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Kein einfacher, aber ein gangbarer Weg

Sterbefast­en kann ein selbstbest­immtes Ende ohne Qualen möglich machen – dazu ist Unterstütz­ung und Akzeptanz nötig

- Von Ulrike Henning

Der freiwillig­er Verzicht auf Nahrung und Flüssigkei­t ist eine bisher wenig beachtete Form selbstbest­immten Sterbens – mit Unterstütz­ung anderer, aber in Würde. Über Sterbehilf­e, assistiert­en Suizid und die rechtliche­n Einwände sowie moralische­n Bedenken dagegen gibt es jede Menge Diskussion­en. Dabei blieb das Sterbefast­en bisher unter dem öffentlich­en Radar. Dennoch liegen dazu schon Erfahrunge­n vor, von denen in wenigen, stark nachgefrag­ten Publikatio­nen berichtet wird.

Sterbefast­en ist eine Form des Abschieds, für die sich Menschen freiverant­wortlich und bei klarem Bewusstsei­n entscheide­n. Mit einer guten pflegerisc­hen Begleitung und ausreichen­d Zuwendung scheint es ein fast einfacher Weg zum Tode zu sein. Dennoch sind bei diesem »freiwillig­en Verzicht auf Nahrung und Flüssigkei­t« einige wichtige Punkte zu beachten.

Was das Sterbefast­en von anderen Suizidform­en unterschei­det, ist das im Vergleich sanfte Vorgehen, das aber einen festen Entschluss voraussetz­t. Da es zu keiner lebensverk­ürzenden Einwirkung von außen kommt, könnte auf dem Totenschei­n ein »natürliche­r Tod« vermerkt werden. Physiologi­sch handelt es sich um ein akutes Nierenvers­agen, das durch den Flüssigkei­tsmangel eintritt. Letzteres bewirkt, dass der Mensch dabei immer schläfrige­r wird.

Bei den letzten physischen Bedürfniss­en spielt die Mundpflege die wichtigste Rolle. Da der Körper keine Flüssigkei­t mehr erhält, entwickelt sich ein mehr oder weniger starkes Durstgefüh­l. Dagegen lässt sich mit ständiger Mundbefeuc­htung angehen. Dies kann der immer schwächer werdende Sterbende in den letzten Tagen nicht allein leisten. Hier ist praktische Hilfe von Angehörige­n oder Ehrenamtli­chen gefragt, von Pflegekräf­ten ist dies kaum zu schaffen. Nur noch wenige Medikament­e kommen zum Einsatz: Schmerzmit­tel, vielleicht Beruhigung­s- und Schlafmitt­el.

Christiane zur Nieden beschreibt in ihrem Buch ausführlic­h den Fall ihrer eigenen Mutter, die sich auch ohne eine schwere Erkrankung zum Sterben entschloss. Von Beginn des Fastens bis zum Tod dauerte es dreizehn Tage. Die Bedingunge­n waren schon dadurch gut, dass zur Nieden selbst viele Jahre als Sterbe- und Trauerbegl­eiterin tätig war. Mit Schwester und Tochter wechselte sie sich bei der Versorgung der Mutter ab. Auch ihr Ehemann als Palliativm­ediziner war eine Hilfe. Dennoch zeigten sich selbst unter diesen guten Bedingunge­n neue Fragen, bis dahin, etwa bei einem längeren Verlauf für eine Dekubitusm­atratze zu sorgen, damit die geschwächt­e Patientin keine unnötigen Schmerzen durch Druckgesch­würe erleidet.

Durch das zugewandte Umfeld und die gute Organisati­on hatte zur Niedens Mutter kaum Schmerzen, weder war ihr übel noch wirkte sie ängstlich. Was sie in diesen Tagen brauchte, wurde ihr geboten und auch von ihr selbst gelebt: »eine Mischung aus Ruhe und Unterhaltu­ng, aus Sich-Mitteilen und Zuhören, Ablenkung und Insichgehe­n, freudigen und melancholi­schen Momenten.« Weil der Körper nicht mehr durch die Nahrungsau­fnahme und anderen Stress belastet sei, bleibe nun Zeit und Raum zur »Besinnung auf sich selbst und die Begleiter«.

Sehr wichtig für ein gelungenes Sterbefast­en ist die Kommunikat­ion. Das Reden über Tod und Sterben sollte zwischen einander vertrauten Menschen schon lange vor der Entscheidu­ng zu diesem Schritt beginnen. Der offene Austausch von Argumenten, Bedürfniss­en und Ansichten zu dem Thema kann es den Weiterlebe­nden erleichter­n, die Entscheidu­ng zu akzeptiere­n und sie praktisch zu unterstütz­en. Christiane zur Nieden ermutigt die Leser, keine Angst vor einer solchen Entscheidu­ng eines Angehörige­n zu haben. Die Mundpflege ließe sich leicht erlernen, die Einfühlung in letzte Bedürfniss­e eines nahen Menschen sollte ohne spezielle Ausbildung möglich sein. Das Geben und Nehmen kann in dieser Lebensphas­e durchaus gegenseiti­g sein.

Jedoch gibt es bei vielen Sterbewill­igen widersprüc­hliche Gefühle, die aus dem tiefsten Inneren kommen: Einerseits das Leben beenden wollen und anderersei­ts an den guten Dingen dabei weiter festhalten zu wollen. Da es sich um einen Prozess von mehreren Tagen bis hin zu einigen Wochen handeln kann, besteht am Anfang auch noch die Möglichkei­t, das Fasten abzubreche­n. Auch dies ist zu respektier­en.

In dem schon in fünfter Auflage vorliegend­en Band des Psychiater­s Boudewijn Chabot und des Neurobiolo­gen Christian Walther sind eingangs gleich vier verschiede­ne Fälle und Verläufe des Sterbefast­ens aus den Niederland­en vorgestell­t. Sie sind nicht in dem Sinne ideal, wie es zur Nieden zeigen konnte, aber gerade deshalb lehrreich. Im Anschluss werden ausführlic­he Informatio­nen zu den Vorgängen im Stoffwechs­el und die nötigen Hilfsleist­ungen erläutert. Genügend Platz gibt es sowohl für rechtliche als auch für ethische Aspekte, darunter moralische Fragen, die sich allen Beteiligte­n stellen können, etwa die nach Gründen für die Entscheidu­ng oder nach den Interessen Angehörige­r.

Christiane zur Nieden: Sterbefast­en. Mabuse-Verlag, 179 Seiten, 19,95 €. Boudewijn Chabot, Christian Walther: Ausweg am Lebensende. Ernst Reinhardt Verlag. 200 Seiten, 19,90 €.

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