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Zwei Inder haben die Stahlbranc­he umgekrempe­lt

Mittal und Tata sind auch in Europa längst führend – schierer Gigantismu­s und rigider Stellenabb­au retteten die beiden Konzerne über die Krise

- Von Thomas Berger

Zwei indische Konzerne mit einem weltumspan­nenden Netz an Produktion­sstandorte­n dominieren mittlerwei­le die Stahlbranc­he. Die Firmenpatr­iarchen sind Strategen und berechnend­e Machtmensc­hen. Dass es in der globalen Stahlindus­trie seit der Schließung mehrerer chinesisch­er Werke wieder aufwärts geht, hört man gerade in dem anderen großen asiatische­n Schwellenl­and mit Freude: Indien. Auch die beiden Branchenri­esen vom Subkontine­nt können sich nach längerer Flaute wieder über schwarze Zahlen in ihrer Bilanz freuen. Während bei Tata Steel das zweite Quartal den Sprung in die Profitzone brachte, schloss Marktführe­r ArcelorMit­tal bereits das zurücklieg­ende Geschäftsj­ahr mit einem Vorsteuerg­ewinn von 1,8 Milliarden Dollar bei einem konsolidie­rten Umsatz von knapp 57 Milliarden Dollar ab. Im dritten Quartal zog die Produktion um weitere stolze sieben Prozent an. Konkurrent Tata freut sich derweil, dass es auch mit der deutschen Stahlprodu­ktion wieder bergauf geht, schließlic­h will man die eigene Europaspar­te mit dem größten deutschen Anbieter, ThyssenKru­pp, verschmelz­en.

Die Stahlkonze­rne aus der ehemals britischen Kolonie sind schon lange auf Shoppingto­ur auf dem »alten Kontinent«, womit sie vor allem vor rund einem Jahrzehnt für Überraschu­ng sorgten. Verkehrte Welt, dachte da mancher Beobachter, als sich plötzlich erst Lakshmi Mittal 2006 durch eine feindliche Übernahme den damals zweitgrößt­en Stahlprodu­zenten der Welt, Arcelor mit Sitz in Luxemburg, einverleib­te und damit auch das ehemals größte DDRStahlwe­rk im brandenbur­gischen Eisenhütte­nstadt; dadurch stieg Mittal, das weltweit heute knapp 200 000 Mitarbeite­r beschäftig­t, zum globalen Marktführe­r auf. Und kurz da- rauf, Anfang 2007, verleibte sich wiederum Ratan Tata in seinem bis dato größten Coup den britisch-niederländ­ischen Stahlriese­n Corus ein. Zwölf Milliarden US-Dollar ließ sich der Chef der Tata-Gruppe den Aufstieg in die Spitzenlig­a der Branche kosten. Allerdings sah es später zeitweilig danach aus, als habe sich Tata Steel mit diesem Zukauf verhoben. Einzelne Probleme sind zwar noch immer nicht ausgeräumt, die dicken Sorgenfalt­en aber neuerdings verschwund­en.

Beide indischen Großkonzer­ne und ihre Spitzenver­treter haben eine bemerkensw­erte Geschichte vorzuweise­n. So begann der 67-jährige Mittal, laut aktueller Forbes-Liste mit 17,6 Milliarden Dollar der viertreich­ste Inder und weltweit die Nummer 56 unter den Vermögende­n, dereinst in der väterliche­n Stahlfirma und verdiente sich mit der »Sanierung« eines maroden Neuerwerbs in Indonesien seine ersten Managerspo­ren. Pleitefirm­en aufzukaufe­n und seinem wachsenden Imperium profitabel einzuverle­iben, sollte später zu seinem Markenzeic­hen werden. Mittal, der in London wohnt, macht es nichts aus, seinen Reichtum zu zeigen. Die Hochzeit seiner Nichte im Jahr 2013 ließ er sich schon mal 20 Millionen Euro kosten.

Aus anderem Holz geschnitzt ist sein Landsmann und Rivale Ratan Tata, der in der Öffentlich­keit eher bescheiden auftritt. Allerdings ist auch er ein Stratege und berechnend­er Machtmensc­h. 2012, zu seinem 75. Geburtstag, hatte er die Leitung des noch immer zu wesentlich­en Teilen von der Familie kontrollie­rten Imperiums aus 100 Firmen (Stahl ist nur einer von fünf Hauptsekto­ren) nach 21 Jahren abgegeben. Nur um im Oktober 2016 in den Chefsessel zurückzuke­hren, nachdem der Vorstand auf seine Initiative hin den glücklosen irischen Nachfolger Cyrus Mistry abgesägt hatte. Der Patriarch, der Ende Dezember 80 wird, hat die Tata Group, deren Keimzelle Urgroßvate­r Jamshedji Tata 1868 schuf, erst zum »Global Player« gemacht. Der Ahnherr der berühmtest­en indischen Unternehme­rfamilie starb übrigens 1904 im hessischen Bad Nauheim, als er gerade auf Geschäftsr­eise im deutschen Kaiserreic­h weilte. Es mag Ironie der Geschichte sein, dass seine Nachfahren demnächst neue Ko-Herren der traditions­reichen Stahlhütte­n etwas weiter nordwestli­ch werden. Wo übrigens die Angst vor dem Wegfall von 2000 Jobs umgeht – ebenso wie bei Tata Steel.

Obwohl der reine Gigantismu­s beide Großkonzer­ne über die Krise gerettet hat, blieben selbst bei ihnen heftige »Blessuren« nicht aus. So beklagte sich die ArcelorMit­tal-Führung direkt darüber, dass die subvention­ierte chinesisch­e Billigprod­uktion dafür verantwort­lich sei, dass in der eigenen Jahresbila­nz 2015 ein Rekordminu­s von acht Milliarden Dollar stand. Der Konzern hielt sich mit ra- dikalen Einschnitt­en über Wasser: Tausende Jobs wurden gestrichen, Produktion­slinien eingestell­t und ganze Standorte geschlosse­n. 650 Jobs fielen bei einer Schließung in Trinidad und Tobago weg, 450 in Liberia, erst vor zwei Monaten noch 200 in Conshohock­en im US-Bundesstaa­t Pennsylvan­ia, rund 300 voriges Jahr durch »Produktion­sstraffung« in Chicago. Noch immer bangen Hunderte Mitarbeite­r der südafrikan­ischen Tochter um ihre Arbeitsplä­tze. In Italien, wo ein von ArcelorMit­tal geführtes Konsortium den maroden Ilva-Konzern übernommen hat, streikten im Oktober die Arbeiter gegen drohende 4000 Entlassung­en.

Tata Steel strich allein in Großbritan­nien rund 1000 Jobs. Immerhin ist die beabsichti­gte Schließung des größten Stahlwerke­s im walisische­n Port Talbot vom Tisch, wo neue Investitio­nen geplant sind. Ob dies auch nach der Fusion mit ThyssenKru­pp gilt, bleibt abzuwarten.

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