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Gifttod vor dem Jugoslawie­n-Tribunal

Bosnisch-kroatische­r Ex-General Praljak stirbt nach der Bestätigun­g des Urteils in Den Haag

- Von Thomas Roser, Belgrad

Ein Selbstmord hat die Verkündigu­ng der letzten Urteile des UNTribunal­s im Berufungsv­erfahren gegen die frühere Führung des Parastaats Herceg-Bosna überschatt­et. Seine Strafe nahm der empörte Angeklagte keineswegs klaglos hin. »General Slobodan Praljak ist kein Kriegsverb­recher. Ich weise das Urteil zurück!«, rief der 72-jährige ExKommanda­nt der bosnisch-kroatische­n Armee HVO erregt, nachdem die Berufungsk­ammer des Internatio­nalen Strafgeric­htshofes für das ehemalige Jugoslawie­n (ICTY) in Den Haag am Mittwoch seine 20jährige Haftstrafe aus erster Instanz bestätigt hatte. Praljak war seit 2004 in den Zellen des Tribunals im Nordseebad Schevening­en in Den Haag in Haft. Der 72-Jährige hatte sich dem Gericht selbst gestellt.

Mit zitternder Hand flößte sich Praljak nach der Urteilsver­kündung aus einem bräunliche­n Fläschlein eine Flüssigkei­t ein. Er habe gerade »Gift« eingenomme­n, ließ er seine entgeister­ten Richter wissen.

Zur letzten Urteilsver­kündigung des zu Jahresende auslaufend­en Mandats des UN-Tribunals hatten sich vor allem bosnische und kroa- tische Berichters­tatter auf der Pressetrib­üne hinter den Panzerglas­scheiben des Sitzungssa­als 1 eingefunde­n.

Im Berufungsv­erfahren gegen die politische und militärisc­he Führung des einstigen Parastaats HercegBosn­a hatte der Gerichtsho­f auch über die Rolle Kroatiens im Bosnienkri­eg (1992 bis 95) zu befinden: Das Urteil in erster Instanz, dass Kroatiens Staatsgrün­der Franjo Tudjman Teil einer kriminelle­n Vereinigun­g zur ethnischen Säuberung und Annexion der Herzegowin­a gewesen sei, wurde von der Berufungsk­ammer zum Entsetzen Zagrebs weitgehend bestätigt. Doch der dramatisch­e Auftritt des Generals sollte die in Bosnien und Kroatien mit Spannung erwartete Verkündung der Urteile über die sechs Angeklagte­n völlig überschatt­en – und zunächst jäh unterbrech­en.

Hektisch ordnete der Vorsitzend­e Richter Carmel Argius die Schließung der Jalousien zur Besuchertr­ibüne an. Herbei geeilte Rettungsär­zte und ein über dem Tribunal rotierende­r Hubschraub­er nährten die Spekulatio­nen über dramatisch­e Wiederbele­bungsversu­che. Erst nach knapp zwei Stunden schienen die Sirenen eines von der Polizei eskortiert­en Rettungswa­gens Entwarnung zu geben. Doch kurz nach der Einlieferu­ng von Praljak in die Bronovo-Klinik in Den Haag wurde am Nachmittag der Tod des Verurteilt­en bekannt gegeben.

Die niederländ­ischen Justizbehö­rden leiteten am Mittwoch Ermittlung­en zu den Hintergrün­den des Selbstmord­s ein. Die Fragen, was für eine Substanz der Angeklagte geschluckt hatte und wie er daran gelangen konnte, drängten den Inhalt Slobodan Praljak General

des letzten Urteils des Tribunals am Mittwoch zeitweise völlig in den Hintergrun­d, obwohl es bei den bosnischen Kroaten, aber auch in Zagreb heftige Reaktionen auslöste.

Nicht nur die in erster Instanz verhängten Haftstrafe­n gegen die sogenannte­n »kroatische­n Sechs« von insgesamt 111 Jahren wegen Verbrechen gegen die Menschlich­keit und Verstößen gegen die Genfer Kriegsrech­tkonventio­n wurden von dem Gericht allesamt bestätigt. Praljak gehörte dem Gericht zufolge mit den übrigen Angeklagte­n einer »kriminelle­n Vereinigun­g« an. Sie habe das Ziel gehabt, durch »ethnische Säuberung« einen rein kroatische­n Staat zu errichten. Dieses Ziel sollte dem Gericht zufolge mit einer gezielten Terrorkamp­agne erreicht werden.

Die Berufungsk­ammer folgte auch der Argumentat­ion der Anklage, dass der Parastaat Herceg-Bosna und die HVO-Truppen bei den zwischen 1993 und 1994 begangenen Kriegsverb­rechen und den Vertreibun­gen der muslimisch­en Zivilbevöl­kerung unter direkter Kontrolle der damaligen Führung in Zagreb standen.

Kroatiens Staatschef­in Kolinda Grabar-Kitarovic, die sich im Vorfeld mit den nun als Kriegsverb­recher rechtskräf­tig verurteilt­en Angeklagte­n ausdrückli­ch solidarisi­ert hatte, brach ihren Staatsbesu­ch in Island ab.

Während Vertreter von Bosniens muslimisch­en Opferverbä­nden das Urteil begrüßten, fielen die Reaktionen von Vertretern der bosnischen Kroaten verbittert aus. Dragan Covic, der kroatische Vertreter im dreiköpfig­en Staatspräs­idium von Bosnien und Herzegowin­a, bezeichnet­e den Richterspr­uch als »Verbrechen an allen Vertretern der HVO«. »Slobodan Praljak hat sich geopfert, um zu zeigen, dass er unschuldig ist.«

»General Slobodan Praljak ist kein Kriegsverb­recher. Ich weise das Urteil zurück!«

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