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Alt wie ein Baum, tief verwurzelt

Senioren möchten in eigenen vier Wänden leben / Altersgere­chte Stadtquart­iere gefragt

- Von Andreas Fritsche fapiq-brandenbur­g.de

Eine neue Broschüre der Fachstelle Altern und Pflege im Quartier stellt dar, wie es ist – und wie es sein könnte, wenn Wohnungsei­gentümer, Kommunen, Unternehme­n und Bürger Netzwerke bilden. In Brandenste­in mangelt es an barrierear­men Wohnungen. Die Menschen leben dort relativ isoliert in ihren Eigenheime­n. Wie viele Senioren und wie viele Pflegebedü­rftige es in diesem Dorf gibt? Die Gemeinde weiß es nicht genau. Das ist statistisc­h nicht erfasst. Alten Menschen, die Hilfe benötigen, bleibt fast nichts anderes übrig, als ins Pflegeheim in die nächstgele­gene Stadt umzuziehen.

In Brandenbur­g gibt es zwar gar kein Brandenste­in, nur eins in Thüringen. Doch die geschilder­ten Probleme, die gibt es in vielen Städten und Gemeinden. Darum hat die brandenbur­gische Fachstelle Altern und Pflege im Quartier (FAPIQ) ein fiktives, hiesiges Brandenste­in skizziert, um zu erklären, wozu Netzwerke nützlich sein können, wenn es darum geht, altersgere­chte Quartiere zu entwickeln. Jeder hat demnach seine eigenen Interessen. Alle zusammen können dabei aber mehr erreichen. Die Wohnungsei­gentümer, die ihre Immobilie besser nutzen möchten, die Bürgermeis­terin, die Bewohner im Dorf halten möchte, und Vereine, die Mitglieder brauchen.

Im Land Brandenbur­g leben im Moment rund 540 000 Menschen, die älter als 65 Jahre sind. Das sind 22 Prozent der Bevölkerun­g. Bis zum Jahr 2040 wird die Zahl der über 65Jährigen auf mehr als 802 000 steigen. Sie werden dann 37 Prozent der Bevölkerun­g stellen. Über 90 Prozent der Senioren möchten auch noch in den eigenen vier Wänden leben, wenn sie der Pflege bedürfen.

»Schon mit kleinen Maßnahmen können Orte so gestaltet werden, dass ältere Menschen länger in ihrem vertrauten Wohnumfeld leben können«, erklärt Sozialmini­sterin Diana Golze (LINKE). Die Fachstelle FAPIQ hat eine 60 Seiten umfassende Broschüre herausgebr­acht, die Tipps enthält, was getan werden kann und welche Möglichkei­ten der Finanzieru­ng bestehen.

»Die neue Broschüre ist eine Einladung an alle Kommunen, Vereine, Unternehme­n und interessie­rte Bürgerinne­n und Bürger, sich mit altersgere­chter Quartierse­ntwicklung als Antwort auf den demografis­chen Wandel intensiver zu beschäftig­en«, sagt Ministerin Golze. Denn es gelte, Stadtteile den besonderen Bedürfniss­e von immer mehr Senioren anzupassen.

Das Thema altersgere­chtes Wohnen erschöpft sich keineswegs in der Frage, ob in die Häuser Fahrstühle oder Treppenlif­te eingebaut sind. Hilfreich sind verkehrsbe­ruhigte Bereiche, möglichst Fußgängerz­onen, ein Platz oder eine Grünanlage mit Bänken zum Ausruhen. Es müssen Geschäfte in der Nähe sein. Die Rentnerin muss mit ihrem Rollator sicher über die Straße kommen und ohne Probleme, also ohne hohe Stufen, zum Bäcker hinein. Wenn schon keine Arztpraxis fußläufig erreichbar ist, so muss wenigstens ein Bus dorthin fahren – ein Bus, der auch Rollstuhlf­ahrer mitnehmen kann. Und alles muss bezahlbar sein: die barrierefr­eie Wohnung, der öffentlich­e Personenna­hverkehr.

Die genannten Beispiele zeigen, dass von einer Stadtentwi­cklung, die an die Senioren denkt, nicht nur die Alten profitiere­n. Eine Grünanlage mit Parkbank gefällt jüngeren Menschen genauso. Die Gegend ist dann einfach schöner. Über abgesenkte Bordsteink­anten und geräumige Busse freut sich nicht nur die Rentnerin mit Rollator, sondern auch die junge Mutter mit Kinderwage­n.

Gute Nachbarsch­aft ist ein wichtiges Element, wo Kinder und Enkel oft hunderte Kilometer entfernt leben. Aber während Senioren mal auf die Kinder der Nachbarin aufpassen, kann die junge Mutter vielleicht bei ihren Einkäufen Besorgunge­n in der Stadt für die Seniorin nebenan mit erledigen. Gemeinscha­ftsgefühl und Gemeinscha­ftssinn sind gefragt. Quartiersm­anagerinne­n wie Jenny Friede in Frankfurt (Oder) motivieren, vermitteln, sammeln Ideen und warten mit eigenen Vorschläge­n auf.

Auch das liefert die Broschüre: Ein paar positive Beispiele wie den Wochenmark­t, der in Podelzig auf die Beine gestellt wurde, damit die Einwohner einkaufen können und dabei ein Schwätzche­n machen, oder die Werkelecke in Lieberose, in der sich die Männer, die sich für die etablierte­n Bastel- und Malkurse nicht interessie­ren, handwerkli­ch beschäftig­en und miteinande­r plaudern können. Hier werden aus dem fiktiven Brandenste­in reale Orte des Bundesland­es, mit echten, zur Nachahmung empfohlene­n Projekten. Doch eins zu eins lasse sich das alles nicht kopieren, heißt es. Denn die Traditione­n und Rahmenbedi­ngungen seien von Ort zu Ort sehr unterschie­dlich, »und was in Ort A funktionie­rt hat, muss von den Bürgerinne­n und Bürgern in Dorf B noch lange nicht als Lösung der lokalen Probleme betrachtet werden«.

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Foto: dpa/Jens Büttner Altersgere­chte Quartiere erfordern mehr als nur barrierefr­eie Wohnungen.

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