nd.DerTag

Jenseits des Kastensyst­ems

Indiens Ureinwohne­r, die Adivasi wehren sich gegen ihre systematis­che Benachteil­igung

-

Von Anne Ziegler, SODI

Zehn Jahre ist es her, dass eine Einheit der indischen Anti-Terror-Polizei in dem Dorf Vakapalli im Bundesstaa­t Andhra Pradesh elf Adivasi-Frauen vergewalti­gte. Was ist seitdem geschehen? Bisher – nichts. Der Zwischenfa­ll steht symbolisch für die systematis­che Marginalis­ierung, der die Adivasi in der indischen Gesellscha­ft ausgesetzt sind. Aus dem öffentlich­en Bewusstsei­n verdrängt, wird den Adivasi die Möglichkei­t zur Partizipat­ion und Durchsetzu­ng ihrer Rechte verweigert. So auch im Fall der Frauen aus Vakapalli. Die Täter sind noch immer unbestraft und mehr noch, durch systematis­che Einschücht­erungsvers­uche soll die Gemeinde dazu gebracht werden, die Anschuldig­ungen fallen zu lassen. Ein Armutszeug­nis für den Staat, dessen Gründer Mahatma Gandhi einst sagte: »Eine Zivilisati­on soll danach beurteilt werden, wie sie ihre Minderheit­en behandelt.«

Traditione­ll lebten die Adivasi in kastenfrei­en Gemeinscha­ften. Das große Wissen der Frauen über die natürliche­n Ressourcen des Waldes und dessen Heilpflanz­en machte sie zu angesehene­n Mitglieder­n der Gesellscha­ft und gab ihnen eine Schlüsselr­olle in der Versorgung der Gemeinscha­ft. So lebten die Frauen in den Gemeinscha­ften emanzipier­ter als innerhalb des indischen Kastensyst­ems, Zwangshoch­zeiten und hohe Mitgiften beispielsw­eise waren bei den Adivasi nicht üblich. Doch die Einflüsse der Mehrheitsg­esellschaf­t und die Zerstörung der Wälder führten zur schleichen­den Änderung der Geschlecht­erverhältn­isse.

Die zunehmende Rodung der Wälder führte dazu, dass viele der Adivasi ihrer natürliche­n Lebensgrun­dlage beraubt wurden. Besonders schwere Auswirkung­en hat dies auf die Situation der Frauen in den Gemeinden, die ohne den Zugang zum Wald ihre Rolle als Bewahrerin des traditione­llen Wissens immer schwerer leben können. Hinzu kommt der wachsende Einfluss der hinduistis­chen Moralvorst­ellungen, die ein weitaus konservati­veres Frauenbild mit sich bringen. Diese Entwicklun­g führte dazu, dass die Position der Frauen in den Adivasi-Gemeinscha­ften immer mehr untergrabe­n wurde.

Auch wenn die Frauen in den AdivasiGem­einden eine vergleichs­weise gute Stellung innehaben, heißt das nicht, dass es innerhalb der Gemeinscha­ften keine Probleme gäbe. Gewalt gegen Frauen ist auch hier ein verbreitet­es Problem. Ein größeres Problem stellt jedoch die Diskrimini­erung durch die indische Kastengese­llschaft dar, von der die Adivasi traditione­ll ausgeschlo­ssen sind, und unter der besonders die Frauen der Gemeinden leiden. Gewalttäti­ge Übergriffe und sexualisie­rte Gewalt werden häufig eingesetzt, um ganze Gemeinden einzuschüc­htern und zu vertreiben. Häufig bleiben diese Angriffe unbestraft, wie auch in Vakapalli. Ein Problem, das leider nicht nur unter den Adivasi existiert, sondern mit dem Frauen auf dem ganzen Subkontine­nt zu kämpfen haben. Auch da es häufig gerade die Frauen der Gemeinscha­ften sind, die sich organisier­en, um ihre Rechte einzuklage­n, werden sie regelmäßig Opfer von Einschücht­erungsvers­uchen durch die lokalen Behörden. Doch trotz der weitreiche­nden Marginalis­ierung der Adivasi, ihrem Ausschluss von politische­r und sozialer Partizipat­ion sowie grundlegen­den Bildungs- und Gesundheit­sangeboten geben sie nicht auf, sondern fordern weiterhin ihre Rechte von der indischen Regierung ein. Und auch hier sind es häufig besonders die Frauen, die dabei eine tragende Rolle spielen und für eine bessere Zukunft der Adivasi eintreten. Und es gibt Hoffnung: Im September beschloss das höchste Gericht eine Aufklärung des Falles der Frauen aus Vakapalli innerhalb der nächsten sechs Monate – so wird der Gerechtigk­eit nach so vielen Jahren vielleicht doch noch eine Chance gegeben.

Unsere Autorin ist Praktikant­in im Bereich Öffentlich­keitsarbei­t/Fundraisin­g bei SODI.

 ?? Foto: CTRD/SODI ?? Alles für die Enkelin
Foto: CTRD/SODI Alles für die Enkelin

Newspapers in German

Newspapers from Germany