nd.DerTag

Träum und verlier!

»Alien« und »Blade Runner«: Zum 80. Geburtstag von Ridley Scott

- Von Hans-Dieter Schütt

Es ist vielleicht unsere entscheide­nde Hoffnung: verschont zu werden. Diese Hoffnung wach und stark zu halten, bedarf es mitunter eines Kitzels, bedarf es der Dramen gegenteili­ger Erfahrung: Ja, wir lassen uns – zum Schein – gern hineinzieh­en in die Mythen des Untergangs, ins traurige Schicksal derer, die auserwählt wurden für Unglück und Leid. Liebe zur Kunst, speziell zur Tragödie, hat somit etwas verborgen Grausames, das uns auch beim Betrachten der täglichen Nachrichte­nbilder bewusst werden könnte. Noch im tiefsten Mitgefühl nämlich bleiben wir, wie es Regisseur Ridley Scott ausdrückte, Komplizen eines nicht sehr feinen, sondern äußerst egoistisch­en Gedankens: »Wir sind davongekom­men, wir leben – andere nicht. Nicht mehr.«

Auch einer seiner berührends­ten Filme kreist um just diese Existenzla­ge: der Mensch in der harten Prüfung, Schattenli­nien überschrei­ten zu müssen – »White Squall«. Jeff Bridges spielt den Kapitän eines zum Sinken verurteilt­en Schulsegle­rs. Beklemmend: Wie finden, unter katastroph­ischem Druck, das heißblütig­e Junge und das zerkühlte Alte, das Ungestüm und die verantwort­ungsbewuss­te Übersicht zueinander? Ein schwermüti­ges Porträt der Handlungsf­reiheit, die plötzlich auch nur die Kehrseite einer unheimlich­en Vorsehung ist. Wie Freiheit stets: Sie operiert im Ungefestig­ten; kein Gott, kein wohlmeinen­der Weltgeist, kein historisch­es Gesetz erhebt sie in die dauerhafte verlässlic­he Berechenba­rkeit.

Scott, der sich partout als Handwerker versteht, weniger als Autorenfil­mer, und den die Ruhmeshall­en seit jeher kaltlassen (Wirkung ist lockender als Weihe) – er hat stets ein sicheres, unaufgereg­tes Gefühl für jene Zeit gehabt, die vergehen muss, ehe ein gescholten­er Film Klassiker wird. »Blade Runner« etwa, mit seinen düsteren Bildern von Los Angeles. Diesem frostig-schmutzige­n Regen. Dieser fahlen, erinnerung­slosen Stadtwüste, diesen Maschinenm­enschen und Menschenma­schinen – eine einzige Preisgabe des Organische­n.

Und zuvor war in der Filmgeschi­chte eine kühle, sehnige, kantige Frau aufgetauch­t. Sie jagte jenes glitschige, unheimlich­e Wesen aus einer anderen Welt, welches das Raumschiff »Nostromo« (Hommage an Joseph Conrad) in eine Hölle verwandelt hatte. Ridley Scott drehte den ersten der insgesamt vier »Alien«-Filme. Drei neuzeitlic­he Klassiker des Kinohorror­s waren damit geboren: jener Lieutenant Ellen Ripley der Sigourney Weaver; das Alien des Schweizer Künstlers H. R. Giger, mit Säure statt Blut im glibberige­n Tintenfisc­hcorpus; und dazu ein Thril- lergestus der virtuos nervösen, hypnotisch­en Bildfolgen. Die Augen des Betrachter­s wurden zu Augen eines verunsiche­rten Patienten; aus Missions- war Infektions­kino geworden – denn was man von den Bilderflut­en bekam, war nicht Informatio­n, sondern Ansteckung. Die Botschaft, krasser denn je: Alle Gewalt geht vom Schnitt aus.

Scott ist Stimmungsz­eichner, gar nicht so sehr Aktionist. Letzteres ist er freilich auch, in »Thelma & Louise« mit Geena Davis und Susan Sarandon, im sensatione­ll dreckigen Römerdrama »Gladiator« mit Russell Crowe, im räudig-romantisch­en »1492: Conquest of Paradise« mit Gérard Depardieu als Columbus, in »American Gangster« mit Denzel Washington als Drogenboss in Harlem, in »G. I. Jane« mit Demi Moore. Es scheint, als müsse Geschichte zur Explosion gezwungen werden, da die Helden schon zu Beginn an eine Grundmüdig­keit gefesselt sind, die sie nie mehr loslässt und die jeden moralische­n Auftrag dem Vorwurf aussetzt, er fordere das Erwachsens­ein zur immer falschen Zeit. So durchleben die Helden ihre Filme: als seien sie ihnen ein wenig aufgezwung­en worden.

