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Wenn der Wurm drin ist

Die sächsische Firma Groli ist darauf spezialisi­ert, alte und neuere Gebäude von Holzschädl­ingen zu befreien

- Von Violetta Kuhn, Laußig

Ein Holzwurm frisst pro Jahr so viel Holz wie in eine Espressota­sse passen würde. Doch wenn die Schädlinge zu Tausenden auftreten, wird es gefährlich. Dann muss bisweilen sogar Giftgas her. Ist in dieser kleinen Kirche ein Verbrechen geschehen? Es sieht zumindest so aus: Rot-weißes Flatterban­d ist um das gedrungene Steingebäu­de gespannt. Die Fenster und das Schieferda­ch sind mit Folie abgeklebt. Und am Eingang prangt ein TotenkopfS­child. Menschen sind hier nicht zu Schaden gekommen. Allerdings müssen Tausende Würmer dran glauben.

Im nordsächsi­schen Örtchen Durchwehna sind Schädlings­bekämpfer der Firma Groli angerückt. Sie haben die Kirche mit Folie und Spezialkle­beband abgedichte­t. Jetzt »begasen« sie das kleine Gotteshaus mit dem Giftgas Sulfuryldi­fluorid. Ziel der Attacke: die Holzwürmer, die im Inneren bedenklich viele Gänge durchs Gebälk gefressen und unzählige Spänehäufc­hen auf dem Kirchenbod­en hinterlass­en haben.

Der Tod der Larven strömt durch zwei dünne Schläuche, die in eines der Fenster ragen. Mehrere Tage lang verwirbeln Ventilator­en das Gift, treiben es in jeden Winkel. Sogar dicke Holzbalken durchdring­t das Gas. »Ich kriege damit die Eier, die Larven und die fertigen Insekten«, sagt Marco Müller von der Dresdner Schädlings­bekämpfung­sfirma Groli.

Müller ist einer der beiden Geschäftsf­ührer des Unternehme­ns mit knapp 20 Mitarbeite­rn. Aufträge nimmt seine Firma in der ganzen Bundesrepu­blik an, auch in der Schweiz und Österreich. Häufig würden Kirchen, Mühlen und Museen behandelt, zunehmend auch Privathäus­er. »Es wird leider immer mehr befallenes Holz verbaut«, sagt Müller.

Den Holzwurm und seine Gewohnheit­en kennt der 45-Jährige genau: »Ein Wurm frisst pro Jahr so viel Holz wie in eine Espressota­sse passen würde«, erklärt er. Die Larve lebt zwei bis acht Jahre lang. Schließlic­h verpuppt sie sich nahe der Holzoberfl­äche. Der fertige drei bis vier Millimeter lange Käfer frisst sich dann nach draußen, fliegt herum und paart sich. Seine Abfluglöch­er sind oft das Indiz, das den Menschen auf die Spur des Schädlings bringt.

Wie Groli könnten deutschlan­dweit zehn bis 20 Firmen in Deutschlan­d mit Begasungsm­itteln gegen holzfresse­nde Insekten vorgehen, sagt Andreas Beckmann, Geschäftsf­ührer des Deutschen Schädlings­bekämpferv­erbands (DSV). »Das ist eine sehr kleine Nischenbra­nche.« Die eingesetzt­en Mittel sind aber nicht nur für Holzwürmer und für den deutlich größeren Hausbock gefährlich. Sie können während der Anwendung auch dem Menschen schaden – daher die strikten Sicherheit­svorkehrun­gen rund um die Kirche in Durchwehna. In den 1980er und 1990er Jahren habe es tödliche Unfälle im Zusammenha­ng mit Holzschutz­gas gegeben, sagt Beckmann. Danach seien gesetzlich­e Anforderun­gen und Sicherheit­svorkehrun­gen deutlich verschärft worden. So dürfen nur noch ausgebilde­te Schädlings­bekämpfer gegen die Insekten vorrücken.

Messgeräte sollen sicherstel­len, dass keine Rückstände der Mittel mehr vorhanden sind. Nicht selten protestier­ten Naturschüt­zer gegen die Ein- sätze, weil sie etwa um das Leben von Eulen oder Fledermäus­en fürchten. Im Vorfeld würden daher Gespräche geführt, damit keine »Nichtzielt­iere« in Mitleidens­chaft gezogen werden, versichern die Fachleute. Wegen der Gefahren, aber auch wegen der Kosten werde meist gründlich abgewogen, ob nicht ein anderes Mittel eingesetzt werden könne. Zum Beispiel könne man die Holzoberfl­ächen mit Wirkstoffe­n bestreiche­n oder die Flüssigkei­t über eigens gebohrte Löcher in die Balken pressen. An schwer zugänglich­en Stellen sei das jedoch nicht immer möglich. Außerdem sterben bei dieser Methode die Larven nicht sofort – und können womöglich noch weiteres Unheil anrichten. Dann ist Gas das Mittel der Wahl.

Die Kosten hingen von vielen Faktoren ab, sagt Groli-Geschäftsf­ührer Müller. Muss das Gebäude komplett mit Folie verhüllt werden, weil das Gift sonst beispielsw­eise durch Fachwerkba­lken entweichen könnte? Wie groß ist das Objekt? Der Einstiegsp­reis für eine Kirche liege ungefähr beim Wert eines Kleinwagen­s.

Doch nicht nur in Gebäuden kommt das Insektizid zum Einsatz. Es werde auch zum Schutz von Lebensmitt­eln genutzt, sagt Beckmann vom Schädlings­bekämpfer-Verband. So würden Mühlen oder Lebensmitt­ellager oder gleich die Ladung von ganzen Schiffen behandelt – gegen Käfer, Motten oder Mäuse.

Die Kirche in Durchwehna ist nach ein paar Tagen wieder begehbar. Groli-Angestellt­e mit Atemgeräte­n haben die Folien entfernt und die Ventilator­en in Gang gesetzt, um das Gas behutsam ins Freie zu befördern. »An der Luft zerfällt es sofort in seine chemischen Bestandtei­le«, sagt Müller. Nach wenigen Stunden bestehe innen und außen keine Gefahr mehr.

Die Holzwürmer in der Kirche in Durchwehna sind tot. Aber demnächst könnte erst einmal ein anderes Insekt auftauchen: der Blaue Fellkäfer, der mit Vorliebe tote Holzwürmer frisst – immerhin kein Holz.

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Foto: dpa/Sebastian Kahnert Mit Folie abgedichte­t: die Kirche von Durchwehna

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