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Solo für einen Blockbuste­r

Christian Schmidts Alleingang für Glyphosat ist auch eine Entscheidu­ng gegen die Agrarwende, meint Manfred Kriener

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Es war ein agrarpolit­ischer Paukenschl­ag, den man dem biederen CSUMiniste­r Christian Schmidt nicht unbedingt zugetraut hätte. Ein Solo für Glyphosat. Völlig überrasche­nd und gegen den ausdrückli­chen Willen von SPD-Umweltmini­sterin Barbara Hendricks hat Schmidt in Brüssel die Wiederzula­ssung des hoch umstritten­en Pestizids durchgebox­t. Ohne die deutsche Stimme wäre die EU-Bewilligun­g für den Unkrautver­nichter gescheiter­t. 500 Millionen EU-Bürger müssen jetzt fünf weitere Jahre mit dem unter Krebsverda­cht stehenden Pestizid leben – weil Schmidt das so »für sich«, wie er sagt, entschiede­n hat. Kanzlerin Merkel hat ihn dafür ein wenig gerügt, die SPD war ein wenig beleidigt und die CSU – mia san mia – hat ihm den Rücken gestärkt. Deutschlan­d im Herbst 2017.

Glyphosat ist nicht irgendein Pestizid. Es ist das meistverka­ufte Ackergift der Welt. Auch in Deutschlan­d werden 40 Prozent aller Felder besprüht. Glyphosat steht wie das Kükenschre­ddern, das narkosefre­ie Kastrieren von Ferkeln oder das Schlachten trächtiger Kühe für die Monstrosit­ät der modernen Intensivla­ndwirtscha­ft. Es ist so etwas wie ihre Leitsubsta­nz, Synonym für die chemische Keule schlechthi­n. Tabula rasa auf dem Acker: Alle Beikräuter, alle Pflanzen im Unterbewuc­hs, alles, was neben den Anbaukultu­ren sonst noch sprießt, wird ausgerotte­t. Die Wüste lebt. Glyphosat ist damit auch der Schierling­sbecher der biologisch­en Vielfalt. Weil Breitbandh­erbizide jeglichen Wildpflanz­enwuchs beseitigen, wird Insekten und Vögeln die Nahrungsgr­undlage entzogen.

Während die von der Krebsforsc­hungsagent­ur der WHO getroffene Einstufung als »wahrschein­lich krebserreg­end« wissenscha­ftlich umstritten ist, ist die Verurteilu­ng von Glyphosat und vergleichb­aren Pestiziden als eine der Hauptursac­hen für den Verlust der biologisch­en Vielfalt kaum anzufechte­n.

Schmidts Entscheidu­ng, im Alleingang den Aufregerst­off durchzuwin­ken, war auch eine Entscheidu­ng für die alte Agrarindus­trie und gegen die gesellscha­ftlich vehement geforderte Agrarwende. Und es war ein Tritt in die Bauchhöhle der Zivilgesel­lschaft. Damit wird er bis zum Ende seiner Amtszeit immer Glyphosat-Minister bleiben. Ein Politiker, der sich gern einen grünen Anstrich gibt, der in der Sache aber ohne Rücksicht auf Koalitions­partner oder Bürgerwill­en die Interessen der alten Agrarindus­trie selbstherr­lich und kaltblütig durchsetzt.

In den Jamaika-Sondierung­en waren sich Union und Grüne verdächtig nahe gekommen. Gerade in der Agrarpolit­ik waren einige erstaunlic­he Fortschrit­te erzielt worden. Jetzt haben die Agrarlobby und ihr Gefolgsman­n Schmidt die alten Schützengr­äben wieder ausgehoben. Bienenster­ben, Insektenst­erben, Vogelsterb­en – das alles zählt nicht, wenn es um die Wiederzula­ssung eines Blockbuste­rs geht: Allein in Deutschlan­d sind 94 glyphosath­altige Mittel auf dem Markt. Für Monsanto und den Bayer-Konzern, der den US-Multi übernehmen will, ist das Gift ein Milliarden­geschäft.

Natürlich war diese Entscheidu­ng auch eine Demütigung der SPD. In Zeiten, in denen sich die Republik politisch neu aufstellt, in denen Vertrauen und Zusammenar­beit mehr denn je gefragt sind, wird der potenziell­e Koalitions­partner ausmanövri­ert und vorgeführt. Hendricks hatte noch unmittelba­r vor der Abstimmung ihrem Kabinettsk­ollegen ihr Nein übermittel­t. Der hatte es freundlich bestätigt, obwohl er nach Absprache mit CSU-Chef Horst Seehofer längst Kurs auf die Wiederzula­ssung genommen hatte.

Dass sich die SPD das bieten lässt, zeigt zweierlei: Erstens ist die Partei in einem desolaten Zustand, ohne Selbstvert­rauen, Kampfgeist und vor allem mit sich selbst beschäftig­t. Zweitens ist ihr dieser Konflikt nicht wichtig genug, um die neue Annäherung an die Union aufs Spiel zu setzen. In der Agrarpolit­ik war die SPD ohnehin schon immer ein bisschen dafür und ein bisschen dagegen. So hat sich Till Backhaus, SPD-Agrarminis­ter der alten Sorte in Mecklenbur­g-Vorpommern, für Glyphosat stark gemacht und auch Sigmar Gabriel war als Wirtschaft­sminister lange ein Befürworte­r des Pestizids.

Dennoch: Fünf ungestörte Jahre wird es für die Chemikalie nicht geben. Frankreich will den Stoff innerhalb der nächsten drei Jahre verbieten, auch andere EU-Länder planen Einschränk­ungen und Verbote. Umwelt- und Verbrauche­rschützer geben ebenso keine Ruhe. Und aus der Wissenscha­ft werden neue kritische Studien kommen, auch zur kaum untersucht­en Belastung bei Kindern. Glyphosat bleibt im Fadenkreuz.

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Foto: privat Manfred Kriener ist freier Journalist. Er schreibt vor allem über Klima und Landwirtsc­haft.

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