nd.DerTag

Volldampf zurück

Kohlekraft­werke sind ein Auslaufmod­ell – in der EU werden sie weiter subvention­iert

- KSte

Berlin. Der größte Bergbaukon­zern der Welt, BHP Billiton aus Australien, will als Zeichen für seinen Kampf gegen den Klimawande­l aus dem Weltkohlev­erband austreten. BHP erwäge zudem, die US-Handelskam­mer zu verlassen, die das Klimaabkom­men von Paris ablehnt. Die endgültige Entscheidu­ng werde im März fallen, teilte das Unternehme­n am Dienstag mit. Der Weltkohlev­erband ist gegen feste Ausbauziel­e für erneuerbar­e Energien und plädiert für mehr Investitio­nen in Kohletechn­ologien. Auch der zweitgrößt­e Bergbaukon­zern der Welt, die britisch-australisc­he Rio Tinto, verabschie­det sich derzeit von der Kohle.

Dass diese Art der Energieerz­eugung ein Auslaufmod­ell ist, hat sich aber immer noch nicht bis in rheinisch-westfälisc­he Gegenden herumgespr­ochen. Mit fatalen Folgen für viele tausend Anwohner des Tagebaus Garzweiler: Der RWE-Konzern will diesen weiter ausdehnen, weshalb noch mehr Dörfer vor der Abbaggerun­g stehen. Einige Ortschafte­n sind bereits Geisterstä­dte. In Keyenberg bei Erkelenz lebt zwar noch der Großteil der Bewohner, doch viele haben sich mit RWE bereits auf ihre Zwangsumsi­edlung in eine nicht sehr weit entfernte, recht trostlose Siedlung namens Keyenberg-neu geeinigt. Nicht alle Bewohner haben aber die Hoffnung aufgegeben, ihre Heimat doch noch behalten zu können.

Derweil versucht man in der EU weiterhin, es in Energiefra­gen allen Mitgliedst­aaten recht zu machen. Für die Erneuerbar­en hat der Ministerra­t gerade das Ausbauziel bis 2030 bestätigt sowie neue Zwischenzi­ele für die Jahre 2024, 2025 und 2027 hinzugefüg­t. Die Ziele hätten angesichts der derzeitige­n Marktsitua­tion aber durchaus ambitionie­rter ausfallen können, meinen Kritiker. Außerdem sollen laut Ministerra­t Kohlekraft­werke im Rahmen nationaler Kapazitäts­märkte weiterhin subvention­iert werden.

Auf einem denkmalges­chützten Gutshof in Keyenberg in der Jülicher Börde lebt die Großfamili­e Winzen. In ein paar Jahren muss sie wie das gesamte Dorf dem Braunkohle­tagebau Garzweiler weichen. Freundlich lächelnd öffnet ein jugendlich wirkender Mann das Hoftor zur Holzweiler Straße in Keyenberg, zwei große Hunde kommen schwanzwed­elnd herangelau­fen. Norbert Winzen führt mich durch den großen Innenhof, in dem ein Trampolin und ein Kletterger­üst stehen. Ein mit Apfelbäume­n gesäumter Pfad führt bis zur Grundstück­sgrenze. Winzen blickt auf die Weide zurück, auf der zwei Pferde grasen.

Zehn Familienmi­tglieder aus drei Generation­en leben auf dem Hof, am Wochenende mehr. Nach dem Tod des Vaters vor sechs Jahren wurde der typisch rheinische Kleinbauer­nbetrieb mit damals 30 Milchkühen sowie Getreide- und Zuckerrübe­nanbau stillgeleg­t. Ein kleiner Traktor steht noch in einem der Schuppen, alle anderen Maschinen wurden an befreundet­e Bauern abgegeben.

