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Merkel sagt Opfern von Anschlag mehr Unterstütz­ung zu

Berlin gedenkt der Toten der islamistis­chen Attacke vor einem Jahr

- Von Stefan Otto

Berlin. Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) hat den Hinterblie­benen und Opfern des Terroransc­hlags auf den Berliner Weihnachts­markt am Breitschei­dplatz weitere Unterstütz­ung zugesagt. Die Gespräche mit den Betroffene­n hätten gezeigt, welche Schwächen der Staat in dieser Situation offenbart habe, sagte Merkel am Dienstag bei einer Gedenkvera­nstaltung für die Opfer des islamistis­chen Terroransc­hlags. Merkel kündigte an, die Hinterblie­benen und Opfer in einigen Monaten nochmals zu treffen. »Heute ist ein Tag der Trauer, aber auch ein Tag des Friedens«, sagte die Kanzlerin nach einem nichtöffen­tlichen Gedenken im Kreis der Hinterblie­benen und der Einweihung eines Mahnmals am Breitschei­dplatz. Vor einem Jahr, am 19. Dezember 2016, hatte der tunesische Terrorist Anis Amri einen Lastwagen vorsätzlic­h in den Weihnachts­markt gelenkt. Bei dem Anschlag starben zwölf Menschen, nahezu 70 wurden verletzt.

Von vorweihnac­htlicher Stimmung ist am Breitschei­dplatz keine Spur. Der Regierende Bürgermeis­ter Müller hat im Beisein von Hinterblie­benen die Gedenkstät­te für die Opfer des Anschlags eröffnet. Die Holzbuden, an denen es Glühwein und gebrannte Mangeln gibt, stehen wie jedes Jahr auf dem Breitschei­dplatz; das benachbart­e Europacent­er ist mit einem riesigen Geschenkba­nd dekoriert. Doch all dies ist in derzeit lediglich Fassade. Das Einkaufen für das nahe Fest und das unbekümmer­te Bummeln über den Weihnachts­markt ist in den Hintergrun­d geraten. Rund um die Gedächtnis­kirche geht es in diesem Jahr um etwas anderes.

Vor einem Jahr raste der Tunesier Anis Amri mit einen gestohlene­n Lkw in eine Marktgasse hinein. Zwölf Menschen starben bei dem bislang heftigsten islamistis­chen Anschlag in Deutschlan­d. Er glich einer Kriegserkl­ärung an die Bundesrepu­blik, die fünf Tage vor dem Weihnachts­fest bis ins Mark getroffen wurde. Und nun, nach einem Jahr, bleibt die Frage, welchen Sinn ein Anschlag hat, der so viel Leid nach sich zieht.

Zum Gedenken des Anschlags am Dienstag hat sich eine Trauer über die City West gelegt. Am Breitschei­dplatz sind die Buden geschlosse­n, der ganze Weihnachts­markt ist hermetisch abgeriegel­t. Überall Beamte mit Maschinenp­istolen, Scharfschü­tzen stehen auf dem Dach. Die Einsatzwag­en brummen, ansonsten hat sich eine seltene Ruhe über den Platz mit dem vielen Tannengrün gelegt.

Um fünf nach Elf setzt das Glockenläu­ten ein. In der Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis­kirche findet eine interrelig­iöse Andacht statt. Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier erinnert in seiner Ansprache an die Toten und Verletzten. »Wir denken an diejenigen, die auf dem Weihnachts­markt alles miterlebt haben, die in Todesangst waren und nicht vergessen können, was sie mit ansehen und anhören mussten.« Er räumt in seiner Ansprache auch ein, dass manche Unterstütz­ung für die Betroffene­n und Hinterblie­benen »zu spät kam und unbefriedi­gend blieb«.

Der Bundespräs­ident nimmt damit die Kritik von den Hinterblie­benen auf, die vor einigen Wochen einen Brief veröffentl­ichten, in dem sie eine mangelnde Anteilnahm­e der Bundesregi­erung bemängelt haben. Sie fühlten sich mit ihren Problemen alleine gelassen, schrieben sie. Erst am Montagaben­d traf sich Bundeskanz­lerin Angela Merkel mit Hinterblie­benen. Der Opferbeauf­tragte der Bundesregi­erung, Kurt Beck, würdigte dieses Zusammenko­mmen. Einigkeit besteht darüber, dass die Bundesregi­erung künftig mehr Verantwort­ung gegenüber Terroropfe­rn übernehmen müsse. Beck regte dazu an, eine eigene Koordinier­ungsstelle für solche Fälle zu schaffen.

Steinmeier erinnert in seiner Rede auch an den Umgang mit dem Anschlag. Bereits am Abend des 19. Dezember habe es geheißen: »Wir lassen uns nicht einschücht­ern.« Diese Aussagen seien stark und richtig, so der Bundespräs­ident. »Aber so kurz nach dem Anschlag, als die unfassbare Gewalt gerade so in unseren Alltag eingebroch­en war, klangen sie nicht mehr nur trotzig und selbstbewu­sst, sondern auch seltsam kühl und abgeklärt.« Bei den Hinterblie­benen und den Verletzten habe dies Unverständ­nis hervorgeru­fen, bemerkt Steinmeier.

Im Anschluss an die Andacht eröffnet Müller die Gedenkstel­le vor der Kirche. Bei den Hinterblie­benen ist der Entwurf des 17 Meter langen Risses aus Bronze, der in die Gehplatten und Treppen eingelasse­n wurde, durchweg auf Zustimmung gestoßen. Mit dem Riss haben die Architekte­n sich an die japanische Kingsugi-Technik erinnert. Dabei wird zerbrochen­e Keramik mit Gold wieder zusammenge­fügt – Beschädigu­ngen werden damit nicht geleugnet, sondern mit vielmehr mit einem edlen Material sichtbar gemacht. Das letzte Stück des Risses ist erst am Dienstag fertiggest­ellt worden. Hinterblie­bene haben dafür in die 1100 Grad heiße, flüssige Kupfer-Zinn-Legierung 22-karätiges Gold hineinries­eln lassen.

Die Namen der zwölf Opfer sind auf den Treppenstu­fen zur Gedächtnis­kirche versetzt eingelasse­n worden. Vor jedem Namen kann man stehenblei­ben wie vor einem persönlich­en Grab.

Noch Stunden später hat sich eine Menschentr­aube vor den Stufen versammelt. Weiße Rosen liegen vor den Namen, Grablichte­r brennen. Fotos einiger Opfer stehen daneben. Steinmeier, Merkel und Müller sind schon lange weg, die Polizei hat abgerüstet.

Im Gedächtnis von diesem Jahrestag bleibt, dass Müller die Hinterblie­benen für die Versäumnis­se des Staates um Verzeihung gebeten hat. An weihnachtl­iche Stimmung ist aber nicht zu denken. Die Wunde, die der Anschlag hinterlass­en hat, ist noch immer da. Und auch die Frage, warum die islamistis­che Gewalt sich immer wieder gegen Unbekannte richtet, wenn doch eigentlich der Staat gemeint ist.

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Foto: dpa/Bernd von Jutrczenka Der Regierende Bürgermeis­ter Michael Müller eröffnet die Gedenkstät­te.
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Foto: dpa/Sophia Kembowski Auf dem Weihnachts­markt
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Foto: dpa/Maurizio Gambarini Polizei postiert Scharfschü­tzen

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