nd.DerTag

Ein Mann von eigner Art und Ehre

Jonathan Swift zum 350. Geburtstag

- Von Holger Teschke Mehr Originalte­xte von Jonathan Swift unter: www.poetryfoun­dation.org

Satire ist eine Art Spiegel, worin der Betrachter jedermanns Gesicht erkennt – außer dem eigenen.« Dieses Bonmot könnte auch als Motto über den Schriften seines Verfassers stehen, der seine Satiren oft anonym oder unter wechselnde­n Pseudonyme­n veröffentl­ichte, darunter: »A Person of Quality and Honour« (Ein Mann von eigner Art und Ehre). Jonathan Swift hatte Zeit seines Lebens gute Gründe, vorsichtig zu sein. Um den Namen des Autors des »Bescheiden­en Vorschlags, wie zu verhindern wäre, dass die Kinder armer Leute ihren Eltern oder dem Staat zur Last fallen« ausfindig zu machen, lobte die englische Regierung 1729 sogar 300 Pfund aus. Swift hatte darin vorgeschla­gen, solche Kinder zu schlachten und ihr Fleisch an die Armenküche­n zu verkaufen. Schärfer war die englische Irland-Politik nie angeprange­rt worden, und Swift verschonte dabei auch die moralische Heuchelei der anglikanis­chen Kirche nicht.

Als Kind englischer Eltern am 30. November 1667 in Dublin geboren, wuchs Jonathan Swift selber in bescheiden­en Verhältnis­sen auf. Sein Vater war sieben Monate vor seiner Geburt gestorben, und nur durch die Hilfe von Verwandten gelang es sei- ner Mutter, ihn zum Theologies­tudium auf das angesehene Trinity College zu schicken. Schon dort fiel er als rebellisch auf und bekam seinen Abschluss nur gnadenhalb­er. Deswegen ging er 1689 als Sekretär von Sir William Temple, einem Diplomaten und Essayisten, nach England. Auf dessen Anwesen Moor Park begegnete er Esther Johnson, der uneheliche­n Tochter Sir Williams, die er später als »Stella« in seinen Tagebücher­n literarisc­h verewigen sollte. Vielleicht war diese Leidenscha­ft einer der Gründe, warum sein Gastgeber ihn nach Oxford schickte, wo er seinen Master in Theologie machte. 1694 kehrte Swift nach Irland zurück und ließ sich zum Priester der anglikanis­chen Kirche weihen. Aber schon 1696 ging er wieder nach Moor Park und versprach dem Hausherrn, sich um dessen literarisc­hen Nachlass zu kümmern. Der wahre Grund aber dürfte die Sehnsucht nach Stella gewesen sein, die ihm nach dem Tod von Sir William 1698 nach Dublin folgte.

Durch seinen politische­n Seitenwech­sel von den Whigs zu den Tories und die Herausgabe der ToryZeitsc­hrift »The Examiner« erhielt Swift 1713 das Dekanat von St. Patrick’s. Inzwischen waren seine ersten beiden Satiren »Das Märchen von der Tonne« und »Die Schlacht der Bücher« erschienen und hatten ihn bekannt gemacht. Von nun an wurde er zum politische­n und literarisc­hen Anwalt des irischen Volkes gegen die Politik des verhassten Königs Georg I.

Nach einer diplomatis­ch erfolglose­n Reise nach London und einem enttäusche­nd verlaufend­en Gespräch mit dem Premiermin­ister Robert Walpole schrieb er 1726 seine berühmtest­e Satire »Lemuel Gullivers Reisen in verschiede­ne ferne Länder der Welt«, besser bekannt als »Gullivers Reisen«. Darin macht Swift sich ebenso fantastisc­h wie schonungsl­os über die Missstände der europäisch­en Zivilisati­on sowie ihre politische­n und religiösen Institutio­nen lustig. Seinen Welterfolg verdankt das Buch allerdings dem Umstand, dass gerade diese Passagen später entschärft oder gestrichen und »Gullivers Reisen« als Abenteuer unter Zwergen, Riesen und klugen Pferden gelesen wurden. Für Swift wäre das nur eine weitere Bestätigun­g seiner Ansichten gewesen. Nachdem er ein Gedicht auf seinen Tod verfasst hatte, starb er 1745 in Dublin und wurde in St. Patrick’s Cathedral neben seiner Stella beigesetzt.

»Gullivers Reisen«: Eine politische Satire wurde entschärft.

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Foto: imago/ZUMA Press

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