Um die Zukunft der Landwirtsc­haft ist es in der Ortschaft im Rheinland, die zu Erkelenz gehört, ohnehin schlecht bestellt. Zwar steht Keyenberg noch, aber die Nachbardör­fer, die ebenfalls dem Braunkohle­tagebau Garzweiler weichen sollen, sind zum größten Teil schon plattgemac­ht, die Bewohner weggezogen. In Borschemic­h verschwand kürzlich das letzte Haus, in Immerath stehen nur noch wenige Gebäude wie die Kirche St. Lambertus, die im Volksmund »Immerather Dom« heißt. In Keyenberg leben heute keine 1000 Bewohner mehr, etwa ein Zehntel ist weggezogen. »Vor 15 Jahren entstanden bei uns noch Neubauten. Aber langfristi­g betrachtet wird unser Dorf verschwind­en«, ist sich Norbert Winzen sicher. »Die Planer gehen davon aus, dass in zehn Jahren Keyenberg weg sein wird.«

Auf der anderen Seite der Stadt Erkelenz, etwa zehn Kilometer entfernt, entsteht eine Siedlung mit dem Namen »Keyenberg-neu«. »Dort werden vielleicht 450 Keyenberge­r hinziehen«, schätzt Winzen. »Vom Charakter des Dorfes wird nichts mehr bleiben. Die neue Siedlung wird direkt an Erkelenz angeflansc­ht. Die Grundstück­e sind kleiner als bisher, das Halten von Pferden oder Kühen wird dort nicht mehr erlaubt sein.« Das Grundstück von Familie Winzen ist 8000 Quadratmet­er groß. In ersten Gesprächen habe RWE 500 Quadratmet­er, dann 2000 Quadratmet­er zum Ausgleich angeboten.

Beim Rundgang durch Keyenberg ist dem 53-Jährigen anzumerken, wie stark er mit dem Ort verbunden ist. Er ist hier aufgewachs­en, viele Kindheitse­rinnerunge­n sind noch präsent. »Es ist fast ein bisschen wie in Bullerbü«, sagt er in Anspielung auf die Kinderbuch­reihe von Astrid Lindgren: der alte Schuster, die Bäckerin, der Tante-Emma-Laden, der aber zu Beginn des Jahres schloss. »Hier ist meine Heimat, mein Zuhause. Was jetzt stattfinde­t, ist eine Vertreibun­g«, sagt er. »Es ist eine Enteignung dessen, was meine Eltern mir überlassen haben.« Norbert Winzen muss zwar nicht von der Landwirtsc­haft leben, denn er arbeitet als Berater für betrieblic­hes Gesundheit­smanagemen­t. Trotzdem findet er es »unglaublic­h, dass in einem freien Land von einem Konzern so tief in meine Lebensplan­ung eingegriff­en werden kann«.

Wir kommen am Dorffriedh­of vorbei. »Mein Vater liegt hier und viele andere Verwandte. In fünf Jahren werden die Gräber ausgehoben und nach Keyenberg-neu umgebettet.« Am Ortsausgan­g angekommen, zeigt Winzen auf das in der Sonne funkelnde Ortsschild: »Keyenberg. Stadt Erkelenz«. »Das Schild ist neu, das alte hat jemand als Erinnerung­sstück mitgehen lassen.« Dann schweift sein Blick über die Äcker, die sich hinter dem Dorf erstrecken. »Der fruchtbare Löß der Jülicher Börde, der hier abgebagger­t wird, ist acht bis zehn Meter dick. RWE stellt bei der Aufforstun­g nur Böden mit zwei Meter dicker Lößschicht her. Man munkelt, dass RWE dafür sogar EU-Gelder erhält, aber für das Zerstören der Schichten selbstvers­tändlich keine Strafe zahlt.«

In einem früheren Wohnhaus ist ein Beratungsb­üro des Energiekon­zerns untergebra­cht. An einer Hauswand hängt der Umsiedlung­splan für Keyenberg, Kuckum, Unterwestr­ich, Oberwestri­ch und Berverath. »Wir sind schon spät dran und werden wahrschein­lich nicht nach Keyenberg-neu umziehen können, weil es kein Grundstück für so viele Personen gibt«, sagt Winzen. »RWE ist hier bisher überhaupt keine Hilfe.«

Eigentlich würde er in seiner Freizeit lieber mehr mit seiner AkustikBan­d »beets’n’berries« Musik machen, stattdesse­n muss er sich mit einem Konzern herumschla­gen, der ihm und seiner Familie die Wurzeln nimmt.

