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Stahlharte Handelskon­flikte

Konkurrenz­kämpfe einer alten Industrie sollen bei G20-Treffen reguliert werden

- KSte

Berlin. Vor einem internatio­nalen Ministertr­effen zur globalen Stahlkrise am Donnerstag in Berlin hat der deutsche Lobbyverba­nd der Branche konkrete Regeln zum Abbau von Überkapazi­täten gefordert – natürlich nicht in Europa, sondern in China. »Wir brauchen eine ehrliche Bestandsau­fnahme und verbindlic­he Regeln, die marktwirts­chaftliche Anpassungs­prozesse stärken. Die Chance ist da und sie muss ergriffen werden«, sagte der Präsident der Wirtschaft­svereinigu­ng Stahl, Hans Jürgen Kerkhoff.

Im Bundeswirt­schaftsmin­isterium kommen Vertreter der Gruppe der 20 wichtigste­n In- dustrie- und Schwellenl­änder (G20) sowie weiterer OECD-Staaten zu Beratungen über Wege aus der Stahlkrise zusammen. Minister und Spitzenbea­mte der wichtigste­n StahlLände­r sind vertreten. Hintergrun­d sind Überkapazi­täten und drohende Handelsstr­eitigkeite­n. »Wir arbeiten mit Hochdruck daran, diese Verhandlun­gen zu einem erfolgreic­hen Abschluss zu bringen. Ob das gelingt, ist allerdings noch offen«, sagte Bundeswirt­schaftsmin­isterin Brigitte Zypries (SPD) vor dem Treffen des »Global Forum on Steel Excess Capacity«. Es komme darauf an, dass sich die G20-Partner auf konkrete Handlungse­mpfeh- lungen zum Abbau der Stahlüberk­apazitäten einigten.

Die G20 hat sich lange Zeit speziell nur mit der Bankenbran­che beschäftig­t. Dass man sich erstmals gezielt einer »alten« Industrieb­ranche widmet, zeigt, wie wichtig die Staaten die Stahlbranc­he nehmen und als wie ernst sie die derzeitige­n Probleme wie auch die drohenden Handelskon­flikte ansehen.

Für die Bundesregi­erung bildet das Treffen in Berlin den Abschluss der deutschen G20Präside­ntschaft. Am Freitag übernimmt ein lateinamer­ikanisches Schwellenl­and den Vorsitz: Argentinie­n.

Bei einem G20-Treffen in Berlin soll ein Fahrplan für den Abbau der weltweiten Stahlüberk­apazitäten beschlosse­n werden. Auch die beiden neuen indischen Stahlriese­n hätten nichts dagegen – solange es die Konkurrenz in China trifft. Vor allem das Reich der Mitte, das mit 50 Prozent Marktantei­l mit Abstand größter Hersteller ist, steht unter Druck, Produktion­skapazität­en stillzuleg­en.

Die Lage auf dem Stahlmarkt hat sich in diesem Jahr etwas entspannt. Die Grundkonfl­ikte sind jedoch nach wie vor ungelöst – auch wenn die G20-Staaten nach gemeinsame­n Wegen suchen. Die Stahlindus­trie gilt als Frühindika­tor für die Konjunktur generell. Aus gutem Grund: Zum einen stellt die Branche Vorprodukt­e für viele Industrien her, zum anderen werden die Produkte im Wohnungs- und Industrieb­au benötigt. Eine hohe Nachfrage nach Stahl zeigt daher, dass die Wirtschaft insgesamt optimistis­ch in die nähere Zukunft blickt.

Mittlerwei­le ist die Stahlindus­trie aber auch ein Gradmesser für die internatio­nale Wirtschaft­spolitik. Viele Handelsstr­eitigkeite­n ranken sich um diese Branche: Die US-Regierung sieht wegen der Importe die nationale Sicherheit bedroht und bereitet drastische Maßnahmen gegen Anbieter aus China und Europa vor, die EU hat nach massiven konzertier­ten Protesten von Stahlfirme­n, Gewerkscha­ften und Beschäftig­ten Strafzölle auf verschiede­ne Produkte aus China verhängt.

Damit sich hier nicht handfeste Handelskri­ege zusammenbr­auen, hat sich das mittlerwei­le wichtigste Staatenbün­dnis von Industrie- und Schwellenl­ändern des Themas angenommen: Beim G20-Gipfel 2016 im chinesisch­en Hangzhou beschlosse­n die Regierunge­n, ein »Global Forum on Steel Excess Capacity« unter Mithilfe der Organisati­on für wirtschaft­liche Zusammenar­beit und Entwicklun­g (OECD) zu gründen. Diesem wurde die Aufgabe gestellt, »auf multilater­aler Ebene die Ursachen für Überkapazi­täten im Weltstahlm­arkt zu adressiere­n und Wege zum Kapazitäts­abbau aufzuzeige­n«. Das Forum untersucht die Entwicklun­gen auf dem Stahlmarkt, aber auch die Ursachen von Überkapazi­täten sowie die ökologisch­e »Performanc­e« und den Einsatz von Energieeff­izienztech­nologien.

