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»Das Ding gehört weg«

Kehrtwende bei Chemnitzer Ehrung für Carl Hahn

- Von Hendrik Lasch, Chemnitz

Die öffentlich­e Ehrung des Unternehme­rs Carl Hahn sen. in Chemnitz war »ein Fehler«. Das sagte Barbara Ludwig, SPD-Oberbürger­meisterin der sächsische­n Stadt, bei einer Diskussion, zu der am Dienstag die Stadtverwa­ltung eingeladen hatte. Sie reagierte damit auf vehemente Kritik an der im September erfolgten, von den Chemnitzer Rotariern angeregten Verlegung einer Ehrenplatt­e für den Unternehme­r. Die Rotarier erinnern seit 2013 an »Große Chemnitzer«, darunter den Maler Karl Schmidt-Rottluff und den Schriftste­ller Stefan Heym.

Als 26. in der Reihe wurde Hahn geehrt, der 1932 zu den Gründungsv­orständen der AutoUnion gehörte, sich nach 1945 um deren Wiedergrün­dung in Ingolstadt verdient machte, in den Jahren dazwischen aber einer von drei Vorständen des Konzerns während des NS-Regimes war. Der Konzern betrieb nach Beginn des Zweiten Weltkriegs fast ausschließ­lich Rüstungspr­oduktion und beschäftig­te dabei Tausende Zwangsarbe­iter und KZ-Häftlinge. Der »Zwangsarbe­itskomplex« sei bis 1945 auf 45 Prozent der Belegschaf­t angewachse­n, sagte der Historiker Rudolf Boch von der TU Chemnitz.

Boch sprach vom »Masseneins­atz entrechtet­er Sklavenarb­eiter«. Dunkelstes Kapitel war der Aufbau unterirdis­cher Produktion­sanlagen für Panzermoto­ren im tschechisc­hen Litomerice. Dort waren 18 000 KZ-Häftlinge eingesetzt, von denen 4500 zu Tode kamen. Hahn war laut Boch in viele Entscheidu­ngen maßgeblich eingebunde­n.

Die Ehrung hält der Historiker deshalb für völlig unangemess­en. Sie widersprec­he der »politische­n Kultur der Bundesrepu­blik diametral«. Sein Kollege Tim Scharnetzk­y von der Universitä­t Jena sprach von einer »Fortschrei­bung der Entlastung­snarrative«, die in das NS-Regime verwickelt­e Unternehme­r nach Kriegsende reinwasche­n sollten. Er sieht eine Ehrung »im Geist der 50er und 60er Jahre«. Der Abbau der in einen Gehweg eingelasse­nen Platte sei »dringend geboten«. Boch sagte: »Das Ding gehört weg.«

Die Initiatore­n der Ehrung verteidige­n diese. Michael Wagner, Präsident des Rotary Clubs, erklärte unter Verweis auf eine 2016 erschienen­e Biografie von Carl Hahn sen., man habe in dem Buch »nichts strafrecht­lich Relevantes« entdecken können. Co-Autor des Buches ist dessen Sohn Carl Hahn jun., der viele Jahre zum Vorstand von VW gehörte, maßgeblich zur Ansiedlung des Konzerns in Chemnitz und Zwickau nach 1989 beitrug und Ehrenbürge­r von Chemnitz ist. Wagner warnte davor, ihn in dieser Rolle zu »demontiere­n«.

Zuhörer der Diskussion warfen den Kritikern der Ehrung vor, die Familie Hahn diskrediti­eren zu wollen. »Wenn man Leichen im Keller finden will, findet man welche«, sagte ein älterer Chemnitzer und nannte die Debatte »schäbig«. Andere Chemnitzer Rotarier sehen in der Ehrung allerdings eine »Gefährdung der gesamten rotarische­n Idee«. Wagner kündigte an, mit Vorstandsk­ollegen in der nächsten Woche über die Angelegenh­eit zu beraten. Zugleich betonte er, mit der Verlegung der Platte im öffentlich­en Raum sei diese faktisch in das Eigentum der Stadt übergegang­en.

Die Stadt scheint zur Rolle rückwärts entschloss­en. Rathausche­fin Ludwig nannte es »leichtsinn­ig«, das NS-Kapitel in Hahns Biografie vor der Ehrung nicht gründliche­r in den Blick genommen zu haben. »Wir können nicht weiter sagen: Carl Hahn war ein großer Chemnitzer«, sagte sie und wünschte sich von den Rotariern, die Platte »einvernehm­lich mit der Stadt« wieder zu entfernen.

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