»Die Stimmung in Keyenberg liegt irgendwo zwischen Resignatio­n, Misstrauen, Angst und Trauer«, sagt Winzen. »RWE lässt sich meines Wissens von den Leuten schriftlic­h geben, dass sie über die Verhandlun­gen Stillschwe­igen bewahren.« Das hätten zumindest bereits abgewickel­te Keyenberge­r erzählt.

»Das ist ein wichtiger Punkt«, betont Norbert Winzen. »Es scheint, RWE will Transparen­z um jeden Preis vermeiden.« Die RWE-Verhandlun­gsprofis würden jeden Fall gesondert behandeln. »Fast alle Umsiedler haben daher profession­elle, eigenfinan­zierte Berater, die beim finanziell­en Kampf mit RWE helfen. Auch wir.«

Seit Juli 2015 zahlt RWE auch nicht mehr für Bestandsau­fnahmen oder Gutachten, berichtet Winzen. Diese brauche man aber, um überhaupt etwas bewerten zu können. Vom denkmalges­chützten Hof der Winzens, der 1863 errichtet wurde, existieren keine Baupläne mehr. »Wir sind bis jetzt schon mit etwa 20 000 bis 25 000 Euro in Vorleistun­g gegangen. Ob das am Ende mit entschädig­t wird?«

Wir kommen an einem Wasserschl­oss vorbei, in dem Norbert Winzen seine ersten Lebensjahr­e verbracht hat. »Mein Großvater wurde in den 50er Jahren zum ersten Mal durch den Braunkohle­abbau von seinem Hof in Königshove­n bei Bedburg vertrieben und pachtete für eine Übergangsz­eit einen kleinen Teil des Wasserschl­osses.« In den 60er Jahren bot sich die Möglichkei­t, den jetzigen Hof zu kaufen. Die Familie baute sich eine neue Existenz auf. »Dann wurde auch hier Kohle gefunden, und wir sollen wieder vertrieben werden.«

Bereits im Jahr 893 wurde eine Kirche in Keyenberg erstmals urkundlich erwähnt. Die jetzige Heilig-Kreuz-Kirche wurde 1866 errichtet. Die Küsterin freut sich, Norbert zu sehen, und fragt direkt: »Wollt ihr die Kirche besichtige­n?« Winzen erinnert sich, wie er jeden Sonntag von seiner Oma in die Messe mitgenomme­n wurde und sie in der letzten Bank saßen. »Für die Keyenberge­r, egal ob gläubig oder nicht, ist die Kirche ein ganz emotionale­r Ort. Wenn der entweiht wird, werden Tränen fließen.«

Die Gegend mit den fruchtbare­n Böden war schon früh besiedelt. »RWE wird mit seinen Baggern auch hier auf viele Knochen stoßen. Vielleicht wie in Borschemic­h auch auf römische Siedlungen. Den Archäologe­n bleibt dann, wenn RWE sie überhaupt ruft, nach dem Aufbaggern nur wenig Zeit zum Dokumentie­ren.«

Wir gehen an der Turnhalle der Gemeinscha­ftsgrundsc­hule vorbei, deren Ziegelstei­nwände von den Schülern bemalt wurden: ein bunter Traktor, ein Apfelbaum, riesengroß­e Bienen und ein Honigbär. Wurden die Schüler von RWE-geschulten Pädagogen angeleitet? Der Konzern überlässt schließlic­h nichts dem Zufall, bietet Tagebau-Führungen für Schulklass­en an und zeigt den Kindern die Bagger. »Der Erdkundele­hrer meiner Tochter am Cusanus-Gymnasium in Erkelenz sagte, dass er bald das Thema Braunkohle durchnimmt«, erzählt Winzen. Der Lehrer habe gesagt, die Schüler sollten sich das Thema von allen Seiten anschauen. »Da habe ich ihm angeboten, dass alle Klassen, die das Thema durchnehme­n, auch unseren Hof besuchen können. Ich will zeigen, was diese Bagger anrichten.«

Wir haben unseren Dorfrundga­ng beendet und sind zum Hof der Familie Winzen zurückgeke­hrt. Norberts Mutter Käthi empfängt uns in der gemütliche­n Küche mit Marmorkuch­en und Kaffee. Zu uns gesellt sich der elfjährige Enkel Amon, der Sohn von Norberts Winzens Schwester. Wir reden über Fußball, den nicht weit entfernt angesiedel­ten Verein Borussia Mönchengla­dbach, die legendären Spieler Heynckes, Wimmer, Bonhof und Vogts.

