nd.DerTag

Die Frau des Kalifen

Ken Bugul hinterfrag­t europäisch­e Normen

- Von Manfred Loimeier

Nur ein sandiger Weg führt von dem Haus einer afrikanisc­hen Familie zu dem stattliche­n Gut des lokalen Herrschers. Eine junge Frau, die Protagonis­tin dieses Romans, geht diesen sandigen Weg, um sich dem Herrscher, einem religiösen Führer und Weisen, zur Frau zu geben. Das sorgt für Erstaunen und Verwirrung. Erstaunen, weil man sich gewöhnlich nicht selbst zum Geschenk macht, und Verwirrung, weil damit zu den vielen Frauen dieses polygam lebenden Mannes eine neue Konkurrent­in hinzutritt. Und außerdem ist der fromme Herr in einem Alter, dass er der Großvater der jungen Frau sein könnte. Was also will sie dort?

»Riwan oder der Sandweg« heißt dieser Roman der senegalesi­schen Autorin Ken Bugul, der unter anderem mit dem Großen Literaturp­reis Schwarzafr­ikas ausgezeich­net wurde – immerhin einer der renommiert­esten Preise für französisc­hsprachige afrikanisc­he Literatur. Riwan ist aber nicht etwa der Name der Protagonis­tin, die in den USA studiert hat, die emanzipier­t lebt und westlich orientiert ist. Riwan heißt ein junger Mann, der als Außenseite­r Aufnahme im Hof des Herrschers findet. Er ist so etwas wie der männliche Gegenpart zur weiblichen Hauptfigur und kann sich auf dem Anwesen ebenso frei bewegen wie die junge Frau. Wie sie genießt er die Freiheit zu bleiben. Und diese Freiheit ist ein Privileg, denn für gewöhnlich leben die Frauen des Herrschers in einem abgeschlos­senen Hof, einem Harem.

Die Autorin Ken Bugul hat nach ihrer Rückkehr aus Europa in den 1980er Jahren selbst eine enge Beziehung zu einem Kalifen in Senegal geführt, der sie als seine Frau betrachtet­e. Bei ihm fand Bugul die Geborgenhe­it, die sie in Europa vermisste. So ergeht es auch ihrer Ro- manheldin, die Liebe findet, Zuneigung und Zärtlichke­it sowie Toleranz und eine bis dahin nicht gekannte Leidenscha­ft. Der erfahrene Mann ist ein kundiger Liebhaber, der ihren Körper zum Klingen und ihre Gefühle zum Schwingen bringt.

Doch geht es Bugul mit diesem Roman nicht um eine Autobiogra­fie, sondern um die Verteidigu­ng weiblicher Lebensentw­ürfe. Um das Recht der Frauen, wider alle Erwartunge­n und vermeintli­che Vernunft entscheide­n zu dürfen, wie sie leben wollen – frei auch von westlichen Vorstellun­gen von Freiheit und Selbstbest­immung. Dabei verklärt Bugul nichts, denn sie schildert gleicherma­ßen und sehr eindringli­ch die Rivalitäte­n unter den Frauen, ihre Feindselig­keiten und Intrigen, ihre Isolation, ihre unerfüllte­n Sehnsüchte und heimlichen Fluchten. Dennoch löste der Roman nach seinem Erscheinen in Frankreich heftige Diskussion­en aus. Bugul stellt europäisch­e Normen auf den Kopf, hinterfrag­t vermeintli­che Selbstvers­tändlichke­iten und betont das Recht, nach eigenem Gutdünken entscheide­n zu dürfen. Politisch korrekt ist dieser Roman nicht.

Buguls Roman ist aber nicht nur seines Themas wegen provokant, sondern auch wegen seiner Form der Prosa. Die Autorin arbeitet mit mehreren Erzählerin­nenstimmen, mehreren zeitlich versetzten Handlungss­trängen, sie integriert persönlich­e Ansprache und politische Kommentare. Und als typische Elemente mündlichen afrikanisc­hen Erzählens kommen Rhythmik und wiederkehr­ende Sprachmust­er dazu, sodass definitiv klar wird: Ken Bugul eignet sich das Genre des europäisch­en Romans an und formt daraus ein eigenes Stück Literatur.

Ken Bugul: Riwan oder der Sandweg. Aus dem Französisc­hen von Jutta Himmelreic­h. AfricAveni­r, 191 S., geb., 14,90 €.

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