Zwei Inder haben die Stahlbranche umgekrempelt
Mittal und Tata sind auch in Europa längst führend – schierer Gigantismus und rigider Stellenabbau retteten die beiden Konzerne über die Krise
Zwei indische Konzerne mit einem weltumspannenden Netz an Produktionsstandorten dominieren mittlerweile die Stahlbranche. Die Firmenpatriarchen sind Strategen und berechnende Machtmenschen. Dass es in der globalen Stahlindustrie seit der Schließung mehrerer chinesischer Werke wieder aufwärts geht, hört man gerade in dem anderen großen asiatischen Schwellenland mit Freude: Indien. Auch die beiden Branchenriesen vom Subkontinent können sich nach längerer Flaute wieder über schwarze Zahlen in ihrer Bilanz freuen. Während bei Tata Steel das zweite Quartal den Sprung in die Profitzone brachte, schloss Marktführer ArcelorMittal bereits das zurückliegende Geschäftsjahr mit einem Vorsteuergewinn von 1,8 Milliarden Dollar bei einem konsolidierten Umsatz von knapp 57 Milliarden Dollar ab. Im dritten Quartal zog die Produktion um weitere stolze sieben Prozent an. Konkurrent Tata freut sich derweil, dass es auch mit der deutschen Stahlproduktion wieder bergauf geht, schließlich will man die eigene Europasparte mit dem größten deutschen Anbieter, ThyssenKrupp, verschmelzen.
Die Stahlkonzerne aus der ehemals britischen Kolonie sind schon lange auf Shoppingtour auf dem »alten Kontinent«, womit sie vor allem vor rund einem Jahrzehnt für Überraschung sorgten. Verkehrte Welt, dachte da mancher Beobachter, als sich plötzlich erst Lakshmi Mittal 2006 durch eine feindliche Übernahme den damals zweitgrößten Stahlproduzenten der Welt, Arcelor mit Sitz in Luxemburg, einverleibte und damit auch das ehemals größte DDRStahlwerk im brandenburgischen Eisenhüttenstadt; dadurch stieg Mittal, das weltweit heute knapp 200 000 Mitarbeiter beschäftigt, zum globalen Marktführer auf. Und kurz da- rauf, Anfang 2007, verleibte sich wiederum Ratan Tata in seinem bis dato größten Coup den britisch-niederländischen Stahlriesen Corus ein. Zwölf Milliarden US-Dollar ließ sich der Chef der Tata-Gruppe den Aufstieg in die Spitzenliga der Branche kosten. Allerdings sah es später zeitweilig danach aus, als habe sich Tata Steel mit diesem Zukauf verhoben. Einzelne Probleme sind zwar noch immer nicht ausgeräumt, die dicken Sorgenfalten aber neuerdings verschwunden.
Beide indischen Großkonzerne und ihre Spitzenvertreter haben eine bemerkenswerte Geschichte vorzuweisen. So begann der 67-jährige Mittal, laut aktueller Forbes-Liste mit 17,6 Milliarden Dollar der viertreichste Inder und weltweit die Nummer 56 unter den Vermögenden, dereinst in der väterlichen Stahlfirma und verdiente sich mit der »Sanierung« eines maroden Neuerwerbs in Indonesien seine ersten Managersporen. Pleitefirmen aufzukaufen und seinem wachsenden Imperium profitabel einzuverleiben, sollte später zu seinem Markenzeichen werden. Mittal, der in London wohnt, macht es nichts aus, seinen Reichtum zu zeigen. Die Hochzeit seiner Nichte im Jahr 2013 ließ er sich schon mal 20 Millionen Euro kosten.
Aus anderem Holz geschnitzt ist sein Landsmann und Rivale Ratan Tata, der in der Öffentlichkeit eher bescheiden auftritt. Allerdings ist auch er ein Stratege und berechnender Machtmensch. 2012, zu seinem 75. Geburtstag, hatte er die Leitung des noch immer zu wesentlichen Teilen von der Familie kontrollierten Imperiums aus 100 Firmen (Stahl ist nur einer von fünf Hauptsektoren) nach 21 Jahren abgegeben. Nur um im Oktober 2016 in den Chefsessel zurückzukehren, nachdem der Vorstand auf seine Initiative hin den glücklosen irischen Nachfolger Cyrus Mistry abgesägt hatte. Der Patriarch, der Ende Dezember 80 wird, hat die Tata Group, deren Keimzelle Urgroßvater Jamshedji Tata 1868 schuf, erst zum »Global Player« gemacht. Der Ahnherr der berühmtesten indischen Unternehmerfamilie starb übrigens 1904 im hessischen Bad Nauheim, als er gerade auf Geschäftsreise im deutschen Kaiserreich weilte. Es mag Ironie der Geschichte sein, dass seine Nachfahren demnächst neue Ko-Herren der traditionsreichen Stahlhütten etwas weiter nordwestlich werden. Wo übrigens die Angst vor dem Wegfall von 2000 Jobs umgeht – ebenso wie bei Tata Steel.
Obwohl der reine Gigantismus beide Großkonzerne über die Krise gerettet hat, blieben selbst bei ihnen heftige »Blessuren« nicht aus. So beklagte sich die ArcelorMittal-Führung direkt darüber, dass die subventionierte chinesische Billigproduktion dafür verantwortlich sei, dass in der eigenen Jahresbilanz 2015 ein Rekordminus von acht Milliarden Dollar stand. Der Konzern hielt sich mit ra- dikalen Einschnitten über Wasser: Tausende Jobs wurden gestrichen, Produktionslinien eingestellt und ganze Standorte geschlossen. 650 Jobs fielen bei einer Schließung in Trinidad und Tobago weg, 450 in Liberia, erst vor zwei Monaten noch 200 in Conshohocken im US-Bundesstaat Pennsylvania, rund 300 voriges Jahr durch »Produktionsstraffung« in Chicago. Noch immer bangen Hunderte Mitarbeiter der südafrikanischen Tochter um ihre Arbeitsplätze. In Italien, wo ein von ArcelorMittal geführtes Konsortium den maroden Ilva-Konzern übernommen hat, streikten im Oktober die Arbeiter gegen drohende 4000 Entlassungen.
Tata Steel strich allein in Großbritannien rund 1000 Jobs. Immerhin ist die beabsichtigte Schließung des größten Stahlwerkes im walisischen Port Talbot vom Tisch, wo neue Investitionen geplant sind. Ob dies auch nach der Fusion mit ThyssenKrupp gilt, bleibt abzuwarten.