören. Die Moskau-Gruppe und die Kairo-Gruppen werden mit je vier Delegierten vertreten sein. 16 weitere Delegierte gelten als Unabhängige, auch einige Kommandeure der »Freien Syrischen Armee«, u. a. der ehemalige Verantwortliche der »Aleppo-Front«, wurden in die Verhandlungsgruppe gewählt. Die Kommunistische Arbeiterpartei ist mit einem Delegierten dabei sowie weitere Persönlichkeiten, die seit 2011 als »Sprecher der Opposition« gelten.
Nicht vertreten sind Abgesandte kurdischer Parteien (siehe unterer Beitrag). Auch oppositionelle Parteien, die im syrischen Parlament vertreten sind, wie die Syrische Soziale Nationalistische Partei, sind nicht eingeladen. Rund 50 HNC-Oppositionelle sind in Genf anwesend, werden aber dort durch ein sechsköpfiges Verhandlungsteam unter Führung von Nasr al-Hariri vertreten.
Die syrische Regierung ist – wie bisher – mit einer Delegation unter Leitung des UN-Botschafters Baschar al-Jaafari präsent. Aus Protest gegen die Äußerungen Hariris zum geforderten Rücktritt des syrischen Präsidenten kam die Regierungsdelegation erst am Mittwoch in Genf an. Im Zentrum der Gesprächsrunde, die bis zum 8. Dezember dauern soll, werden nach dem Willen von UN-Verhandlungsleiter de Mistura zwei Themen stehen: eine neue Verfassung und Wahlen unter Kontrolle der Vereinten Nationen.
Bestimmt werden die Genfer Syrien-Gespräche durch die Entwicklungen in Syrien, die zu einer deutlichen Schwächung der oppositionellen Position – militärisch und politisch – geführt und Assad gestärkt ha- ben. Begonnen hatte der Umschwung mit dem entschlossenen militärischen Eingreifen Russlands im Jahre 2015. Ende 2016 mussten die Freischärler ihrer Evakuierung aus dem Osten von Aleppo zustimmen, Anfang dieses Jahres begann mit dem Astana-Prozess ein Gesprächsformat, in dem die syrische Regierung direkt mit Vertretern der bewaffneten Oppositionsgruppen verhandelt. Möglich geworden war das durch den Sinneswandel der Türkei, die sich von den USA und deren »Anti-IS-Koalition« wegen deren militärischer Unterstützung für die syrischen Kurden abgesetzt hat.
Mehr als 2400 lokale Waffenstillstände und vier Deeskalationsgebiete wurden im Laufe dieses Jahres in Astana ausgehandelt, garantiert wird die Entwicklung von Russland und den beiden Regionalmächten Iran und Türkei. Auch Saudi-Arabien scheint seine unnachgiebige Position gegen die syrische Führung zu verändern und unterstützte die Bildung einer gemeinsamen Oppositionsdelegation. Anstelle des syrischen Präsidenten ist für Riad nun der religiöse Führer Irans, Ayatollah Ali Chamenei, das Feindbild Nummer Eins.
Das Auswärtige Amt, das in Genf die HNC-Gruppe unterstützt, erklärte am Dienstag, dass »allein Assad und diejenigen, die ihn unterstützen, in erster Linie Russland und Iran, am Zug« seien. »Das Regime« dürfe nicht länger »die Aufnahme von direkten Verhandlungen mit der Op- position über die politische Zukunft Syriens … verzögern.«
Russland hält in Syrien die Fäden in der Hand. Mit intensiven diplomatischen Gesprächen gelang es Moskau nicht nur, Iran und die Türkei für seine Syrien-Pläne zu gewinnen, es nutzte den Streit zwischen Saudi-Arabien und Katar geschickt für eine Beruhigung der Lage in Syrien. Trotz unzähliger Rückschläge wurde auch Moskaus Kontakt nach Washington nie gekappt. Für Februar ist in Sotschi eine Konferenz für den nationalen Dialog in Vorbereitung, bei der alle syrischen Oppositionsgruppen mit der Regierung ins Gespräch gebracht werden sollen. Russland hilft bei der Entminung weiter Gebiete, liefert humanitäre Hilfsgüter und unterstützt die Neustrukturierung der syrischen Armee.
Der UN-Sicherheitsrat hat mit der Resolution 2254 alle Staaten auf einen politischen Prozess in Syrien verpflichtet. In Moskau weiß man, dass Wiederaufbau und Frieden in Syrien nur gelingen können, wenn auch die USA und ihre Verbündeten in Europa, Israel und am Golf mitziehen. Ein namentlich nicht genannter europäischer Diplomat sagte gegenüber dem Internetportal »Middle East Online«, Russland halte »nicht alle Karten« in Syrien in der Hand. »Nur Genf hat die Legitimität, alle zusammenzuführen, und nur Genf kann die wichtige internationale Hilfe freigeben, die gebraucht wird, um Syrien wieder auf die Beine zu bringen.«