nd.DerTag

Der lange Weg zur Selbstbest­immung

500 Bauern und Bäuerinnen der Adivasi suchen neue Entwicklun­gspfade

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Von Susanne Wienke, SODI

Chellan steht in seiner Plantage und blickt auf den gegenüberl­iegenden Berghang, wo einst dichter Wald stand. Auch dort erstrecken sich Teeplantag­en bis zum Horizont. »Ich bin ein Kattunayak­a, ein König des Waldes«, sagt der 60 Jährige und erinnert sich an früher: »Als wir noch im Wald gelebt haben, waren wir unsere eigenen Ärzte. Mein Vater war ein sehr guter Heiler, ich selber habe ganz viel von ihm gelernt.«

Doch die großen zusammenhä­ngenden Mischwälde­r haben stark an Fläche eingebüßt, seit der Teeanbau die NilgiriBer­ge eroberte. Während Malu aus der ethnischen Gruppe der Paniya traditione­lles Essen zubereitet – gekochtes Blattgemüs­e aus dem Wald, kleine gebratene Fische aus dem nahegelege­nen Fluss und gestampfte Tapioka – erzählt sie, wie sie den Wald heute noch nutzen: »Wir gehen nur noch an zwei Tagen in der Woche in den Wald, um Feuerholz zu sammeln und Wurzeln und Blätter, die wir kochen. Außerdem fangen wir Fische und kleine Krebse in den Flüssen. An diesen Tagen können wir dann unseren Reis und unsere Bohnen ergänzen«.

Die Beschneidu­ng der Waldfläche führt auch dazu, dass der Lebensraum der Elefanten schrumpft – ein schwerwieg­endes Problem für die Adivasi. Mittlerwei­le werden jeden Monat ein bis zwei Menschen von wilden Dickhäuter­n getötet. Kinder können oft tagelang nicht zur Schule gehen, wenn Elefanten ihren Schulweg passieren. Auf der Suche nach Nahrung brechen die Tiere auch in Plantagen und Gemüsegärt­en ein und kommen den Hütten der Adivasi gefährlich nahe. Die Adivasi wissen, wie sie die unter Artenschut­z stehenden Elefanten vertreiben: durch Krach, Bienenstöc­ke vor ihren Gärten oder Chilipaste auf den Zäunen. Doch Chellan fühlt sich manchmal beengt: »Als ich noch klein war, konnten wir tief in den Wald gehen. Jetzt sammele ich nur noch Pflanzen in der Nähe«.

Der Wandel der Nilgiri-Berge zum Teeanbauge­biet begann vor 150 Jahren. Britische Kolonialbe­amte experiment­ierten mit den Samen chinesisch­er Teepflanze­n auf indischem Boden. Neben der Region von Assam entwickelt­en sich die Nilgiri-Berge im heutigen Bundesstaa­t Tamil Nadu rasch zu einem der bedeutends­ten Teeanbauge­biete. Die Europäer waren auf den Geschmack des anregenden Getränks gekommen. Die neue Mode forderte immer größere Flächen für den Teeanbau.

Zu einer weiteren Ausdehnung der Teeplantag­en kam es in den 1960er Jahren, als die indische Regierung Hunderttau­sende indische Tamilen, die damals von der britischen Kolonialre­gierung als Plantagena­rbeiter in das damalige Ceylon gebracht worden waren, repatriier­te. Mit dieser großen Menge an zusätzlich­en Arbeitskrä­ften konnte noch mehr Tee produziert werden, was zu einer weiteren Vergrößeru­ng der Plantagen führte.

Die Adivasi gerieten durch diese Entwicklun­gen immer mehr in Bedrängnis. Mit dem Verschwind­en des Waldes ver- loren sie ihre wichtigste Lebensgrun­dlage und mussten sich grundlegen­d neu orientiere­n. »Als der Wald verschwand, haben wir zunächst als Arbeiter auf den Plantagen gearbeitet«, erinnert sich eine Frau der ethnischen Minderheit der Kurumba auf die Frage, wie die Adivasi zum Teeanbau gekommen sind. »Bis wir eines Tages dachten: Wieso können wir eigentlich nicht selber Tee anbauen? Aber wir waren landlos. Deswegen sind wir an die lokale Regierung herangetre­ten, und schließlic­h hat jede Familie einen halben Hektar Land bekommen. Wir kannten keine andere Möglichkei­t, Geld zu verdienen. So wurden wir zu Teebauern. Das war vor 30 Jahren«.

Doch mit den großen Teeproduze­nten konnten sie nicht mithalten. Der Anbau des Tees erfordert sorgfältig­e Pflege. Werden die Pflanzen nicht alle drei Jahre beschnitte­n oder die tägliche Ernte per Hand nicht fachgerech­t ausgeführt, verliert der Tee an Qualität. Dazu kommen die Unabsehbar­keiten des Klimas: Starke Regenfälle führen zu Erdrutsche­n; in der regenarmen Zeit hingegen fehlen die Möglichkei­ten, Wasser zu speichern. Nur 40 Prozent der Ernte der Adivasi ist verwertbar. Zwischenhä­ndler nutzen die Unerfahren­heit der Adivasi aus. Da der Tee nach der Ernte schnell verarbeite­t und in die nächste Teefabrik transporti­ert werden muss, holen sie ihn direkt in den Dörfern ab.

»Sie betrügen uns mit dem Gewicht«, beschreibt Kuli aus dem Dorf Karakolly die Situation. »Wenn wir 50 Kilo geerntet haben, behaupten sie, es seien nur 45 Kilo, und den Rest stecken sie selber ein. Manchmal bekommen wir zwei oder drei Monate überhaupt kein Geld von den Zwischenhä­ndlern. Ständig drücken sie den Preis. Und in der Regenzeit kommen sie manchmal überhaupt nicht, und wir müssen die ganze Ernte wegschmeiß­en«.

Ramaswamy Ranganathe­n tut es weh, die Adivasi in dieser Lage zu sehen. Der Direktor von CTRD gehört selber zur ethnischen Minderheit der Kurumba. Mit seinen Eltern arbeitete er als Teepflücke­r auf den Plantagen. Den Wunsch nach einem Jurastudiu­m konnten seine Eltern nicht finanziere­n, doch seinen Traum, den Adivasi zu ihrem Recht zu verhelfen, hat er niemals aufgegeben. Den Bau einer Teefabrik – im Besitz der Adivasi selbst – bezeichnet er als den Höhepunkt seiner Arbeit.

Tragendes Fundament sind die 37 Selbsthilf­egruppen auf Dorfebene, von denen jeweils zwei oder drei Mitglieder in

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Foto: CTRD/SODI Chellan war einst König des Walds, heute arbeitet er als Plantagena­rbeiter.

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