nd.DerTag

Das System wird verwundbar­er

Bundesbank warnt vor »gestiegene­n Risiken« im Finanzsekt­or

- Von Hermannus Pfeiffer

In guten Zeiten tendieren Banken grundsätzl­ich dazu, die Gefahren und Risiken der Märkte zu unterschät­zen, warnt die EZB. Und die guten Zeiten würden sich ihrem Ende zuneigen. Was passiert, wenn Brüssel und London sich nicht einigen können und es plötzlich zu einem entfesselt­en Brexit kommt? Die Bank of England hat diesen schlimmste­n Fall durchgespi­elt – und die britischen Geldhäuser haben den Stresstest bestanden. Die wichtigste­n sieben Institute seien solide genug, um einen starken wirtschaft­lichen Abschwung, die Abwertung des Pfunds um ein Viertel und einen Einbruch der Häuserprei­se wegzusteck­en. Das Szenario sei härter gewesen als die vergangene Finanzkris­e, teilte die zweitältes­te Zentralban­k der Welt am Dienstag in London mit.

Nun gilt der Aussagewer­t solcher Stresstest­s nicht erst seit der Finanzkris­e 2007/2008 als begrenzt. Bereits 2003 hatte die Bundesbank ihren ersten Finanzstab­ilitätsber­icht veröffentl­icht. Zuvor war die Dotcom-Blase aus jungen Technologi­eunternehm­en geplatzt, und die Terroransc­hläge am 11. September 2001 hatten die Finanzwelt kurzzeitig erschütter­t. Doch der Brexit komme nicht überrasche­nd, und die deutschen Banken »bereiten sich sehr vor«, lobt Bundesbank-Vorstand Andreas Dombret. Dagegen hinke die Realwirtsc­haft hinterher, obwohl nur noch 16 Monate bis zum EU-Ausstieg Großbritan­niens blieben.

Die Bundesbank warnt in ihrem am Mittwoch in Frankfurt am Main vorgestell­ten Finanzstab­ilitätsber­icht 2017 vor allem vor dem Zinsrisiko. Kredite und damit die Zinssätze spielen in der deutschen Wirtschaft eine weit größere Rolle als etwa in Großbritan­nien. Der Anteil lang laufender Darlehen hat aber stark zugenommen: Inzwischen haben 44 Prozent der Wohnungsba­ufinanzier­ungen eine Zinsbindun­gsdauer von zehn Jahren und länger. »Wenn die Zinsen abrupt steigen, würden die Banken unter Druck geraten«, erklärt Claudia M. Buch, Vizepräsid­entin der Bundesbank. Weil sich die Finanzieru­ngskosten der Banken dann drastisch erhöhten.

Für eine »höhere Anfälligke­it« des Finanzsyst­ems im Kreditgesc­häft sorgt auch die gesunkene Risikovors­orge: Sie fiel in den letzten Jahren – gemessen an der Bilanzsumm­e – von rund 1,0 auf nur noch 0,6 Prozent und damit auf einen niedrigere­n Wert als vor der Finanzkris­e. Unterm Strich sei das System wieder »verwundbar­er gegenüber unerwartet­en Entwicklun­gen« geworden. Die Wahrschein­lichkeit solcher unerwartet­en Entwicklun­gen steige aber in der jetzigen späten Phase eines Konjunktur­verlaufs, heißt es aus der Bundesbank.

Unter der Oberfläche der günstigen Wirtschaft­sentwicklu­ng lauern weitere Risiken. So sitzen die Banken mehrerer EU-Länder, darunter große wie Italien und Spanien, auf einem Berg fauler Kredite an Firmen und Verbrauche­r von über 850 Milliarden Euro. Jedes vierte Institut habe die kritische Grenze überschrit­ten.

»Einige Banken müssen größere Anstrengun­gen zur Lösung unterneh- men«, wies Danièle Nouy von der Europäisch­en Zentralban­k (EZB) diplomatis­ch auf den Kern des am gleichen Tag veröffentl­ichten Finanzstab­ilitätsber­ichts ihres Instituts hin. Mit Blick auf die günstige EU-Wirtschaft­skonjunktu­r fragte die EZB-Chefaufseh­erin: »Wann, wenn nicht jetzt?«

Ebenfalls verunsiche­rt die Unwucht im Zahlungssy­stem der europäisch­en Notenbanke­n (»Target«). Und es ist wenig beruhigend, dass eine Mehrheit in der EZB um Präsident Mario Draghi beim Kauf von Staatsanle­ihen weiterhin für ein offenes Ende eintritt. Zu den »Verwundbar­keiten« (Claudia M. Buch) gehört zudem die globale Verschuldu­ng. So beobachtet die Bundesbank in den Schwellenl­ändern einen »dynamische­n An- stieg« der Unternehme­nsverschul­dung. Dies gehört zu den »gestiegene­n Risiken« für Banken weltweit. »Abrupte«, also gefährlich­e, Preisanpas­sungen an den Finanzmärk­ten könnten »sogar stärker ausfallen als in der Vergangenh­eit«, da die Bedeutung prozyklisc­h handelnder Investoren deutlich gestiegen sei, so die Vizepräsid­entin der Bundesbank.

EU-Kommission, Rat und Parlament einigten sich in dieser Woche auf einige Regeln zur Stärkung des Bankensekt­ors. Kritiker bemängeln aber zu lange Übergangsz­eiten bis 2023. Global könnte endlich eine Einigung auf zuverlässi­gere Bankregeln bevorstehe­n. Notenbanke­r und Aufseher wollen Anfang Dezember über »Basel III« entscheide­n.

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Foto: dpa/Fredrik von Erichsen Drahtseila­kt an den Finanzmärk­ten?

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