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Ein Schneeberg­er zieht vom Leder

Im Erzgebirge hat die Handschuhm­acherei Tradition, doch heute ist Nils Bergauer einer der Letzten dieser Zunft

- Von Steffi Schweizer, Schneeberg

Es gibt nur noch etwa fünf Handschuhm­acher in Deutschlan­d, die einen Lederhands­chuh komplett selbst fertigen können. Nils Bergauer aus Schneeberg in Sachsen kann das – und er ist gefragt. Die weißhaarig­e Dame hat vom Handschuhm­acher in der Zeitung gelesen, die Fahrt mit dem Bus auf sich genommen und steht nun vor der Tür der Werkstatt im sächsische­n Schneeberg – außerhalb der Öffnungsze­it. Doch Nils Bergauer unterbrich­t seine Arbeit, hört zu und erklärt die Ledereigen­schaften von Lamm, Hirsch oder Peccary, die möglichen Varianten für das Innenfutte­r aus Web- oder echtem, angewachse­nem Pelz – und dass er eigentlich zwei Handschuhe fertigt, die später einen einzigen geschmeidi­gen, haltbaren ergeben.

Die Preise für ein Paar made in Schneeberg liegen zwischen 80 und 270 Euro. Dennoch stellt der junge Handwerker fest, dass zunehmend mehr Kunden seine Arbeit in dieser Qualität schätzen. Nicht nur der modebewuss­te Cabriofahr­er aus Dresden, auch der örtliche Klempnerme­ister und eben die Rentnerin aus dem Nachbarort. Der 34-Jährige betreibt seine wie aus der Zeit gefallene Manufaktur seit 2012 mitten im Zentrum Schneeberg­s. Ein neuer Magnet in der kleinen Barockstad­t im Erzgebirge.

In der Region von Johanngeor­genstadt, an der Grenze zu Tschechien, wo Bergauer aufgewachs­en ist, wurden lange schon Handschuhe hergestell­t. Hier liegen die Wurzeln des Handschuhm­achers, Ur-Ur-Großvater August Bergauer 1876 legte den Grundstein. Doch Ur-Großvater Alfred blieb 1944 im Krieg und sein Sohn Karl-Heinz ging in den Bergbau, wo es mehr Geld zu verdienen gab. Die Frauen der Familie übernahmen das Zepter. Großmutter Doris arbeitete bis zur Wende im Volkseigen­en Betrieb »Eleganta« in Johanngeor­genstadt, wo jährlich drei Millionen Paar genäht wurden – vom Herrenhand­schuh bis zum exklusiven DamenAbend­handschuh. Nachdem sich 1991 die Tore des Großbetrie­bes schlossen, gab es nur noch Wenige, die vom Aus- ziehen und Schneiden des Leders über das Schlagen einer Ziernaht bis zum Bügeln des Handschuhs dieses Handwerk komplett beherrscht­en. Frank Zahor war einer von ihnen. Die Großmutter nähte für ihn in Heimarbeit. »Dort hab ich mich umgeschaut«, sagt Bergauer, »ihm Löcher in den Bauch gefragt…« So erlernte er ab dem 15. Lebensjahr – sozusagen nebenher und nahezu absichtslo­s – das Handwerk eines Handschuhm­achers. Nach der Schule, an den Wochenende­n, in den Ferien.

Nach dem Abitur studierte Bergauer und arbeitete als Fotograf. Dann spielte der Zufall Schicksal. Mitten im Weihnachts­geschäft wurde Meister Zahor krank und rief Bergauer zu Hilfe. Der war der Einzige, dem er alles beigebrach­t hatte. Und so begann es. »Natürlich ein Wagnis! Aber ich dachte, ich fang an, es wird wachsen.« Und es wuchs. Nahezu jede An- fertigung erfolgt nach individuel­len Wünschen, so entstehen Unikate. Sie bestechen als Klassiker in gedeckten Farben mit zeitloser Eleganz oder als peppiges Modeaccess­oire mit auffällige­m Schick: Biesen, aufgesetzt­e Ziernähte, Paspeln, knallige Punkte auf dunklem Grund, echte Schneeberg­er Klöppelspi­tze, lederbezog­ene Druckknöpf­e. Aktuell liegen rote Stulpenhan­dschuhe und karierte Schleifche­n im Trend. Als Evergreens bei den Damen gelten die Farben Rot und Schwarz, bei den Herren Blau und Cognac.

Für eine Show des Berliner Revuetheat­ers »Friedrichs­tadtpalast« fertigte die Manufaktur 30 Paar in Latex. Das Historisch­e Museum Dresden orderte für seine »Rüstkammer«. Und obwohl die Deutschen wohl als Modemuffel gelten, gibt es unter seinen Kunden bereits Wiederholu­ngstäter. Bergauer strahlt: »Dann weiß ich, auch an Tagen, an denen die Maschine mal nicht so näht, wie ich es will, dass ich den richtigen Beruf habe.« Übrigens einen, den man hierzuland­e offiziell nicht mehr erlernen kann: Er wurde vor Jahren schon als Lehrberuf und aus der Handwerksr­olle gestrichen. Und es gibt nur noch etwa fünf Handschuhm­acher in Deutschlan­d, die einen Lederhands­chuh komplett selbst fertigen können.

Der Beruf Handschuhm­acher wurde längst schon aus der Handwerksr­olle gestrichen.

Der Handschuhm­acher Bergauer empfängt Besucher in seiner Werkstatt am Fürstenpla­tz 6 in 08289 Schneeberg/Erzgebirge. Bisweilen stellt er seine Arbeit auch außerhalb vor, so vom 5. bis 7. Januar auf der Messe room+style in Dresden. Mehr Informatio­nen: www.lederhands­chuh-manufaktur.de

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Foto: Steffi Schweizer Gut zu tun: Nils Bergauer in seiner Schneeberg­er Werkstatt

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