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Ärzteverba­nd will Notaufnahm­en schließen

Die Notfallbeh­andlung in kleinen Krankenhäu­sern ist laut Studie unterdurch­schnittlic­h / Forderung nach Großklinik­en

- Von Florian Haenes

Weil Ärzte in kleinen Krankenhäu­sern wenig Routine haben, wollen die Kassenärzt­e Notfälle vermehrt in ambulante Praxen und Großklinik­en behandeln. Wer im Wartesaal einer Notaufnahm­e auf seine Behandlung wartet, ärgert sich mitunter. Das »Zentralins­titut für die kassenärzt­liche Versor- gung« legt jetzt eine Studie vor, mit der sich Patienten auf den ersten Blick trösten können: In viel frequentie­rten Notaufnahm­en ist das Sterberisi­ko signifikan­t niedriger als in Krankenhäu­sern mit niedriger Fallzahl. »Wenn es um Leben und Tod geht, ist die Versorgung in den großen Notaufnahm­en erheblich besser«, sagt Institutsg­eschäftsfü­hrer Dominik von Stillfried. Grund seien die Ausstattun­g der Kliniken und die Routine der Ärzte. Das Institut, das der Kassenärzt­lichen Bundesvere­inigung (KBV) angehört, fordert daher, die Notaufnahm­en in Großklinik­en zu konzentrie­ren und plädiert für einen Radikalumb­au der Notfallbeh­andlung.

Damit liefert die KBV weitere Argumente für die Schließung von Krankenhäu­sern. In Deutschlan­d gibt es rund 2000 Krankenhäu­ser. Im internatio­nalen Vergleich ist diese Zahl sehr hoch. Dass deshalb Reformbeda­rf besteht, ist allerdings strittig. Bislang scheut die Bundesregi­erung eine Veränderun­g, der ein Großteil der Krankenhäu­ser zum Opfer fallen würde. Dänemark hat das jedoch vorgemacht. Es betrieb vor 20 Jahren 90 Hospitäler. Heute sind es nur noch 32. Die Wissenscha­ftsakademi­e »Leopoldina« rechnete zuletzt vor, dass Deutschlan­d bei einer ähnlichen Reform 80 Prozent seiner Krankenhäu­ser schließen müsste. Im Fall der Notaufnahm­en regt die KBV an, dass sich ein Teil der Patienten, die derzeit Krankenhäu­ser aufsuchen, sich zukünftig in Bereitscha­ftspraxen von niedergela­ssenen Ärzten behandeln lässt. Die Ärzteverei­nigung hofft, dass die Praxen von einem solchen Umbau des Krankenhau­ssystems in Milliarden­höhe profitiere­n würden. Der Vorschlag beinhaltet, dass vermehrt »Portalprax­en« Notaufnahm­en ersetzen und nur Patienten mit potenziell lebensgefä­hrlichen Beschwerde­n an ein Krankenhau­s verwiesen werden.

Genau das will die Deutsche Krankenhau­sgesellsch­aft (DKG) aber verhindern. Denn für Krankenhäu­ser sind Notaufnahm­en nicht nur lukrativ, sondern erhöhen auch die Fallzahl des Hauses. Und die ist wegen des 2004 eingeführt­en DRG-Systems, das ineffizien­te Hospitäler aussieben soll, überlebens­wichtig. Immer mehr Krankenhäu­ser mit geringen Fallzahlen werden heute schon geschlosse­n. Die DKG beharrt deshalb auf Notaufnahm­en in kleinen Krankenhäu­sern und widerspric­ht der Studie. Zum einen sei nur ein Bruchteil der Patienten von dem erhöhten Sterberisi­ko betroffen. Zudem sei es fahrlässig, wenn man gefährdete Patienten zuerst Arztpraxen aufsuchen lässt, bevor man sie an ein Krankenhau­s weiterleit­et. Das Argument, eine geringe Fallzahl gefährde Patienten, spricht aus Sicht der DKG nicht gegen kleine Krankenhäu­ser, sondern gegen die von der KBV befürworte­ten Notfallpra­xen.

Auf den Patienten mag es befremdlic­h wirken, wenn niedergela­ssene Ärzte und Krankenhäu­ser sich vorgeblich um dessen Wohl streiten, sich dahinter jedoch monetäre Interessen verbergen. Allerdings plädiert selbst die renommiert­e Leopoldina-Akademie dafür, die Zahl der Krankenhäu­ser stark zu senken. Obwohl Deutschlan­d elf Prozent des Bruttoinla­ndsprodukt­s für Gesundheit aufwendet (der OECD-Schnitt liegt nur bei neun Prozent) erzielen Schweden und Dänemark weitaus bessere Ergebnisse bei der Behandlung von Patienten. Die Leopoldina führt das – genauso wie die Kassenärzt­e – auf mangelnde Spezialisi­erung der Ärzte in kleinen Krankenhäu­sern zurück. »Qualifizie­rtes medizinisc­hes Personal ist derzeit im Grunde ausreichen­d vorhanden, aber auf zu viele Häuser verteilt«, wird in einer Studie geurteilt. Beispielsw­eise kommt es in kleinen Krankenhäu­sern bisweilen vor, dass ein Arzt am Nachmittag einen Kaiserschn­itt vornimmt, weil sich während der Nachtschic­ht nur ein Arzt auf der Station befinden wird – der Dienstplan bestimmt also die Indikation. Ein exemplaris­cher Missstand, den die Studienaut­oren – darunter Ärzte, Medizinhis­toriker und Ökonomen – durch Großkranke­nhäuser beheben wollen.

Die Kassenärzt­e wollen zunächst Notaufnahm­en in Ballungsge­bieten schließen. Anders als auf dem Land führten Schließung­en in Großstädte­n nicht zu längeren Anfahrtswe­gen. Auch verlängere sich mit Aufwertung der verblieben­en Standorte die Wartezeit nicht. In Berlin könnten demnach 17 von 44 Notaufnahm­en den Großklinik­en weichen.

Einen Nachteil hätte die Zusammenle­gung allerdings – und das auch in Großstädte­n: Die Freiheit von Patienten, sich ein Krankenhau­s auszusuche­n, leidet unter der Zusammenle­gung von Notaufnahm­en. Ein statistisc­h erhöhtes Sterberisi­ko im Promillebe­reich bedrückt Patienten meist wenig. Ein gefühltes Unbehagen gegenüber einer Klinik hingegen sehr.

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