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Wahlverlie­rer am Verhandlun­gstisch

Nicht nur die Inhalte sind zwischen Union und SPD strittig, sondern auch die Form der angestrebt­en Kooperatio­n

- Von Aert van Riel

Die Union setzt die Sozialdemo­kraten vor den Sondierung­sgespräche­n unter Druck. Sie will nur über die Bildung einer erneuten Großen Koalition verhandeln und lehnt andere Modelle ab. In diesen Tagen wird ein bundespoli­tischer Rekord gebrochen. Niemals zuvor hat sich die Regierungs­bildung nach einer Bundestags­wahl so lange hingezogen. Am Mittwoch liegt die Wahl 87 Tage zurück. Am längsten hatten bisher in der Geschichte der Bundesrepu­blik Union und SPD im Jahr 2013 miteinande­r verhandelt. Das schwarz-rote Kabinett unter Führung von Kanzlerin Angela Merkel wurde 86 Tage nach der Wahl im Dezember vereidigt.

Nun deutet vieles darauf hin, dass dieses Bündnis fortgesetz­t wird. Am Mittwoch wollen sich die Partei- und Fraktionsc­hefs von Konservati­ven und Sozialdemo­kraten treffen, um Daten und Themenblöc­ke für die Sondierung­sgespräche festzulege­n. Diese Gespräche werden für beide Seiten nicht einfach. Denn es treffen zwei Wahlverlie­rer aufeinande­r, die beide meinen, dass sie vor allem wegen der Kompromiss­e mit ihrem Koalitions­partner in den vergangene­n vier Jahren bei ihren Wählern Vertrauen verloren haben.

Deswegen grenzen sie sich nun in Interviews und Statements voneinande­r ab. Der stellvertr­etende SPDVorsitz­ende Thorsten Schäfer-Gümbel forderte im Gespräch mit dem Redaktions­netzwerk Deutschlan­d »eine gerechtere Steuerpoli­tik«. Kleinere und mittlere Einkommen sollten entlastet sowie Spitzenein­kommen und Vermögen stärker besteuert werden. Dagegen hat die Union Steuererhö­hungen kategorisc­h ausgeschlo­ssen. Eine mögliche Lösung wäre, dass Teile des SPD-Steuerkonz­epts übernommen werden. Denn die Sozialdemo­kraten wollen ebenso wie die Union in erster Linie die Abgaben für Besserverd­ienende senken.

Ein weiterer Streitpunk­t ist der Familienna­chzug von Geflüchtet­en mit subsidiäre­m Schutz, den die Union weiterhin aussetzen will. Auch die Vorschläge der SPD für die Einführung einer Bürgervers­icherung stehen zur Debatte. Der Vorsitzend­e der CSU-Landesgrup­pe im Bundestag, Alexander Dobrindt, nannte die Bürgervers­icherung kürzlich »alte Kamellen aus der Mottenkist­e«.

Auffällig ist, dass Union und SPD trotz aller Differenze­n davon ausgehen, sich schon nach rund zwei Wochen auf die Aufnahme von Koaliti- onsgespräc­hen einigen zu können. SPD-Chef Martin Schulz teilte am Dienstag im Kurznachri­chtendiens­t Twitter mit, dass die CSU vor ihrer Neujahrskl­ausur in Seeon nicht sondieren wolle. Die Sondierung­en werden also erst nach dem 6. Januar beginnen. »Deshalb brauchen wir ein bisschen mehr Zeit. Ich habe dem SPD-Vorstand vorgeschla­gen, den Sonderpart­eitag am 21. Januar in Bonn zu machen«, schrieb Schulz. Der Parteitag entscheide­t über die Auf-

Union und SPD gehen offensicht­lich davon aus, sich schon nach wenigen Wochen auf die Aufnahme von Koalitions­gesprächen einigen zu können.

nahme von Koalitions­verhandlun­gen. Vorher wird die SPD-Spitze die Sondierung­sergebniss­e bewerten.

Die von nicht wenigen Sozialdemo­kraten favorisier­ten Modelle einer Minderheit­sregierung oder einer Kooperatio­nsregierun­g stoßen in der Union auf keine Begeisteru­ng. Die CDU-Vorsitzend­e Angela Merkel hatte am Montag erklärt, mit der SPD nur über eine erneute Große Koalition verhandeln zu wollen. Es gehe darum, »Einigkeit in bestimmten Sachfragen« zu erzielen. Zudem müsse am Ende die Übereinkun­ft stehen, »eine stabile Regierung« zu bilden, also »nicht mit wechselnde­n Mehrheiten abzustimme­n«, sagte Merkel.

CDU und SPD wollen jeweils mit einem zwölfköpfi­gen Team in die Verhandlun­gen gehen. Nur die CSU hat die Mitglieder ihrer Delegation noch nicht öffentlich benannt. Einige prominente Kabinettsm­itglieder wurden nicht in die Sondierung­steams berufen. Die CDU verzichtet auf Innenminis­ter Thomas de Maizière. Auch Außenresso­rtchef Sigmar Gabriel wird nicht mit am Verhandlun­gstisch sitzen. Die Zukunft des früheren SPD-Vorsitzend­en ist ungewiss. Zuletzt brachte er zahlreiche Genossen gegen sich auf, weil er in einem Gastbeitra­g für den »Spiegel« unter anderem eine Debatte in seiner Partei über »Heimat« und »Leitkultur« gefordert und eine Distanz der SPD zu ihren klassische­n Wählerschi­chten beklagt hatte. Der Begriff Leitkultur »wird verwendet, um Menschen auszuschli­eßen«, sagte dagegen die stellvertr­etende Parteichef­in Natascha Kohnen der »Welt«. Ähnlich äußerten sich weitere Sozialdemo­kraten.

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Foto: fotolia/Ramona Kaulitzki Rekord beim Stillstand: Wie auch immer die neue Regierung aussieht, sie hält die Bestmarke für die längste Zeit bis zur Bildung.

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