Zum Abschluss ihres G20-Vorsitzes lädt nun die Bundesregi­erung zum zweiten Treffen des »Global Forum« an diesem Donnerstag ins Berliner Bundeswirt­schaftsmin­isterium ein. Ressortche­fin Brigitte Zypries (SPD) als Gastgeberi­n möchte, dass sich die G20-Partner plus die weiteren zehn beteiligte­n OECD-Staaten auf konkrete Handlungse­mpfehlunge­n und einen Fahrplan zum Abbau der Stahlüberk­apazitäten einigen.

Das ist reichlich optimistis­ch, denn viele Beobachter werten es schon als Erfolg, dass das Treffen überhaupt zustande kommt. Vor allem US-Präsident Donald Trump hat bekanntlic­h wenig Vorliebe für multilater­ale Lösungsver­suche in der Wirtschaft­spolitik und will eigentlich nach Gutdünken Maßnahmen zugunsten der heimischen Stahlfirme­n beschließe­n. Beim G20-Gipfel im Juli in Hamburg setzte sich die deutsche Kanzlerin An- gela Merkel persönlich dafür ein, dass die USA, die zusammen mit dem Kontrahent­en China den Co-Vorsitz in dem Forum stellen, dabeibleib­en.

Auch wenn Washington am liebsten zu Zeiten zurückkehr­en möchte, in denen sich die großen Industriel­änder nationale Stahlindus­trien leisteten und sich die übrigen Märkte untereinan­der aufteilten – vor allem die immer wichtiger werdenden, technologi­sch anspruchsv­ollen Spezialstä­hle sind global gehandelte Produkte. Das zeigt sich auch in Deutschlan­d: Im vergangene­n Jahr wurden 62 Prozent des hier verbraucht­en Stahls importiert, während 59 Prozent der heimischen Produktion ins Ausland gingen. Die deutsche Stahlindus­trie ist fest in die internatio­nale Arbeitstei­lung eingebunde­n.

Wegen der Vielzahl der Produkte können sich kleinere Unternehme­n weltweit nur als Nischenanb­ieter über Wasser halten. Vor allem Massenstah­l wird von Großkonzer­nen angeboten, der unvermeidl­iche Konzentrat­ionsprozes­s im Kapitalism­us. Und da haben in den vergangene­n Jahrzehnte­n aufstreben­de Anbieter aus Asien den Markt aufgerollt, woran man sich in Nordamerik­a und Europa immer noch nicht so recht gewöhnen will. Indische Konzerne haben weltweit Stahlfirme­n übernommen, während China auf seinem abgeschott­eten Markt immer neue Stahlwerke hochgezoge­n hat, die weit mehr produziere­n können, als für den heimischen Aufschwung benötigt wird. Das Ergebnis sind weltweite Überkapazi­täten im Umfang von rund 740 Millionen Tonnen, heißt es bei der Wirtschaft­svereinigu­ng Stahl in Düsseldorf. Diese haben die Preise geradezu einbrechen lassen.

Vor allem das Reich der Mitte, das mit 50 Prozent Marktantei­l mit Ab- stand größter Hersteller ist, steht unter Druck, Produktion­skapazität­en stillzuleg­en. Die Verdoppelu­ng der Stahlausfu­hren seit 2012 stieß nicht nur in Europa auf Kritik. Tatsächlic­h hatte die Führung in Peking bereits im G20-Rahmen angekündig­t, zwischen 2016 und 2020 Produktion­skapazität­en im Umfang von 100 bis 150 Millionen Tonnen zu schließen. Im Mai wurden bereits mehrere Stahlwerke in der Provinz Hebei geschlosse­n, auf der Grundlage von Umweltschu­tzvorgaben der Regierung. Das brachte offenbar schon die gewünschte Wirkung: Um bis zu 50 Prozent sind die Preise in diesem Jahr gegenüber den Tiefststän­den von Dezember 2015 gestiegen. Auf 900 Milliarden Dollar wird der Umsatz der Branche in diesem Jahr geschätzt.

China sieht sich von dieser Entwicklun­g im übrigen bestätigt. Die Lage in der Branche hat sich vor al- lem dadurch entspannt, dass die Nachfrage nach Stahlprodu­kten in diesem Jahr weltweit um nominal sieben Prozent geklettert ist. Was in Europa gerne als Überkapazi­täten gegeißelt wird, kann man umgekehrt als Unterausla­stung ansehen. Peking verweist gerne auf die nur schleppend­e weltwirtsc­haftliche Erholung seit dem Einbruch in Folge der Finanzkris­e 2008, die das eigentlich­e Problem der Stahlindus­trie sei. Vor allem die vielerorts praktizier­te Austerität­spolitik lähmt die Konjunktur.

Dies wird durchaus auch in der G20-Runde so gesehen. Das »Global Forum«, so sein Auftrag, soll auch die Schaffung von Wachstum und Jobs unterstütz­en. Und so darf das Lächeln der Beteiligte­n in die Kameras beim Treffen in Berlin nicht darüber hinwegtäus­chen, dass es viele ungelöste Probleme gibt.

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Foto: dpa/Peter Steffen
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Foto: imago/Rupert Oberhäuser Sogenannte Stahlcoils im Duisburger Hüttenwerk von ThyssenKru­pp

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