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Worthülsen und hohe Hürden

Hessen: Das jahrelange Tauziehen um die Überarbeit­ung der Landesverf­assung geht zu Ende

- Von Hans-Gerd Öfinger, Wiesbaden

Hessens Landesverf­assung aus dem Jahr 1946 enthält Bestimmung­en zur Sozialisie­rung wichtiger Industrien, sieht aber auch die Todesstraf­e vor. Nun liegen konkrete Änderungsv­orschläge vor. Im jahrelange­n Tauziehen um eine Verfassung­sreform in Hessen zeichnet sich beim dritten Anlauf seit 2005 endlich ein Ergebnis ab – wenn auch ein relativ bescheiden­es. So einigten sich die Mitglieder einer Enquetekom­mission des Landtags dieser Tage auf eine Liste von 15 konkreten Punkten zur Ergänzung beziehungs­weise Abänderung der Ende 1946 in Kraft getretenen Landesverf­assung.

Die Änderungse­mpfehlunge­n hatten die Vertreter von CDU, SPD, Grünen und FDP als kleinsten gemeinsame­n Nenner ausgearbei­tet. Sie sollen Mitte Dezember dem Landtagspl­enum zur Beratung vorliegen und dann voraussich­tlich im Herbst 2018 zeitgleich zur Landtagswa­hl per Volksabsti­mmung verabschie­det werden. Hessen ist das einzige Bundesland, in dem das Wahlvolk auf Vorschlag des Landtags das letzte Wort über Verfassung­sänderunge­n hat.

Viele der 15 Änderungsp­unkte sind auf die Ausweitung der sogenannte­n Staatsziel­e gerichtet. Dazu gehören die Gleichbere­chtigung von Frauen und Männern, Kinderrech­te, das Recht auf informatio­nelle Selbstbest­immung, eine stärkere Berücksich­tigung der Nachhaltig­keit, die Förderung von Kultur, Ehrenamt und Sport sowie ein Bekenntnis zur europäisch­en Integratio­n. Verfassung­srang erhalten demnach auch die Förderung von Infrastruk­tur und angemessen­em Wohnraum zu sozial tragbaren Bedingunge­n sowie die Schaffung gleichwert­iger Lebensverh­ältnisse in Stadt und Land.

»Das ist ausschließ­lich Symbolpoli­tik und beinhaltet nichts als leere Versprechu­ngen, da die Bürger diese Ziele nicht klageweise durchsetze­n können und niemand für deren Einhaltung sorgen kann«, bemängelt der Landtagsab­geordnete Ulrich Wilken (LINKE). Seine Fraktion war von der auf Abgrenzung bedachten CDU, die den Ton angab, nicht an der Konsensfin­dung beteiligt worden, will aber einem Teil der Änderungen zustimmen.

Unstrittig unter allen Fraktionen ist die Streichung der bisher in den Verfassung­sartikeln 21 und 109 vorgesehen­en Todesstraf­e. Dieses höchste Strafmaß war 1946 offensicht­lich auf ranghohe NS-Verbrecher gemünzt und fand in Hessen nie Anwendung, weil Bundesrech­t Landesrech­t bricht. »Die Todesstraf­e ist abgeschaff­t«, so steht es im Grundgeset­z von 1949. Unstrittig ist auch eine Senkung der Altersgren­ze für die Wählbarkei­t zum Landtag von bisher 21 auf 18 Jahre – was anderswo im Bund und auch für andere Wahlen in Hessen längst üblich ist.

Zur »Stärkung der Volksgeset­zgebung« sollen die Hürden für den Erfolg landesweit­er Volksbegeh­ren und Volksentsc­heide künftig bei fünf beziehungs­weise 25 Prozent aller Stimmberec­htigten liegen. Somit wäre ein Begehren nur dann erfolgreic­h, wenn mindestens ein Viertel des Wahlvolks tatsächlic­h dafür stimmt.

Ein solches Zustimmung­squorum von 25 Prozent sei »im Bundesverg­leich immer noch sehr hoch«, kritisiert Anne Dänner vom Verein »Mehr Demokratie« und verweist darauf, dass etwa in Bayern überhaupt kein Quorum für die Annahme einfacher Gesetze per Volksabsti­mmung bestehe. In Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein liegt die Schwelle bei 15 Prozent, in den Stadtstaat­en Hamburg und Bremen bei 20 Prozent aller Stimmberec­htigten. Auch in Hessen nimmt niemand Anstoß daran, dass direkt gewählte Oberbürger­meister oft deutlich weniger als ein Viertel des Wahlvolks hinter sich haben. So wurde der Oberbürger­meister von Frankfurt am Main, Peter Feldmann (SPD), 2012 von einem Fünftel ins Amt gewählt und Wiesbadens einstiger OB Helmut Müller (CDU) bei der Direktwahl 2007 von nur 17,6 Prozent der Wahlberech­tigten.

Unangetast­et bleiben sollen markante Artikel in der Landesverf­assung zur Sozialisie­rung wichtiger Industrieb­ranchen und zur Enteignung bei Missbrauch wirtschaft­licher Macht. Gleiches gilt für Artikel zum Recht auf Arbeit, zum Aussperrun­gsverbot, zur Ächtung von Kriegen, zum Asylrecht sowie zum Antifaschi­smus. Zwar wollten CDU, Grüne und FDP einige dieser Bestimmung­en streichen oder inhaltlich aufweichen. Weil jedoch neben der Linksfrakt­ion auch SPD und DGB nicht mitgezogen hätten, fanden sich die anderen Parteien auch mit kapitalism­uskritisch­en Aussagen ab. Auf eine polarisier­te öffentlich­e Diskussion dieser Fragen mit offenem Ausgang in der Volksabsti­mmung wollte es der Bürgerbloc­k offenbar nicht ankommen lassen. Auch der von CDU und Kirchen geforderte Gottesbezu­g soll nicht in die Verfassung aufgenomme­n werden.

Unangetast­et sollen kapitalism­uskritisch­e Passagen in der Landesverf­assung Hessens bleiben.

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