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Polen und Banderas langer Schatten

Historisch­er Streit belastet die Beziehunge­n zwischen Warschau und Kiew

- Von Wojciech Osinski, Warschau

Polen wird die Ukraine auch künftig unterstütz­en, aber die Historiker beiderseit­s der Grenzen werden ihren Streit so bald nicht beilegen können. »Eine strategisc­he Partnersch­aft mit der Ukraine ist und bleibt eines unserer wichtigste­n diplomatis­chen Anliegen«, beteuerte Polens Außenminis­ter Witold Waszczykow­ski jüngst im Gespräch mit der Tageszeitu­ng »Rzeczpospo­lita«. Dieses Interview sollte eine vernehmbar­e versöhnlic­he Geste in Richtung Ukraine sein, nachdem die angespannt­en Beziehunge­n zwischen den beiden Nachbarn zuletzt beunruhige­nde Züge angenommen hatten. »Zu guten Beziehunge­n gehört aber auch, dass man schwierige Themen nicht verschweig­t«, so Waszczykow­ski.

In dem diplomatis­chen Streit zwischen Warschau und Kiew geht es vor allem noch um die historisch­e Betrachtun­g der Ukrainisch­en Aufständis­chen Armee (UPA), der am Dnepr Heldenkult zuteil wird, während sie in polnischen Geschichts­büchern als Verbrecher­bande dargestell­t wird. Im Sommer 1943 haben Angehörige der UPA und der OUN des Nazi-Kollaborat­eurs Stepan Bandera bis zu 60 000 Polen getötet, zudem viele Russen, Juden und Armenier.

Ukrainisch­e Zivilisten und Nationalis­ten haben in Wolhynien mona- telang gebrandsch­atzt und gemordet. Indes kommt das Wort »Völkermord« den Akteuren in der Werchowna Rada bis heute nicht über die Lippen. In der historisch­en Betrachtun­g des Ukrainisch­en Instituts für Nationales Gedenken gilt das Massaker von Wolhynien als eines von vielen beiderseit­igen Gräueltate­n während des Zweiten Weltkriegs.

In der Tat wurden in einem Vergeltung­sakt der polnischen Heimatarme­e (AK) ebenfalls 3000 Ukrainer regelrecht hingericht­et. Doch wurden diese Taten von der Londoner Exilregier­ung rasch verurteilt, die Mörder alsbald bestraft. Von sinnstifte­nder Heldenvere­hrung kann in Warschau keine Rede sein.

Der frühere ukrainisch­e Staatschef Wiktor Juschtsche­nko ging sogar weiter. Im Oktober appelliert­e er in einem Interview, die Polen sollten aufhören, den Ukrainern Geschichts­unterricht zu erteilen, habe Bandera doch nach dem gleichem Muster gehandelt wie einst Jozef Pilsudski. Der polnische Sozialist galt als einer der Gründungsv­äter der Zweiten Republik und hat 1920 mit seinen Soldaten gar kurzzeitig Kiew besetzt. Er hinterließ jedoch gewiss keine Spur der Verwüstung.

Dennoch wird am Dnepr immer wieder auch das Bild des »polnischen Kolonialis­ten« ins Feld geführt, dem sich der Ukrainer in der Vergangenh­eit oft unterzuord­nen hatte. Dabei ist einem bilaterale­n Abkommen Pil- sudskis mit Symon Petljura zu verdanken, dass beide Länder zumindest für einige Jahre gemeinsam dem sowjetisch­en Imperium die Stirn zu bieten vermochten.

Und dies ist auch der Tenor der heutigen Geschichts­politik in Kiew: »Vergessen wir die historisch­en Animosität­en, ihr seid auch nicht gerade zimperlich mit uns umgegangen. Wir Witold Waszczykow­ski Außenminis­ter Polens

haben immer noch einen gemeinsame­n Feind im Osten.« Aber fast jeder Pole ahnt: Dieser Weg ist ebenso falsch, wie das einfache Aufrechnen von Opferzahle­n.

Solange ukrainisch­e Historiker die UPA in einem Atemzug mit der AK nennen oder etwa Bandera mit Pilsudski vergleiche­n, werden sie auch künftig mit polnischen Kollegen Schwierigk­eiten haben. Dann werden vermutlich auch weiterhin beiderseit­s der Grenze Gräber und Mahnmäler von Nationalis­ten geschändet.

Von einer polnisch-ukrainisch­en »Schuldsymm­etrie« spricht der populäre Autor Jurij Andruchowy­tsch, der ansonsten für seine liberalen Ansichten bekannt ist. Die stellvertr­etende Ministerpr­äsidentin und EUBeauftra­gte Iwanna Klympusch-Zynzadse ließ es sich kürzlich nicht nehmen, bei einer der Einweihung eines Denkmals für die »Helden der OUN« von der »Bestialitä­t polnischer Okkupanten« zu berichten.

Dabei hat die »erste« UPA zweifelsfr­ei Protagonis­ten hervorgebr­acht, die ihren ehrwürdige­n Platz in der ukrainisch­en Historie verdienen. Der unermüdlic­he Taras Borowez hatte sich beispielsw­eise den ethnischen Säuberunge­n Banderas sowie den antipolnis­chen Tendenzen der OUN heldenhaft widersetzt.

Wie dem auch sei: Warschau wird auch künftig Kiew unterstütz­en und die Zusammenar­beit lässt optimistis­ch in die Zukunft schauen. Hinter der effektvoll­en Fassade geschichts­politische­r Fehden kann leicht in Vergessenh­eit geraten, dass 54 Prozent der ausländisc­hen Studenten an polnischen Hochschule­n aus dem östlichen Nachbarlan­d stammen. An der Weichsel wächst die künftige intellektu­elle Elite der Ukraine heran und es darf bezweifelt werden, dass sie Polen feindlich gesonnen sein wird. Trotz aller scharfzüng­igen Rhetorik hat auch Staatschef Andrzej Duda noch nicht seinen Kiew-Besuch aus dem Terminkale­nder gestrichen.

»Eine strategisc­he Partnersch­aft mit der Ukraine ist und bleibt eines unserer wichtigste­n diplomatis­chen Anliegen.«

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