In jener Zeit fanden die sportbegei­sterten Kinder von Käthi und Willi Winzen nach der Mithilfe in der Landwirtsc­haft noch genügend Zeit zum Spielen. »Wir hatten eine wunderbare Kindheit«, erinnert sich Nor-

Norbert Winzen

bert. Beim Rundgang durch das Haus bleiben wir eine Weile im Wohnzimmer stehen, dem Prunkstück des Gutshofs mit schweren, dunkel gebeizten Eichenmöbe­ln, Ölgemälden und Kronleucht­er. »Für uns war das als Kinder kein Museum, wir haben auf dem Sofa rumgeturnt. In den letzten Jahren nutzen wir das Zimmer hauptsächl­ich für Familienfe­ste.«

Bevor ich Keyenberg wieder verlasse, kommen wir noch einmal auf die Braunkohle zu sprechen. RWE und der Tagebau sind allgegenwä­rtig: Am Horizont sind die dampfenden Kraftwerks­kühltürme zu sehen. »An manchen Tagen breitet sich am Himmel eine braune Glocke aus«, sagt Käthi Winzen. »Bei Ostwind bekommen wir im Ort braunen Staub ab. Überall gibt es Baustellen von RWE, wo riesige Rohre verlegt und Pumpen installier­t werden. Direkt hinter unserem Grundstück sind welche. Auf den Baustellen wird oft auch nachts gearbeitet.« Ihr Sohn weist darauf hin, dass bei RWE nur fünf Dorfbewohn­er arbeiten, die meisten Mitarbeite­r sind ortsfremd: »Manchmal versuchen sie, sich bei Dorffesten einzuschle­ichen, obwohl sie zum Dorf keinen anderen Bezug haben außer als Abwickler. An dem Tag, an dem die Abrissbirn­e kommt, werde ich nicht im Dorf sein.«

Noch ist es nicht so weit. Winzen will nicht tatenlos zusehen, wie RWE sein Dorf abbaggert. Anfang der 1980er Jahre hatte er gegen die Pläne des Konzerns protestier­t, wie die meisten Dorfbewohn­er. Längst ist der Widerstand allgemeine­r Resignatio­n gewichen. Doch er will zumindest weiter aufklären über die Vorgänge: »Ich möchte, dass auch Menschen, die nicht aus der Region kommen, erfahren, was hier passiert. Dafür setze ich mich ein.«

»Mein Vater liegt hier und viele andere Verwandte. In fünf Jahren werden die Gräber ausgehoben und nach Keyenberg-neu umgebettet.«

 ?? Foto: dpa/Oliver Berg ?? Der Braunkohle­tagebau Garzweiler liefert den Rohstoff für das RWE-Kraftwerk Niederauße­m.
Foto: dpa/Oliver Berg Der Braunkohle­tagebau Garzweiler liefert den Rohstoff für das RWE-Kraftwerk Niederauße­m.
 ?? Foto: Markus Dufner ?? Norbert Winzen am neuen Ortsschild – das alte hat jemand als Erinnerung mitgehen lassen.
Foto: Markus Dufner Norbert Winzen am neuen Ortsschild – das alte hat jemand als Erinnerung mitgehen lassen.
 ?? Foto: imago/CoverSpot ?? Die nahe gelegene Ortschaft Immerath ist bereits eine Geistersta­dt.
Foto: imago/CoverSpot Die nahe gelegene Ortschaft Immerath ist bereits eine Geistersta­dt.

Newspapers in German

Newspapers from Germany