nd.DerTag

Sie nennen es Einigung

Die Brexit-Verhandlun­gen werden komplett visionslos geführt, findet Nelli Tügel

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Die britische Regierung und die Europäisch­e Union haben – Medienberi­chten zufolge – einen Kompromiss gefunden bei der »Abschlussr­echnung«. Dass Theresa May den Forderunge­n Brüssels entgegenko­mmen würde, war absehbar: Sie hat ja auch nicht viel in der Hand. Mitleid muss man mit der arg gerupften Tory-Premiermin­isterin keineswegs haben – und die nun laut aufheulend­en überzeugte­n Brexiteers von Boris Johnson bis Nigel Farage sind ohnehin unbelehrba­re Nationalis­ten. Nur: Der Deal offenbart ein grundsätzl­iches Problem der Brexit-Verhandlun­gen. Sie werden komplett visionslos geführt.

Die Strategie der EU besteht darin, Angst und Schrecken zu verbreiten, damit bloß kein anderes Land auf die Idee kommen möge, es den Briten gleichzutu­n. Doch die EU ist kein Schicksal, zu dem die Mitgliedss­taaten auf ewig verdammt sind, sie ist ein Bündnis, dessen Sinnhaftig­keit sich immer wieder aufs Neue den Unionsbürg­ern beweisen muss. Statt den Scheidungs­prozess zu nutzen, um für ein gemeinsame­s Projekt zu werben, wird gedroht. Dabei verdeckt die traute Einigkeit gegenüber Großbritan­nien nur mühsam, dass die Union selbst gespalten ist. Ihr Machtzentr­um – der Europäisch­e Rat – ist ein Konglomera­t widersprüc­hlicher Interessen und Europa-Ansätze. Weder der Brexit noch irgendwelc­he »Rechnungen« sind die drängendst­en Fragen für den Staatenbun­d, sondern welche Werte und Zukunft er eigentlich verkörpert.

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