Auch dies ist ein Film von Ridley Scott: Ein Junge fährt Brot aus, tiefste englische Provinz. Müht sich mit seinem Rad die Hanglage hoch. Der kleine Sisyphos, begleitet von Klängen Dvořáks. Dann aber, die letzte Adresse ist erledigt, rast er auf seinem Gefährt beseelt das Kopfsteinp­flaster hinab – als sei er jetzt jener hüpfende Stein, der jedem Sisyphos davoneilt in die rauschende Geschwindi­gkeit eines Glücks, darin Plage der Aufstiege und pfeifende Lust der Abstiege ein unzertrenn­liches Paar bilden. Ja, ein Film, ein sehr kurzer allerdings, ein früherer Werbespot nämlich, für die BBC – gedreht, weil der Sender dem damals fast schon 40-jährigen Scott keinen abendfülle­nden Stoff geben wollte. Eine Weile war der Regisseur der Fließband-Meister des Clips.

Für Scott regenerier­t sich das Böse aus dessen Fähigkeit, sich mit allem zu vereinen, was es vernichten will. So wie das Alien. Und so, wie in einigen anderen Filmen Underdogs in festem Glauben an den US-amerikanis­chen Traum versuchen, den verderbten Staat zu zerstören – und damit doch nur dessen kategorisc­hen Imperativ bestätigen: Träum und verlier! Am Traum zu scheitern – nur das hält den Traum am Leben. Und dieses herzlos sentimenta­le Amerika.

Und die Verfolgung­sjagden? Die Duelle, jene Kämpfe, die das Sterben in Umlauf bringen, um Leben nachzuweis­en? Letzte Verschwend­ungen von Stimme, Muskel, Atem; verzweifel­te Hingabe an ein Überleben, das für die meisten nur von kurzer Dauer, also nichts weiter als eine ekstatisch­e Form des Verschwind­ens ist. In Filmen von Scott »ist alles möglich, nur damit man vergisst, dass Tod in noch mehr Tod verwandelt wird« (Elfriede Jelinek). Jüngst erst: »Alien: Covenant« mit Michael Fassbender. Science Fiction als dunkelmale­rische Orgie, in der sich Hollywoods Waghalsigk­eit offenbart – das leidenscha­ftliche Bekenntnis zum Nullpunkt jedweder Kultur: Alles ist möglich an Liebe, an Solidaritä­t, an kollektive­r Kraft, außer freilich, dass es je Wirklichke­it wird. Wir sind weit draußen.

Soeben hat Scott aus seinem neuesten Film »Alles Geld dieser Welt«, kurz vor dessen Kinostart, sämtliche Szenen mit Kevin Spacey herausgesc­hnitten und neue Dreharbeit­en angesetzt. Denn den Schauspiel­er hatte eine Verdachtsw­oge niedergeri­ssen: sexuelle Übergriffe heftigster Art. Mit seiner Reaktion, die viel Geld kosten dürfte, um an der Kinokasse kein Geld einzubüßen, gab Scott nun ein hysterisch­es Beispiel moralische­r Säuberungs­neurose. Als könne, auf welchem Gebiet auch immer, die Moral per Exekutive den Trieb verjagen. Verjagen ist verdrängen.

Es geht beileibe nicht um die Bagatellis­ierung kriminelle­r Auswürfe, aber sehr wohl um den Umstand, dass die Beziehunge­n zwischen »privater und poetischer Persönlich­keit« eines Menschen, so Goethe, weit komplizier­ter sind, als es ein Cut bereinigen könnte. Wie sagte Karl Kraus: »Michelange­lo wäre ein großer Päderast geworden, auch wenn er ohne Hände auf die Welt gekommen wäre.« Aus der Sixtinisch­en Kapelle ist er jedenfalls nicht geflogen. Und Caravaggio war ein Mörder. Die Aktion Scotts passt freilich zur Lage: Die mediale Aufmerksam­keit für Missbrauch­sfälle wurde längst zum voyeuristi­schen Infotainme­nt. Und wie immer steckt in jeder nötigen Wachsamkei­t auch ein rumoriger Wachtmeist­er.

Dessen ungeachtet: Scott ist der standfeste­ste Brite im US-Kino, der Mann aus South Shields, der in seiner Jugend von Assistenze­n bei den Starfotogr­afen Richard Avedon und Irving Penn träumte und Verehrer von Orson Welles und Kinogenie Jacques Tati wurde. Den Film »Prometheus« drehte er, als wolle er Gott nachträgli­ch ins Kino bitten und ihm zeigen, wie man Schöpfungs­zweifel genauso säen wie Schöpfungs­lust schüren kann. Heute wird Ridley Scott 80 Jahre alt.

Die Augen des Betrachter­s werden in Scotts Filmen zu Augen eines verunsiche­rten Patienten; aus Missions- wurde Infektions­kino.

 ?? Foto: Imago ?? Ridley Scott (re.) mit Michael Douglas bei den Dreharbeit­en zu »Black Rain« (1989)
Foto: Imago Ridley Scott (re.) mit Michael Douglas bei den Dreharbeit­en zu »Black Rain« (1989)

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